Heisskalt im Interview: Von Pause und Rückkehr

Heisskalt Backstage auf dem Bonner Green Jucie Festival 2024.

Ein Durcheinander aus Scherben, frisch in Einzelteile zerborsten. So fanden Mathias Bloech und Marius Bornmann ihre Band Heisskalt vor, nachdem diese frisch vom Trio zum Duo geschrumpft war. Entsprechend existentiell war die aufkeimende Frage, die sich auftat: Wie umgehen mit einer solchen Urkatastrophe? Bloech und Bornmann erschlossen sich eine nahezu romantische Antwort auf diese Frage. In Kurzform lautet sie in etwa so: Die Augen schließen und einen tiefen Atemzug nehmen. Dann die Scherben Stück für Stück beisammen kehren und zusammensetzen. Scheint dabei ein schwer ersetzbares Stück abhanden gekommen zu sein, nicht beirren lassen. Im Vertrauen, dass ebenjenes zentrales Stück – auch wenn es sich dabei um den eigenen Gitarristen handelt – irgendwie, irgendwo, irgendwann wieder auftauchen wird. Und tatsächlich: Schlussendlich fand doch alles wieder zusammen.

Von alldem – dem Zerbrechen, Zusammensetzen, Zusammenfinden – erzählt Bloech an einem lauen Augusttag. Er hockt sichtlich erschöpft auf einer Couch in einem stickigen Backstagecontainer. Soeben hat seine nun wieder vereinte Band auf dem Bonner Green Juice Festival den ersten großen Festivalauftritt seit sechs Jahren gespielt. Es war eine intensive Konzertreise durch die Vergangenheit mit einer selten spürbaren Energie zwischen Band und Menge, gespannt durch das dicke Seil der Musik. Bloech, der nicht nur erschöpft, sondern auch erfüllt wirkt, wird anschließend von einer “reinigenden Qualität”, von Abstinenz jeglicher Aggression sprechen.

Die Band aber blickt nicht nur zurück, sondern auch nach vorn. Man ist nicht mit leeren Händen zurückgekehrt, sondern mit einem neuen Album. Ein erster Einblick in die Welten von “Vom Tun Und Lassen”, wie dieses heißt, ist wenige Wochen vor dem Konzert unter “unglaublicher Resonanz” aus den Trümmern des Zurückliegenden auferstanden. “Wasser, Luft und Licht” tauft sich dieser erste geradlinige Vorgeschmack und Gesellschaftskommentar. Er wird selbstverständlich ebenfalls gespielt und bereits lautstark rezitiert. Wir resümieren deshalb später gemeinsam: Die durchaus nachvollziehbare Sorge zur “eigenen Coverband” zu werden, also einem Gefangenen der Vergangenheit, scheint unbegründet. Und auch ganz generell ist der bisherige Wiederhall auf die Rückkehr Heisskalts unerwartet groß – und nicht von kleiner Bedeutung für die Band. Bloech sagt: “Ich versuch ganz tief zu kommen an Sachen, die in mir stecken oder die ich in der Welt sehe. Damit eine solche Resonanz zu finden und die nach so einer langen Zeit auch plötzlich wieder zu haben, war krass wichtig für uns.”

Der Kontext: Pause, die Erste

Doch zurück zu der einst misslichen Lage. Auch auf der Bühne fällt ein Satz, der auf diese hinweist. “Es sah so aus als würde der Karren nie wieder angehen”, stellt Bloech dort resigniert fest. Doch was war geschehen? Um das zu verstehen, muss man weit zurück reisen. Zunächst in die Jahre 2017 und 2018. Hier häufen sich unglückliche Umstände. Heisskalt trennen sich von ihrem ehemaligen Label und versuchen als Gegenreaktion auf diese Kämpfe anschließend so unabhängig wie möglich zu funktionieren. Das dritte Studioalbum “Idylle” wird daher lediglich über den eigenen Shop vertrieben und in der Digitalversion kostenlos angeboten. Die Folge: Überforderung und finanzielle Sorgen. Hinzu kommen persönliche Umstände, die im Guten (Nachwuchs) wie im Schlechten (Trennungen) Kraft fressen. “Es kam einfach alles zusammen”, fasst Bloech beim Blick zurück zusammen. Ein unglücklicher Unfall dann bringt das Fass zum Überlaufen: Auf einem Festival bricht sich Gitarrist Philipp Koch im August 2018 bei einem Sturz das Schlüsselbein. Hatte man vorher schon besprochen bald eine Pause einzulegen, um Druck vom brodelnden Kessel zu nehmen, so beschließt man diese nun vorzuziehen. Über die sozialen Medien geben Heisskalt anschließend bekannt, dass die eigentlich angesetzte Tournee ersatzlos abgesagt wird und die Band nun vorerst ruhe. Es ist die erste Bestandsprobe.

Ein Jahr später dann sieht es zunächst so aus als liefe der Motor wieder an. Heisskalt proben und es entstehen neue Songs. Zwei davon bestehen den Test der Zeit und finden nun auch einen Platz auf dem vierten Album der Band. Der bereits erwähnte erste Höreindruck “Wasser, Luft und Licht” weilt unter ihnen. Und auch das knapp zwei Monate später erscheinende “Vampire”. Beide Stücke verbeugen sich vor dem bisherigen Schaffen der Band, doch – so viel sei vorweggenommen – es finden sich auf “Vom Tun Und Lassen” auch genug Momente des offensiven Aufbruchs. Der dritte Vorbote “Mit Worten und Granaten” etwa ist so eindeutig Post-Hardcore-Keule wie kein Heisskalt-Song bislang. Das Eröffnungsstück “Alle Zeit” wiederum nimmt sich minutenlang Zeit, um einen immer dichter werdenden Teppich aus Sound und Emotion zu stricken.

Der Scherbenhaufen: Pause, die Zweite

2020 dann möchten Heisskalt wieder auf die Bühne zurückkehren. Festivals werden gebucht. Das Ende der Pause offiziell verkündet. Es bleibt ein unerfüllter Plan. Die Pandemie spielt dabei eine Rolle. Wichtiger jedoch ist etwas anderes: Die Band verkracht sich über Prioritäten und Gitarrist Philipp Koch steigt aus. Der Grund: Koch ist nicht nur Gitarrist, sondern auch erfolgreicher Produzent und demnach finanziell weniger von der Band abhängig. Es geht also um gefühlte Prioritäten. Bloech und Bornmann stehen nun alleine vor dem Scherbenhaufen, der einmal ihre Band war. Im Backstage-Container fallen dazu tonnenschwere Sätze wie: “Wir wussten gar nicht, wohin mit uns.” Oder: “Währenddessen hat sich das wie Sterben angefühlt.” Sie beschließen zunächst das naheliegende zu tun: Erneut den Pausenknopf zu drücken und erst einmal durchzuatmen. Immerhin wütet mittlerweile auch noch eine Pandemie. Bloech probiert sich anschließend ebenfalls am Produzieren. Bornmann steigt bei den befreundeten Blackout Problems ein.

Ganz loslassen können die zwei trotz all der Ablenkung nicht. Und so kommt nach einer Weile schlussendlich doch wieder eins zum anderen. Bloech zieht eine Analogie: “Wie das so ist, wenn man verlassen wird: Erst hockt man perplex und schockiert rum, merkt dann nach eine Weile, dass das ja kein Zustand ist.” Sie setzen sich also an den Scherbenhaufen, stoßen auf einen anderen Gitarristen, proben mit diesem. Bloech, schon immer der Kopf hinter den Texten und Songs, währenddessen erarbeitet neues Material. So entstehen die übrigen acht Songs von “Vom Tun Und Lassen” (und so erzählt Bloech: Noch viele mehr). Auch daher ist es ein für die Band ungewöhnliches Album: Der Urheber der Ideen ist zwar derselbe, dessen Kontext jedoch ist ein anderer, auf wackeligeren Beinen stehender.

Anders ist auch der Prozess der Aufnahme. Statt die Instrumentale wie bei den drei kleineren Geschwistern live im Studio mitzuschneiden, schichten Bloech und Bornmann die Songs gemeinsam mit Produzent Simon Jäger Spur für Spur. Der eine trommelt, der andere übernimmt den Rest. In der Konsequenz bleibt so mehr Raum für Perfektionismus. Und es eröffnen sich Möglichkeiten, die sich im ursprünglichen Aufnahme-Setting nicht ergeben. “Vom Tun Und Lassen” klingt daher etwas sauberer als seine Vorgänger, offener und – unerwarteterweise – vielerorts seiner dichten Arrangements wegen intensiver. Für Bloech steht dennoch aufgrund des unromantischen Prozesses bereits jetzt fest: “Die nächste Platte will ich wieder live machen.”

Das fehlende Puzzlestück

Haben Bloech und Bornmann ihre Band also Stück für Stück wieder zusammengesetzt und dieser neues Leben eingehaucht, gar ein neues Album nahezu fertiggestellt, wird ihr Vertrauen darin, dass am Ende doch wieder alles zueinander findet, auf den letzten Metern doch noch belohnt. Denn: Auch wenn die Arbeiten in der neuen Besetzung funktionieren und Bloech nur lobende Worte für Kochs Ersatz übrig hat, ganz richtig fühlt sich das alles nicht an. Immerhin besteht zwischen den zwei Parteien noch Klärungsbedarf. Mitte 2023 telefonieren Bloech und Koch deshalb erstmalig, sprechen sich aus. Sie schaffen es “die Dinge zu besprechen” und die Wogen zu glätten. Es steht das Angebot im Raum, dass Koch – nach Rücksprache mit seinem Ersatz – in die Band zurückkehren kann. Doch Koch will erst nicht. Einige Monate lang ist das der Zustand. Dann nach etwas Bedenkzeit – inzwischen haben sich Bloech und Koch auch persönlich getroffen – entscheidet er sich doch um: Im Frühjahr 2024 ist der Kern von Heisskalt plötzlich wieder komplett. Es ist das “fehlende Puzzlestück”, das nach langer Suche endlich wieder auftaucht.

Dann geht alles ganz schnell. Wie im Rausch schließen sich Bloech und Koch “Tag und Nacht” in einem Berliner Studio ein und nehmen über den existierenden Spuren der Rhythmus-Fraktion alle Gitarren erneut auf. Es ist diese einzigartige Symbiose zwischen dem wilden Melodiespiel Kochs und dem eher technischen Drama-Ausdruck Bloechs, der den Songs schlussendlich mehr Dringlichkeit verleiht. Das obwohl sich inhaltlich keine großen Veränderungen ergeben. Bloech führt aus: “Wenn Phil [Koch] und ich Musik machen, kommen wir tief an einen Ausdruck ran. Das hört man.” Es “bruzzelt” nun also wieder mehr. Zu hören etwa im dichten Soundsturm “Lehnen im Licht”, der mitsamt seiner intensiven Ausbrüche kaum Raum zum Atmen lässt.

Im anschließenden Sommer folgen die Festivals. Im Herbst nun die bislang größte Tour der Bandhistorie. “Vom Tun Und Lassen” sollte eigentlich noch vor dieser erscheinen. Aufgrund einiger Umwege auf den letzten Metern der Produktion, verschob sich dessen Veröffentlichung jedoch auf den Januar. Die anstehende Tour also ist primär eine Zelebration der Wiederauferstehung Heisskalts mit neuem und altem Material. Das passende Resümee dazu gibt Bloech gleich zu Beginn unseres Gesprächs: “Es fühlt sich gerade einfach sehr schön an wieder gemeinsam live zu spielen.” Die Texte jedenfalls habe er bislang nicht lernen müssen. Die seien ihm einfach zugeflogen. Was sich alles so ergibt, wenn man nur fest genug daran glaubt.

Mehr Heisskalt gibt es hier.

Vom “Tun Und Lassen”, das vierte Heisskalt-Album, erscheint am 24.01.2025. Ab kommender Woche ist die Band auf Tour. Letzte Tickets gibt es hier.*

Und so hört sich das an:

Instagram / Website / Facebook

Heisskalt live 2024/2025:

18.11. Frankfurt, Batschkapp
19.11. Hannover, Musikzentrum (ausverkauft)
20.11. München, Backstage
21.11. AT – Wien, Flex
23.11. CH – Langenthal, OldCapitol
25.11. Leipzig, Werk 2 (ausverkauft)
26.11. Berlin, Astra Kulturhaus
27.11. Köln, Die Kantine (ausverkauft)
28.11. Dortmund, JunkYard (ausverkauft)
29.11. Hamburg, Uebel & Gefährlich (ausverkauft)
22.12. Stuttgart, LKA Longhorn (ausverkauft)
24.01. Sindelfingen, Pavillion (Releaseshow, ausverkauft)
25.01. Köln, Yuca (Releaseshow, ausverkauft)

Beitragsfoto von Paul Ambrusch.

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