Linkin Park – From Zero

linkin park from zero cover

Legends never die! Zumindest nicht so richtig. Und Chester Bennington, der ist wohl für sehr viele eine. Als Linkin Park im Jahr 2000 in den internationalen Charts auftauchen, fühlt es sich an, als ob ein musikalischer Tsunami über einen hinwegschwappt. Das hat so viel Druck und Energie, dass die Hooks jede Faser des Körpers zu elektrisieren scheinen. Die Band steigt zur erfolgreichsten des laufenden Jahrtausends auf, das Debütalbum “Hybrid Theory” wird das meistverkaufte Album einer Band seit dem Millennium. Gefühlt geht es immer so weiter. Doch dann kommt der 20.7.2017. Ein Donnerstag. Alles bricht weg. Wenn es jemals weitergeht, dann From Zero.

Denn an dem Tag beschließt die Stilikone Chester Bennington das Leben zu beenden. Nur zwei Monate nach dem Suizid seines engen Freundes Chris Cornell (u.a. Soundgarden und Audioslave) sieht auch der unverwechselbare Linkin Park-Shouter keinen Sinn mehr, plagen ihn sowieso schon seit Ewigkeiten starke Depressionen. Selbst seine Frau und vier Kinder können ihm den Schmerz nicht nehmen. Rückwirkend hat man beim Schauen von Auftritten und Videos und beim Hören diverser Songs das Gefühl, seinen Leidensweg mitverfolgen zu können, was zweifelsfrei ganz schön berührt.

Mike Shinoda, der überwiegend für die Rap-Parts bei Linkin Park zuständig ist, und die restliche Band, die zum Teil über 20 Jahre zusammenspielte, ziehen sich unmittelbar aus der Öffentlichkeit zurück. Lange sieht es so aus, als wäre die Gruppe, die dem Nu Metal neues Leben einhauchte, weiterentwickelte und weltweit ein Gesicht gab, für immer Geschichte. Zwar gibt es 2020 zum 20-jährigen Jubiläum des Debüts eine Neuauflage mit äußerst attraktiven Extras für Fans, aber das tut irgendwie auch mehr weh, als glücklich zu machen. Was man nicht ahnt: Eigentlich werkeln die Jungs schon seit 2019 an neuem Material. Man lässt sich nur eben Zeit, guckt, wo es letztendlich hingehen soll. Final wählt man die radikalste, aber einzig logische und wahrscheinlich noch klügste Konsequenz.

Wie ersetzt man Chester? Wie ersetzt man einen wirklich äußerst guten Rocksänger mit dem besonderen Look und den starken Moves? Die Antwort ist ganz simpel: gar nicht. Linkin Park suchen nicht nach einem anderen Mann, der das kann. Stattdessen wählen sie eine Frau. Schlau. So geht man den Vergleichen zwar nicht komplett, aber doch so gut wie möglich aus dem Weg. Sicherlich wird einem auf Ewig ein “In the End” oder “Numb” mit der Originalstimme besser gefallen, aber mit Emily Armstrong aus Los Angeles, bekannt als Frontfrau der US-Alternative-Band Dead Sara, hat man nun eine Sängerin an der Seite, die technisch auf jeden Fall fähig ist, die Diskografie zu singen und gleichzeitig den Sounds einen neuen, eigenen Anstrich zu geben. Fairer kann eine Lösung gar nicht gefunden werden.

Seit einem Jahr steht man gemeinsam im Studio. Selbstverständlich wurde die Breaking News lange streng geheimgehalten, auch dass an den Drums fortan Colin Brittain sitzt. Beide neuen Member sind in den Schreib- und Aufnahmeprozessen des Comebackalbums From Zero involviert, hier wird eine neue Sängerin nicht als Gästin verstanden, sondern als gleichwertiger Ersatz. Als im September 2024 die Bombe platzt, die Rückkehr angekündigt wird und parallel der erste Song “The Emptiness Machine” droppt, wackelt kurzzeitig mal wieder die Welt. Als ob doch noch 2000 wäre und Legenden eben nie sterben.

Aufgekratzte Wunden tun trotzdem kurz weh. Chester fehlt immer noch. Gleichzeitig gibt sich aber die Leadsingle unglaublich viel Mühe, den richtigen Ton zwischen Nostalgie, Weiterentwicklung und Neuanfang zu treffen. Schließlich handelt es sich auch um den ersten wirklich neuen Song seit über sieben Jahren. “The Emptiness Machine” schafft erstmalig in der Karriere der Band den Sprung an die Chartspitze in allen drei deutschsprachigen Ländern. Total mit Recht. Ein Comeback, das wahnsinnig gut funktioniert. Zunächst bauen sich gewohnte elektronische Klangteppiche mit starkem Industrialsound auf, Mike Shinoda klingt unverkennbar, gleichzeitig sehr melodiös. Der Refrain setzt sofort Endorphine frei, bis schließlich in der zweiten Strophe die noch frische Stimme von Emily dazukommt und sofort matcht. Ein Song, der an alte Hörgewohnheiten andockt und den oft zu langweiligen Farben im breiten Mainstream old schooligen wie frischen Rockwind einhaucht.

Mike Shinoda selbst sagt, dass From Zero die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem Album zusammenbringen möchte. Die zwei neuen Mitglieder seien beide rund zehn Jahre jünger als der Rest und haben ganz andere Hörgewohnheiten und Arbeitsprozesse, die dem Ganzen aber nur Postives einbringen. Nur so klappt es, überhaupt neu durchzustarten. Erste Shows sind trotz extrem knapper Ankündigung von nur wenigen Wochen vorab sofort ausverkauft, mit offenen Armen begrüßt man die Rückkehr des Sextetts auch auf die Bühnen der Erde. Die Messlatte an das neue Album liegt verdammt hoch, wahrscheinlich sogar wesentlich höher als an die letzten, oft ja auch gar nicht mehr so geilen Alben mit Chester – sorry for that. Denn wie wir ja alle wissen, speichert man von nostalgischen Musiker*innen sowieso nur die richtigen Kracher ab, romantisiert das Zeug enorm, hat den mülligen Output eh vergessen und an Frauen stellt man dazu sowieso nochmal höhere Erwartungen, weil unfaires Patriarchat. Das Ergebnis ist… solide.

Ganz ehrlich: Das hätte ein Hammer werden können. “The Emptiness Machine” und auch das nur einige Nuancen schlechtere “Heavy is the Crown” eröffnen fest verschlossene Türen zu den good old Times, bringt die Ü30-People zurück in den Moshpit und auf die Halfpipes. Hier darf schamlos das Autoradio aufgedreht werden, Schnulli-Schämmomente wie “Shadow of the Day” oder “Heavy” werden erfolgreich verdrängt und Linkin Park wieder mit Stolz als eine der Wieder-Lieblingsbands angeführt. Doch leider hält From Zero dem Ganzen nicht richtig stand. Zwar spart man sich Totalausfälle, aber des Weiteren auch richtige Banger. Der Rest ist akzeptables, mal ganz gutes, oft aber auch nur nettes Material zum Durchhören.

Etwas zu theatralisch dröhnt das Intro mit Chören durch die Boxen. Außerdem wird in den 31 Minuten, die sich in elf Tracks splitten, entschieden zu oft geblabbert. Dialoge aus dem Studio sind im Intro ok, aber müssen dann nicht gleich noch ein paar Mal wiederholt werden. “Cut The Bridge” baut gut auf, zündet dann aber die Lunte nicht an, sodass die lauten, treibenden Drums das einzig Markante bleiben. In “Over Each Other” gibt es von der klaren, melodischen wie aggressiven Stimmfarbe Emilys die volle Bandbreite an Möglichkeiten, allerdings fährt man immer haarscharf an der etwas vor sich her dümpelnden Langeweile-Kitsch-Grube vorbei. Den Gegenentwurf dazu liefert die Shouting-Auf-die-Fresse-Nummer “Casualty”. Sie bietet zwar harten Screamo, den die ursprünglichen Linkin Park-Fans wohl geliebt haben, ist allerdings im Vergleich zum Rest besonders dünn im Songwriting, weil nach zehn Sekunden eigentlich nichts Erwähnenswertes mehr passiert. Auch das elektronische Soundgefrickel in “Overflow” hat zu viel Democharakter, da wär mehr gegangen.

Dann wird jedoch nochmal gut angezogen, sodass “Two Faced” besonders im Beat klar nach Linkin Park-Hit klingt und die eingängige Hook hängenbleibt. Mit “Stained” gelingt sogar das “Noch nicht Single”-Highlight. So darf man sich die Zukunft der Band durchaus vorstellen. Wenn EDM auf Trip-Hop, Pop-Melodie auf Rap trifft und dazwischen mitgestampft wird. Sehr geil. “Good Things Go” ist ein reduziertes “Numb” oder “In The End”. Stadionrock, dramatisch, die typische Rockballade zum Rauswurf. Ohne Ecken und Kanten.

From Zero geht es kein zweites Mal im Wimpernschlag auf 1000. Das schaffte eben nur “Hybrid Theory”. From Zero ist eine gut produzierte LP, die keinesfalls die schlechteste ist, die Linkin Park jemals gemacht haben, aber eben auch nicht die beste. Ein wenig zu berechenbar, ein wenig zu monoton. Enttäuschen tut’s trotzdem nicht. Mehr Mut oder noch besser ausgearbeitete Hymnen gingen aber auch. Und wo das bisher ist, kommt noch einiges mehr. Safe. Habt ihr schon Angst vor dem Vorverkauf zur Sommertour? Wir drücken die Daumen.

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