Junior Eurovision Song Contest 2024: Ergebnisse & Meinungen

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Es ist eine niemals enden wollende, aber sehr berechtigte Diskussion: Braucht es beim Junior Eurovision Song Contest und seinem großen Bruder eine Jury? Und wie viel Einfluss darf sie nehmen? Bei der Kiddies-Ausgabe des erfolgreichsten Musikwettbewerbs der Welt sind es 2024 am Ende ganz klar die Fachmenschen schuld, dass Georgien und der elfjährige Andria Putkaradze den ersten Platz belegt. So war es auch 2022. 2020 und 2023 hatten die Jury und das Onlinevoting die gleichen Favorit*innen, lediglich 2021 gewann der Online-Liebling. Doch so groß war die Schere zwischen beiden Abstimmverfahren wohl noch nie. Seit dem Einführen getrennter Punktzahlen im Jahr 2019 befanden sich die Endsieger*innen immer in beiden Verfahren jeweils in den Top 3. 2024 jedoch wird Georgien mit so vielen Jury-Punkten überschüttet, dass gerade mal ein sechster Platz (!) im Onlinevoting genügt, um trotzdem noch zu siegen – und das mit einem finalen Abstand von fast 30 Punkten zum zweiten Platz.

Beim Junior Eurovision Song Contest 2024, der im spanischen Madrid stattfindet, gibt es somit Unstimmigkeiten. Und Überraschungen. Auch positive. Zum Beispiel, dass das Motto beibehalten wird, wurde es beim großen ESC doch dieses Jahr abgeschafft, was für arg viel Unmut sorgte. Die Idee, den Slogan “United By Music” dauerhaft zu etablieren, mag zwar in der Kernaussage toll sein, macht aber die Gestaltung um einiges liebloser. Doch der JESC hält dagegen und etabliert sich auch in dieser Hinsicht ein Stück weit als eigenständiges, unabhängiges Projekt. Let’s Bloom ist die Message, die selbstverständlich mit vielen schönen Blüten im Design dargestellt wird und eine Rückbesinnung auf das Schützen der Natur innehält. Das spiegelt sich auch in einigen Songbeiträgen oder Inszenierungen wider, unter anderem im deutschen Beitrag. Doch dazu etwas später mehr.

Stand Frankreich 2019 noch sieglos da, so gab es 2023 den dritten Sieg in nicht einmal vier Jahren. Das ist schon eine Hausnummer. Selbstredend wird man dann ein wenig überheblich und gibt die Ausführung an die letzten Zweitplatzierten ab, nämlich Spanien. Schließlich hat man ja 2021 schon in Paris und 2023 in Nizza gedurft, noch ein drittes Mal, ach nö, hat man ja auch die Olympischen Spiele. Gewann das Land 2004 den Wettbewerb, ist Spanien trotzdem 2024 das erste Mal Austragungsort. Hat’s aber auch verdient, mit einem Gewinn, drei zweiten und zwei dritten Plätzen und insgesamt neun Top-10-Platzierungen bei gerade einmal zehn Teilnahmen, führt wohl kein Weg an dem sonnigen Staat vorbei. Als Location wählt man das Caja Mágica, ein Stadion, das eigentlich für Tennis genutzt wird und bei 12.000 möglichen Zuschauer*innen heftiger auffährt als so manche Halle beim großen ESC. Und: Wer MTV Europe Music Awards 2010 kann, kann auch Junior Eurovision Song Contest.

In superknackigen und passgenauen zwei Stunden brettert das Moderationstrio zur kindertauglichen Primetime von 18 Uhr deutscher Zeit durch die irrsinnig gut getimte Show. 17 Auftritte plus Opening plus Pausenblock plus Abstimmung plus Punktvergabe. Schlanker geht’s wirklich nicht. Seit 2015 findet der Wettbewerb erstmalig wieder samstags statt, eine tolle Entscheidung. Außerdem ist der 16.11. der früheste Termin im Kalenderjahr seit 2014. Unter den Hosts kennen ESC-Fans vor allen Dingen Ruth Lorenzo, die beim Hauptevent in Kopenhagen 2014 mit “Dancing in the Rain” den zehnten Platz schaffte. Melani García, zuständig für den Green Room, ist gerade einmal 17 und sang 2019 selbst beim Junior Eurovision Song Contest (Platz 5). Der dritte im Bunde, Marc Clotet – we don’t know, kennt man womöglich in Spanien, eventuell aber auch nicht.

17 Acts wollen es wissen, eine durchschnittliche Anzahl. UK sind die Einzigen, die letztes Jahr dabei waren, dieses Mal aber nicht. Dafür kehren mit Zypern und San Marino zwei Länder zurück, San Marino sogar nach neun Jahren Pause. Ergebnis: Ein letzter Platz und gerade einmal ein Punkt von den Fachjurys. Aber qualitativ kommt ja auch beim eigentlichen ESC zu 90% nur Grütze dorther. Sorry not sorry. Idols SM, eine von zwei Bands am Abend, sind mit ihrem 90s-Dance mit Dubstep-Beat musikalisch viele Jahre zu spät und gesanglich so Schulauftritt, wie man eben nur sein kann.

Kommen wir doch zurück zum Aufhänger: Georgien. Zunächst einmal ist das natürlich ziemlich cool, dass der JESC seinen ganz eigenen Kopf hat und vieles so anders läuft. Da machen die sowieso schon ganz automatisch haushohen Favoritenländer wie Schweden oder Norwegen erst gar nicht mit, stattdessen siegten bereits Nationen wie Kroatien, Malta, Polen, Armenien und eben auch Georgien, die alle noch nie beim eigentlichen ESC was reißen konnten. So lernt man auch mal exotischere Städte wie Valletta, Tiflis oder Jerewan kennen und bekommt Geografie-Wissen on top serviert. Georgien schaffte beim ESC bisher maximal einen 9. Platz, hier klettert man nun mit vier Siegen bei 18 Teilnahmen auf die alleinige Pole Position, gefolgt von Frankreich mit drei Siegen. Die Frage ist nur, ob das so gerecht ist.

Das äußerst dramatische “To My Mum” von Andria Putkaradze ist äußerst erwachsen. Ein Elfjähriger singt seiner Mutter ein Balladen-Ständchen, und das mit ganz, ganz viel Gestik. Und fantastisch intoniert. Ja, das muss man ihm lassen, gesanglich ist das hier wahrscheinlich die beste Darbietung des Abends. Aber ob das automatisch einen Sieg verdient? Ursprünglich ist der ESC und somit auch der JESC eine Veranstaltung, die Kompositionen ehrt. Ok, das geht doch häufig etwas unter. Aber dass gerade eine unverkennbare Performance mit einem starken All-Round-Paket zum Sieg führt und noch viel mehr Kinder wohl stärker unterhält – darüber sind wir uns doch einig, oder? Hier folgt dann der Knackpunkt: In dem neuen Vortragen der Punkte gen Finale werden erst alle Ein-Punkte-Vergaben der Jurys präsentiert, dann alle Zwei-Punkte-Vergaben und so weiter. So sieht man also zunächst, welche Länder welche Beiträge auf dem zehnten Platz sehen. Hier landet Deutschland dreimal, nämlich bei Estland, Polen und Irland. Dann noch zweimal auf dem neunten Platz mit je zwei Punkten, und zwar in Armenien und Georgien. Zuletzt noch ein letztes Mal auf dem fünften Platz, und das in Frankreich. Das gibt sieben Punkte. Alle restlichen zehn Länder haben Deutschland auf dem elften bis 16. Platz gesehen. Für sein eigenes Land darf hier nicht abgestimmt werden.

Doch das Kuriose ist, dass Georgien von gleich zwölf (!) Nationen die vollen zwölf Punkte bekommt. Zwölf Länder-Jurys sehen den Beitrag als den besten an. Dabei sind in der Jury neben Erwachsenen auch Kinder – doch wie stark zählt wohl deren Meinung? Bietet die Show mehrfach auch inszenatorisch einige auffallende Highlights, so ist Georgien eigentlich recht deutlich eines der langweiligeren Auftritte. Es ist eben nur sehr gut gesungen, aber nicht mal sehr gut geschrieben. Das wirkt schon ein wenig nach Manipulation seitens der Erwachsenen, die auch beim eigentlichen ESC gefühlt ausschließlich auf Gesang-Skills achten und Fanfavoriten, die im Ohr bleiben, abstürzen lassen. Sowieso bekommen gerade einmal vier unterschiedliche Länder zwölf Punkte ausgezahlt. Wer mit 180 von möglichen 192 Punkten in die Halbzeit geht, kann sich easy zurücklehnen. Der Abstand zum zweiten Platz, die Ukraine, beträgt krasse 58 Punkte. Kaum aufzuholen.

Die Ukraine ist offensichtlich das Land, auf das sich alle gut einigen können. In beiden Votings gibt es den zweiten Platz, nur eben keinen Sieg aufgrund des enorm großen Abstandes zu Georgien. Der modernen, hookigen, wenn auch etwas redudanten Dance-Pop-Nummer “Hear me Now” von Artem Kotenko hätte man es schon gönnen können, wirkt das Paket einfach kindgerechter und mehr im Hier und Jetzt. Das Onlinevoting geht eindeutig an Portugal, die sich im Vergleich zur Ukraine über 36 Punkte mehr freuen dürfen. Auch das ist ein nachvollziehbares Ergebnis. Victoria Nicole sitzt erst am Klavier, zeigt also auch Talent an einem Piano, singt sehr emotional eine Bombastballade, die in typischer ESC-Manier aufgeht und wirklich abholt. Ihr vierter Platz bei den Jurys kostet ihr den ersten möglichen JESC-Sieg für Portugal, was nur an einigen etwas wackeligen Tönen liegen kann. Aber wo ist das Problem? Töne zu treffen, ist doch wirklich nicht alles hier!

Auch wenn es klingt, als wären wir schlechte Verlierer, möchten wir auch die ganz schöne Abstrafung mit dem deutschen Beitrag erwähnen. Tatsächlich hatte das sehr aufwändig produzierte, ständig den Beat-wechselnde “Save The Best For Us”, eine Naturschutz-Hymne, von dem zehnjährigen Bjarne wirklich Gewinner-Vibes. Er kommt richtig sweet rüber, bis auf Mininuancen super gut gesungen, kindgerecht und mit viel Spaß performt und ein Song mit wichtiger Message und uplifting Breitwand-Pop. Ist das nicht das, was wir hier sehen wollen? Im Onlinevoting, bei dem alle Website-Besucher*innen übrigens drei Stimmen haben und eine auch fürs eigene Land abgeben können, reicht das für einen starken, geteilten 7. Platz – bei den Jurys nur für einen geteilten 13., was schon nicht so fair wirkt, weil dafür die Gesamtqualität der Performance wirklich zu gut ist. Ohne die spendablen sieben Punkte aus Frankreich wäre es sogar der vorletzte Platz bei den Jurys geworden. Lächerlich. Bjarne, du als erster Junge für Deutschland beim JESC warst toll!

Wer sonst noch ein bisschen was auschecken mag, sollte in die abgedrehte, aber echt coole Nummer von Armenien (Platz 8) reinhören und in den starken Beitrag von Frankreich (Platz 4), denen man auch einen vierten Sieg hätte zutrauen können. Der Rest ist ein wenig uninteressant, besonders das zum wiederholten Male playback vorgetragene Opening der Vorjahressiegerin aus Frankreich und der Vorjahreszweitplatzierten aus Spanien. Außer Konkurrenz, aber auffällig herausragend: Eine spanische Version von dem 80s-Banger “Maniac” namens “Maniaca” von Abraham Mateo, einem der größten Superstars des Landes während der Abstimmungszeit. Der soll bitte im Mai in der Schweiz bei so einem bestimmten Wettbewerb fürs Land antreten, ja? Ok danke. Bis dahin.

Hier nochmal alle Ergebnisse im Überblick:

01. Georgien: “To My Mum”, Andria Putkaradze (180 Jury-Punkte, 59 Onlinevoting-Punkte, 239 gesamt)
02. Portugal: “Esperança”, Victoria Nicole (96 Jury, 117 Online, 213 gesamt)
03. Ukraine: “Hear Me Now”, Artem Kotenko (122 Jury, 81 Online, 203 gesamt)
04. Frankreich: “Comme ci, comme ça”, Titouan (103 Jury, 74 Online, 177 gesamt)
05. Malta: “Stilla Ċkejkna”, Ramires Sciberras (74 Jury, 79 Online, 153 gesamt)
06. Spanien: “Como La Lola”, Chloe DelaRosa (80 Jury, 64 Online, 144 gesamt)
07. Albanien: “Vallëzoj”, Nikol Çabeli (82 Jury, 44 Online, 126 gesamt)
08. Armenien: “Cosmic Friend”, Leo (76 Jury, 49 Online, 125 gesamt)
09. Italien: “Pigiama Party”, Simone Grande (52 Jury, 46 Online, 98 gesamt)
10. Niederlande: “Music”, Stay Tuned (34 Jury, 57 Online, 91 gesamt)
11. Deutschland: “Save The Best For Us”, Bjarne (14 Jury, 57 Online, 71 gesamt)
12. Polen: “All Together”, Dominik Arim (13 Jury, 48 Online, 61 gesamt)
13. Zypern: “Crytsal Waters”, Maria Pissarides (10 Jury, 50 Online, 60 gesamt)
14. Estland: “Tänavad”, Annabelle Ats (14 Jury, 41 Online, 55 gesamt)
15. Irland: “Le Chéile”, Enya Cox Dempsey (15 Jury, 40 Online, 55 gesamt)
16. Nordmazedonien: “Marathon”, Ana Vanchevska & Aleksej Ivanovski (20 Jury, 34 Online, 54 gesamt)
17. San Marino: “Come Noi”, Idols SM (1 Jury, 46 Online, 47 gesamt)

Und so klingt der Gewinnersong aus Georgien:

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