Abzusehen war es nicht. Eigentlich hatte man Sarah Connor 2010 nach ihrem sechsten Album “Real Love” – da war sie gerade erst 30 Jahre alt – abgeschrieben. Der Teenie-Pop war nicht mehr zeitgemäß, die privaten Eskapaden einfach zu viele, um die Delmenhorsterin wirklich ernst zu nehmen. Da halfen auch die ganz großen Gesangskills, die zweifelsfrei schon immer im umfangreichen Maße vorhanden waren, nicht mehr weiter.
Doch mit einer rund fünfjährigen Pause, einem Imagewandel zu ernsteren, erwachsenen Themen und der Bekehrung zur deutschen Sprache gelang eines der fulminantesten Comebacks Deutschlands des vergangenen Jahrzehnts. Das erste Album nach dem “New Me”-Versuch “Muttersprache” (2015) verkaufte sich utopische 1,1 Millionen Mal – Zahlen, die eigentlich schon längst als unerreichbar galten. Die Fans wuchsen mit ihr und fühlten sich von ihren persönlichen Einblicken in ihr Muttersein angesprochen, gleichzeitig kamen sehr viele neue Begeisterte hinzu. Nach zig Tourneen droppte mit “Herz Kraft Werke” im Jahr 2019 die zweite sehr erfolgreiche LP auf Deutsch, die zwar nicht ganz den Erwartungen standhielt, dennoch aber ordentlich funktionierte. Ganz nebenbei schaffte die Künstlerin mit ihrem Hit “Vincent” eine queere Hymne, die es so in der Sprache, die wir alle sprechen, auch noch nicht gab.
Umso erstaunlicher, dass man sich für den dritten Anlauf, der sechs Jahre auf sich warten ließ – die längste Zeit, die ein Sarah–Connor-Album je in Anspruch nahm – von dem Erfolgsteam trennte, das eindeutig den Hauptbestandteil des erfolgreichen Comebacks ausmachte: Das Songwriter-Duo Peter Plate und Ulf Leo Sommer, die zuvor diverse Rosenstolz-Titel schrieben und gegenwärtig mit eigenen Musicals in Berlin für Furore sorgen, lieferte auf “Muttersprache” zehn Tracks (darunter “Wie schön du bist”), auf “Herz Kraft Werke” immerhin noch fünf (darunter “Vincent”) und nun beim neusten Longplayer exakt gar keinen Titel mehr.
Natürlich muss man sich nicht immer an dasselbe Team klammern. Frischer Wind tut gut. Allerdings waren viele der Songschreiber*innen von Freigeistin – was ein unglaublich schrecklicher, überheblicher und fast schon schwurbeliger Titel – auch schon 2019 dabei, lediglich Plate/Sommer sind gänzlich raus. Die, die Hits brachten. Und das scheint eine fatale Entscheidung zu sein. Sarah Connor 2025 ist irgendwie Sarah Connor 2010 – nur halt eben auf Deutsch und nicht auf Englisch.
Mit 17 Songs liefert man in der Menge stark überdurchschnittlich. Über 53 Minuten lang darf man der talentierten Sängerin lauschen und wird nicht mit einem 30-Minuten-Kurztrip kurz mal angefixt. Unbefriedigend ist das Ergebnis leider dennoch. Sarah Connor fand auf und im Meer ihre Inspiration. Ihr Zufluchtsort. Mittlerweile ist sie ziemlich gut im Abnoetauchen, setzt sich für die Rettung der Wässer der Welt sowie den Artenschutz der Orcas ein. Besonders im Sound ist Freigeistin auch ziemlich entspannt. Viele Arrangements wirken synthetisch, haben einen 80er-Retrovibe, fühlen sich leaned back an. Gleichzeitig wirkt das beim Durchhören jedoch fast schon wie Hintergrundmusik am Pool im südeuropäischen Cluburlaub. Sehr seicht, wenig mitreißend, wässrig. Ja, ihre Inspiration der Meere lässt sich wiederfinden.
Die Vorabsingle “Heut’ ist alles gut” spiegelt das Ganze recht gut wider. Das ist nicht schlecht, aber es ist weniger berührend, es fährt weniger in den Körper. Gleich mehrere Songs gehen in sehr ähnliche Richtungen. So sind “Wilde Nächte”, “Souvenir”, “Ich liebe dich”, “Hölle”, “Für immer bei dir” und “For Life” fast schon gegenseitig austauschbar. Es bräuchte dringend intensivere, auch aggressivere Instrumentierungen oder Chöre wie bei einem “Hör auf deinen Bauch” oder einen atmosphärisch stark aufbauenden Clapbeat wie in “Kommst du mit ihr”.
Thematisch dreht sich ebenfalls locker die Hälfte um eher kryptische zwischenmenschliche Erlebnisse. Fremdgehen, One Night Stands, Polyamorie, Girl-Crushes, das Ignorieren von fremden Meinungen. Mit Sicherheit alles Themen, die Sarah mit Mitte 40 beschäftigen, denen jedoch in der Darstellung manchmal die Sympathie flöten geht. Ein gutes Beispiel ist das sehr konkrete “Schlechte Idee”, in dem sie ihrem Partner ihr OK für Sex mit einer anderen geben möchte, es dann aber aus Eifersucht doch nicht hinbekommt. “Geiles Leben”, “Heut’ ist alles gut”, “My French Girlfriend” und allen voran “Ficka” sind aber so selbstgefällig, dass besonders bei letztem der Ausdruck “cringe” schon eine Untertreibung ist. Was soll das?
Exakt zweimal findet die immer noch eigenwillige Persönlichkeit mit ihrer gewissen Aura den richtigen Ton, um Message, Töne und Melodie im Einklang zu bringen. Das absolute Highlight ist das wundervolle “Warum sind wir so?”, das sich sofort gutanfühlt. Authentizität mag zwar auch in anderen Lyrics vorhanden sein, aber hier ist das Positiverleben greifbarer. Ein echt gelungener neuer Connor, auf den man gerne sechs Jahre gewartet hat. Im Anschluss folgen zwei Balladen, die sich um ihr Mitgefühl für ihre Kinder drehen, die älter werden und für die Sarah nicht immer den passenden Rat hat oder nicht weiß, wie und ob sie sie beschützen sollte. Das politische “Herzen in Aufruhr” ist unglaublich empathisch und hätte sich so auch auf den beiden Vorgängeralben stimmig eingereiht.
Außerdem auffällig: Sarah singt oftmals äußerst luftig. Richtig gebeltet wird nur noch wenige Takte lang. Die “Alter, ist die gut”-Aufblitzer wie ein “Anorak” oder “Ruiniert” sind auch auf Freigeistin komplett ausgelassen worden. Sehr bedauerlich. Nach sechs Jahren ohne Album kommt eine der größten Stimmen des deutschen Musikbusiness mit einem doch sehr belanglosen Werk daher, das sich besonders im Sound und in der leeren Produktion gar keinen Gefallen tut. Dabei hat sie sich doch so krass entwickelt und sich enorm viel Respekt aufgebaut. Freigeistin fehlt es hingegen an herausstechenden Hits. Ob das gut in den Charts performt – und die sind für Sarah Connor eindeutig sehr relevant, ebenso auch Einsätze im Radio – bleibt abzuwarten, die ersten Singles deuteten schon einen Flop an. Einzeln betrachtet eine okaye LP, im Kontext mit den beiden Vorgängern wiederum schon arg ernüchternd. Aber zumindest laut dem Song “Ficka” scheint ihr das ja vermeintlich eher egal zu sein.
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