Birdy – Portraits

birdy portraits

Ende 2019 kam The Weeknd mit seinem “Blinding Lights” um die Ecke und veränderte maßgeblich die gegenwärtige Pop-Geschichte. Auf einmal waren 80er-Synthie-Sounds wieder Trend. Und das auch noch so sehr, dass es der Song schaffte, der meistgestreamte Titel auf Spotify zu werden. Noch krasser: Die zweiterfolgreichste Single aller Zeiten. Direkt nach “Candle In The Wind” von Elton John. Auch Birdy scheint auf dem Dauerbrenner ordentlich gedanced zu haben. Die klingt nämlich auf Portraits so tanzbar, fröhlich und optimistisch wie noch nie.

Müsste die Reihenfolge nicht eigentlich eine andere sein? Erst naiv, dann altklug? Mit 14 sitzt das kleine Wunderkind an ihrem Piano, zockt sich durch die jüngste Indie-Rock-Vergangenheit und liefert durch ihren äußerst fragilen Dream-Pop-Sound eines der besten Coveralben überhaupt. “Skinny Love” oder “People Help The People” waren plötzlich ihre Songs und die Originalen verdrängt. Von diesem Erfolg zehrt sie noch heute. Das ist auf der einen Seite ein Privileg, auf der anderen aber auch ein Fluch, womöglich nie mehr wieder daran anknüpfen zu können.

Probierte sich Birdy nämlich daraufhin ganze drei LPs lang ein wenig selbst zu finden – auf ihrem letzten “Young Heart” aus 2021 war sie so nah am ursprünglichen Sound wie noch nie, damit aber auch gleichzeitig so berechnend wie noch nie – hat sie nun anscheinend das nötige Material gefunden, in der Einbahnstraße doch noch eine Abzweigung zu bauen. Young-Adult-Schwermut on hold, beflügelte Liebesgefühle in die Seifenblasenpistole und ab geht’s.

Ok, nein. Bubble-Gum-Pop ist es wirklich nicht. Zum Glück. Wer es im Frühjahr zur Tour geschafft hat, weiß, dass Birdy ihre Wurzeln nicht verleugnet, sondern eben nur auch in andere Gefilde vordringt, die mehr Indie-Pop sind als Singer/Songwriter, den wir mittlerweile entschieden zu oft gehört haben. Der Weltschmerz tut genug weh, möge uns wenigstens die Musik ordentlich upliften. So schießt direkt das wahnsinnig mitreißende und unglaublich guttuende “Paradise Calling” mit synthetischem Beat in den Kosmos der guten Laune. Springen, als ob keiner zusieht, aufdrehen, als ob keine Nachbar*innen. Wie eine Umarmung ist der Rauswurf bei “Tears Don’t Fall” ähnlich warm, nur etwas melancholischer. Sensationeller Einstieg, sensationelles Ende.

Dazwischen bleibt das Niveau nicht ganz auf der Höhe der Stratosphäre, aber angenehm solide. Diejenigen, die nach dem Motto “Birdy soll bitte Birdy bleiben” leben, finden mit “Your Arms”, “Portraits” und dem noch besseren “Battlefield” klassische Klavierballaden, bei denen der Halleffekt auf volle Pulle gestellt scheint. Die sympathische Sängerin schluchzt mit ihrer tränengetränkten Klangfarbe erneut herrlich schön. Es sind aber eben – genauso wie beim Konzert – die unerwarteten Momente, die vor allen Dingen Birdy ganz viel Ernsthaftigkeit verleihen. Niemand mag mit 27 dieselben Songs wie mit 14. Aus Nostalgie legt man mal das alte Zeugs auf, aber ansonsten geht man weiter. Gerade deswegen funktioniert die Drum-Machine in “Heartbreaker” und der verschachtelte Streicher-Stop-Rhythmus mit Marschanleihen in “Raincatchers”.

Das hat aber gedauert. Auch wenn Birdy nach ihrem self-titled Debüt nie wirklich enttäuscht hat, hat sie es trotzdem gleich dreimal ein bisschen. Aber jetzt scheinen genügend Winter ins Land gezogen zu sein, genug Selbstbewusstsein angehäuft, um mal darauf zu gucken, was man selbst eigentlich möchte. Bei Portraits hat jemand jedenfalls genau im richtigen Moment den Auslöser betätigt.

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