Manche Alben wachsen bei der Live-Präsentation an Energie, an Erhabenheit, an visueller Ästhetik. Besonders gelungene Darbietungen krallen sich gar so unwiderruflich ins Gedächtnis, dass sie bei jedem weiteren Hördurchlauf gewisser Passagen wieder vor der inneren Bildfläche erscheinen. Konzerte üben vor allem wegen dieser Prozesse eine ungeheure Faszination für Musikfans aus, nicht zuletzt weil nirgendwo sonst der Graben zwischen Künstler*in und ihnen so winzig sein kann. Das brodelnde Industrial-Soul-Gebräu der Algiers konnte schon mit dem 2017er Album “The Underside Of Power” einen bedeutenden Beitrag im gesellschaftskritischen Rock beisteuern, der Drittling “There Is No Year” erschien erst kürzlich, führt den unverkennbaren Sound aber noch tiefer in eingewebtes Storytelling und düstere Sphären – alles nur eine Spur eingängiger als zuvor. An der Musik kann es also schonmal nicht liegen, dass der Funke heute nicht so richtig überspringen will.
Hoffnungsvoller Einstieg
Im wunderschönen, ausverkauften Club Volta erwartet das Publikum zunächst die große Verstörung. Würde sich Björk inmitten eines undurchdringlichen Industrial-Dschungels verlaufen, käme das der Vision von Solo-Musikerin Esya am nächsten. Nur mit Keyboards, einem Bass und Soundbars ausgestattet tanzt sich die Britin in Ekstase. Das hat in den wenigen guten Momenten das Zeug für einen Underground-Rave, in den schlimmeren, vor allem dank des sehr schlechten Sounds, wirkt es erzwungen arty. Kaum verzieht sich die zurückhaltende Britin in Windeseile von der Bühne, begeben sich die Algiers an den Soundcheck. Um Punkt 21 Uhr kann so das verfremdete Saxofon von Algiers-Gitarrist Lee Tesche zum Einsatz kommen. Zum vielversprechenden Beginn gesellen sich dann auch gerne die vereinten Stimmen von Frontmann Franklin James Fisher, Bassist Ryan Mahan und einem Tourmitglied vor wuchtigen Rocktürmen hinzu. Das atmet einen schönen Gospel-Vibe, verpackt diesen aber vor dystopische Sounds. So wie man sich das eben von einem Auftritt der Algiers erhofft!
Kein Anschluss unter dieser Nummer
Was musikalisch in den folgenden 90 Minuten geboten wird, verdient den Titel Weltklasse ohne Zweifel. Ob Schlagzeuger Matt Tong mit seinen unvorhersebaren Rhythmenwechsel oder die restlichen Künstler mit etlichen Pedalen und Verfremdungen – Diese Sounds sind einzigartig, ausgefeilt, virtuos. Soul, Garage, Gospel und Industrial verweben sich zu einem ungewöhnlichen Klangteppich. Jeder einzelne verfügt über enormes Talent, das sich in sich langsam auftürmendem Druck, ruhigeren Klavierstücken oder großen Jams gleichermaßen perfekt darstellt. Aber die Stichwörter “Jam” und “perfekt” zeigen eben auch die Krux des Auftritts auf – zumindest aus meiner Sicht. Gerade die zweite Hälfte räumt den unstrukturierten Instrumental-Exzessen weite Flächen ein, was vor allem den eingängigeren neuen Songs den Groove nimmt. Die Band wirkt wegen mangelnder Emotionen viel zu oft mackerhaft abgehoben. Hits wie “The Underside Of Power” oder “Dispossession” hätten die Chance, die Mengen zum Bewegen zu bringen – und dass Fisher wahnsinnig gut tanzen kann, zeigt er in kurzen Episoden sogar – entscheidet sich aber scheinbar bewusst gegen den direkten Weg und für mehr Instrumental-Anteile. “Walk Like A Panther” kämpft gegen die zu starke Verzerrung von Fishers Stimme an; Generell ist viel zu selten möglich, die beeindruckenden Lyrics des politisch sehr engagierten Quartetts überhaupt zu verstehen. Anstatt die Wand zwischen Künstler und Fan aber zu durchbrechen, kümmern sich die Musiker lieber um ihre Effektpedale und gehen wortlos von Song zu Song. Keine politischen oder persönlichen Ansagen, kein Aufruf zur Interaktion, kein Gefühl von Dankbarkeit. Ob die Band einen Unterschied zwischen Konzert und Probe sieht, ist nicht überliefert. Eine Lichtshow gibt es übrigens auch nicht – das dunkelblaue Licht bleibt konstant, verändert weder Farbe noch Intensität noch Fokus.
Am Ende bleibt dann nicht viel zu sagen, außer dass die Alben der Band auf allen Ebenen außergewöhnlich grandios ist; sowohl politisch als auch musikalisch schlicht revolutionär. Wenn bei Auftritten allerdings das Gefühl aufkommt, die Band empfindet mehr für die Effektgeräte als für die intensive Gesellschaftskritik, weitet sich der Graben zwischen Künstler und Publikum eher noch mehr. Ob es nun an meiner persönlichen Präferenz, der Tagesform der Band oder dem Zielpublikum lag – Manchmal funkt es über die heimischen Anlagen einfach doch mehr.
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Und so hört sich das an:
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Algiers live 2020:
- 15.02. Club Manufaktur, Schorndorf
- 17.02. Zoom, Frankfurt
- 22.02. Flex, Wien [AT]
- 24.02. Strom, München
Beitragsbild von Julia.
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