Runde 4 in unserem Plattenkrach-Special mit dem Motto “2015”. Da ging im November einerseits diese wunderhübsche Seite online und gerade einmal zwei Wochen später mit “Musik ist keine Lösung” das nächste Alligatoah-Album an den Start. Davon war besonders Christopher sehr begeistert. Lucie ist bekanntlich eher in düsteren, lauteren Gefilden unterwegs. Passend zum anstehenden neuen Longplayer des Herrn aus Lingen, das am 25.3. erscheinen soll, also ein Battle zwischen zwei Menschen mit sehr unterschiedlichen Geschmäckern.
Christopher erinnert sich:
Mit Hip-Hop hab ich’s ja nicht so. Beziehungsweise – eigentlich auch generell nicht mit Rap. Allerdings bin ich immer für Künstler*innen offen, bei denen ich irgendwie etwas Besonderes entdecke, was mich dann begeistert. Exakt so war es im Sommer 2014, als ich beim Juicy Beats-Festival in Dortmund ein Praktikum machte und dort Alligatoah als einer der Headliner auftreten durfte.
Zwar hatte ich Songs wie “Willst du” oder “Amnesie” schon mal gehört, aber wirklich nur sehr beiläufig wahrgenommen. Zur Vorbereitung aufs Festival legte ich mir dann jedoch sein Album “Triebwerke” zu – damals musste man noch Geld für ein konkretes Album investieren, um es hören zu können -, was daraufhin Wochen lang in meinem Auto lief. Die Kombination aus wirklich smartem Wortwitz, äußerst Ohrwurm-lastigen Melodien und einer Person, die die Texte dazu auch noch vernünftig artikuliert, gefiel mir echt gut und war erfrischend anders.
Mit dem Nachfolgewerk Musik ist keine Lösung hat der eigenwillige, merkwürdige und gleichzeitig fesselnde Künstler mich noch eine Spur mehr überzeugt. In meinen Augen hat jenes Album das, was ich bei Alligatoah am meisten mag, am besten transportiert. Im Vergleich zu den ersten EPs und LPs, die ich mir im Nachhinein auch alle angehört habe, mag zwar der Hip-Hop-Charakter ordentlich flöten gegangen sein, dafür ist aber die musikalische Qualität ganz klar die bisher stimmigste.
Dabei dürfte man bei dem Namen Musik ist keine Lösung eher wohl anderes erwarten. Lukas Strobel, wie der Herr hinter dem facettenreichen Alter-Ego Alligatoah heißt, erzählt im großen Finale, dass Musik eben nicht dieses Ding ist, was den Weltfrieden bringt. Man sollte nicht erwarten, mit dem einen Hands-Down-Track auf ewig sich ein Denkmal gesetzt zu haben, welches überhaupt irgendwen tangiert. Und genau diese irgendwie schwermütige Stimmung zieht sich durch die hervorragende und sehr runde, gute Dreiviertelstunde.
Was Musik ist keine Lösung so unglaublich gut und gesamtkunstwerkig macht: In den Beats ist nahezu jeder Titel mitreißend, voller good Vibes, steckt auch beim Autofahren zum Mitwackeln an – textlich ist jedoch graue Wolken. Vielleicht sogar schon Unwetter. Die gesamte LP ist wunderbar politisch, sozialkritisch, sich selbst hinterfragend und thematisch vielfältig. Ob der unersättliche Schönheitswahn (“Du bist schön”), das unüberlegte Vergeuden von Ressourcen (“Lass liegen”), charakterliche Veränderungen durch Alkohol (“Teamgeist”), das Erpicht-Sein ständig die volle Peilung zu haben (“Hab ich recht?”) oder oberflächige Beziehungen ohne jegliche Verpflichtung (“Gute Bekannte”) – selten schaffte es ein dermaßen breitgefächerter Inhalt textlich wie melodisch exakt gleich zu begeistern.
Ob “Denk an die Kinder”, “Du bist schön” oder “Vor Gericht” – das sind Songs, die sich festbeißen und nicht so schnell abhanden kommen. Die man im Alltag singt, weil sie einfach so eingängig klingen. Doch der Kniff, dass man nach 15 Titeln sich einerseits groß unterhalten, andererseits aber ertappt fühlt und den Inhalt als Diskussionsgrundlage im Freundeskreis nutzt, ist erstklassig. Leichtfüßig-herunterziehende Kost. Ein Aha-Moment, wenn man’s plötzlich spürt.
Mit Sicherheit bietet Alligatoah Angriffsfläche, ist für Hip-Hop-Fans zu poppig, für Pop-Liebhaber*innen oft zu kantig plus anstrengend und für Singer/Songwriter-Anhänger*innen schlicht zu dick produziert. Doch eben genau dieses Unangepasste, etwas Alberne, dem aber so viel Wahrheit und ganz besonders scharfsinnige Beobachtung beiwohnt, ist nahezu konkurrenzlos. Alligatoah hat ein Alleinstellungsmerkmal. Und wer kann das von den chartfähigen Deutschen groß von sich behaupten.
Lucie sagt dazu:
Bisher habe ich es irgendwie erfolgreich geschafft, mich nicht mit Alligatoah auseinanderzusetzen. Und das obwohl der Musiker Namens Lukas Strobel gar nicht mal so unbekannt ist. Aber er singt halt auf Deutsch, womit ich generell nur sehr schwer warm werde. So richtig haben das nur Kraftklub bei mir geschafft. Allerdings lag das wohl an den etlichen großartigen umsonst-und-draußen Auftritten, bei denen ich die Band kennengelernt hatte.
Alligatoah habe ich jedenfalls bisher nicht live erlebt und mir kommt auch nur ein Song in den Kopf, den ich kenne. „Willst du“ von dem Album „Triebwerke“ aus dem Jahr 2013 lief wohl auf der einen oder anderen Party. Das ist mir nicht besonders gut aber auch nicht besonders schlecht in Erinnerung geblieben. Hier soll es jetzt aber um den Nachfolger Musik ist keine Lösung gehen. Der Titel lässt schon mal jede Menge Ironie erahnen.
In der Tat musste ich mir 15 Lieder anhören, die mich zugegebenermaßen auch zum Lachen brachten. Wortwitze, Mehrdeutigkeit, Sarkasmus und unterschwellige Gesellschaftskritik erinnern stark an das Programm einer Comedy Show. An einer solchen könnte ich gar Gefallen finden.
Das Album bietet nämlich einen vollen Katalog an hitzigen Themen. So zum Beispiel Umweltverschmutzung in „Lass liegen“ und vorgeschobener Gleichgültigkeit in „Gute Bekannte“. Dazwischen fädelt sich der ulkige Dreiteiler „Mama, kannst du mich abholen“ ein. Das würde fantastisch als Gag-Reihe funktionieren.
Als Songs verpackt geht mir das Ganze allerdings extrem auf die Nerven. Alligatoahs Singstil ist super anstrengend und die Musik teilweise sehr penetrant. Im Allgemeinen ist mir Musik ist keine Lösung irgendwie zu erzwungen gut gelaunt. Aber vielleicht könnte mich ein Festival-Auftritt ja noch überzeugen.
Mehr Plattenkrach: Hate it or love it – was für den einen ein lebensveränderndes Monumentalwerk ist, ist für die andere nur einen Stirnrunzler wert! Ein Album, zwei Autor*innen, ein Artikel, zwei Meinungen! Mehr Auseinandersetzungen findest du hier.
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