Plattenkrach: Gerard – Blausicht

Der Plattenkrach unternimmt bereits zum zweiten Mal einen Ausflug in den Deutschrap: Nach K.I.Z. ist nun der Österreicher Gerard mit seinem Album „Blausicht“ dran. Für Emilia ist die Platte ein absolutes Meisterwerk und kaum noch aus dem musikalischen Alltag wegzudenken, Andrea sieht das jedoch ein klein wenig anders…

Emilia findet:

Gut fünf Jahre ist es nun her, dass Gerard sein Quasi-Debüt „Blausicht“ veröffentlichte. Und dennoch vergeht bei mir seitdem kaum ein Tag, kaum eine Woche, kaum eine Lern-Session, kaum eine Auto- oder Zugfahrt ohne mindestens einen Song dieser grandiosen Platte zu hören. Ich kann wohl ohne zu übertreiben behaupten, dass das Album zum engsten Kreis meiner All-Time-Favorites gehört, unzählige Zitate der Songs zieren die Wände meines Zimmers und ich kann jeden der Texte im Schlaf mitrappen. Aber was macht diese Platte für mich so besonders?

Fangen wir von vorne an: 2007 veröffentlichte der Rapper, der mit bürgerlichem Namen Gerald Hoffmann heißt, sein Debütalbum „Rising Sun“. Damals noch unter dem Künstlernamen „Gerard MC“. Es folgten zwei weitere Platten bis der Österreicher sich 2013 entschloss, das „MC“ in seinem Namen abzulegen, sich nur noch Gerard zu nennen und somit seine vierte Platte, quasi als Zweit-Debüt, unter neuem Namen zu veröffentlichen. Auch technisch und stilistisch hatte er sich zu dieser Zeit umorientiert und rückte vor fünf Jahren, als ich gerade angefangen hatte, mich für Rap zu interessieren, genau zum richtigen Zeitpunkt in mein Bewusstsein.

Man kann schon fast von einer Liebe auf den ersten Blick sprechen: Gerards Texte, die mal ruhigen, mal treibenden Beats und seine Art, in Songs Geschichten zu erzählen begeisterten mich sofort, weshalb „Blausicht“ für mich immer noch ein persönliches Meisterwerk ist, das mich einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort erwischt hat.

Startet die Platte mit dem zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftigen, aber dennoch genialen, Titeltrack „Blausicht“, werden einem schon kurz darauf in den Uptempo-Nummern „Wie neu“ oder „Zünd den Regen an“ hämmernde Bässe um die Ohren gehauen. Mit „Alles jetzt“ und „Lissabon“ folgen daraufhin auch schon meine zwei absoluten Lieblingssongs der Platte, die ebenso wie „Atme die Stadt“ wiederum mit eingängigen Beats punkten können. Der Sound ist dabei durchweg geprägt von futuristischen Klängen, Synthesizern, Drums, sphärischen und elektronischen Elementen.

Alleine der Beats und der guten Produktion wegen, könnte man „Blausicht“ also schon als ein Meisterwerk betiteln, aber so leicht gibt sich Gerard nicht zufrieden: In melancholisch anmutenden Texten über Aufbruch, Neuanfang, Glück, Orientierungslosigkeit und Hoffnung greift er genau die Themen auf, die die Generation Y beschäftigen und mit denen sie sich identifizieren kann. Hinzu kommt, dass er die Dinge beim Namen nennt. Statt bildhafter Sprache, übertriebenen Metaphern und Umschreibungen, bei denen hinterher doch keiner so genau weiß, was gemeint ist, erzählt er Geschichten aus dem Alltag, benutzt Storytelling um seine Botschaft rüberzubringen.

Doch fernab von motivierenden, kritischen oder zuversichtlichen Songs zeigt Gerard, dass er auch anders kann: Auch wenn man natürlich keinen der Tracks der Platte als wirkliche „Gute-Laune-Hymne“ betiteln würde, stehen ihm gerade auch die wirklich ernsteren Titel gut. Fast hat man sogar das Gefühl, dass er sich mit Songs wie „Verschwommen“ oder „Nichts“ auf eine gewisse Weise selbst therapiert und seine Gefühle verarbeitet. Und gerade deswegen kauft man ihm auch jedes seiner Worte ab.

Für mich wird „Blausicht“ wohl immer eines meiner Nummer-Eins-Alben bleiben und mich wie schon bisher durch sämtliche Höhen und Tiefen des Alltags begleiten. Denn wozu sonst würden sich die Songs der Platte auch besser eignen?

Andrea erwidert:

Gerard – ja, hab ich schon mal gehört. Ein konkretes Lied könnte ich aber nicht benennen. Ganz unvoreingenommen ging ich also an diesen Plattenkrach und nutzte die nächstbeste Autofahrt, um mich durch die 13 Songs das Album „Blausicht“ zu hören.

Der gleichnamige Opener kam für mich ein bisschen schwerfällig und düster rüber, war aber im Großen und Ganzen okay. Der zweite Track „Wie neu“ konnte mich da schon eher für sich gewinnen. Ein guter Beat, eingängiger Text, da konnte man schon mal mit dem Kopf mitnicken. Nach ein paar Songs wandelte sich meine Stimmung allerdings über Ernüchterung bis hin zur Langeweile. Dass die Songs – zumindest beim ersten Hören – alle mehr oder weniger ähnlich klangen, war dabei noch nicht mal das größte Problem.

Was mich eher störte, war die Unstimmigkeit von Lyrics und Musik. Gerard rappte die ganze Zeit von Revolutionen, vom Erobern der Welt und das am liebsten alles jetzt und sofort: Aufbruchsstimmung durch und durch! Nur leider strahlte die musikalische Umsetzung für mich das genaue Gegenteil aus: Da fehlte mir die Kraft und der Druck, der Tatendrang, von dem er die ganze Zeit sprach. Die Schwerfälligkeit, die mir schon im Titeltrack nicht gefiel, zog sich auch durch die meisten der anderen Songs und irgendwie wirkte das alles so, als würde Gerard zwar aufbrechen und etwas verändern wollen, aber den Arsch nicht hochbekommen.

Kurz vor dem Ende kam dann aber doch noch ein kleines Highlight. OK Kid durften ihren Teil zum Song „Atme die Stadt“ beisteuern und rissen mich aus dem Tief, in das mich Gerards Monotonie nach und nach verfrachtet hatte. Oder um die Stimmung der Platte in einem Satz zusammenzufassen: Meine Beifahrerin ist nach 3,5 Liedern eingeschlafen.

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Mehr Plattenkrach: Hate it or love it – was für den einen ein lebensveränderndes Monumentalwerk ist, ist für die andere nur einen Stirnrunzler wert! Ein Album, zwei Autor*innen, ein Artikel, zwei Meinungen! Mehr Auseinandersetzungen findest du hier.

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