Plattenkrach: Korn – Issues

Korn sind Pioniere des Nu-Metal, der Spielart, die heute so verpönt ist und dennoch um die 2000er-Wende herum die erfolgreichste des Metal-Genres war. Dabei gehörten Korn zu den großen Vorreitern – und können bis heute eine große Fangemeinde anlocken. Dieses Jahr feiert „Issues“, das vierte, Stil prägende Studio-Album der Band 20-jähriges Jubiläum. Während Julia sich freut, aus diesem Anlass ihr Lieblingsalbum ihrer Lieblingsband zum gefühlt hundertsten Mal zu hören, begibt sich Lucie in absolutes Neuland – und weiß nicht so recht, wie sie mit dem Ganzen umgehen soll.

Julia liebt die bedrückende Grund-Atmosphäre:

2009 war ich 14 und begann gerade, Musik völlig zu verfallen. Bei einem der üblichen Gänge in den örtlichen Saturn fiel mir eine CD mit einem Bandnamen ins Auge, den ich schon öfter gelesen hatte – die Best Of von Korn. Für einen kleinen Preis schnappte ich mir das Stück, ohne eine Ahnung zu haben, was mich erwarten würde – einen Song kannte ich bis dahin nämlich noch nicht. In kürzester Zeit verliebte ich mich in die Band und kaufte mir direkt alle Alben – bis heute ist es die einzige Band, von der ich über 10 Alben und auch die gesamte Diskographie inklusive aller Veröffentlichungen besitze. Damals wusste ich noch nicht, dass die besten Zeiten des Nu Metal vorbei waren und ich erst Jahre nach dem Hype auf diese Band aufmerksam wurde. Ohne die spöttischen Kommentare der Trve Metal-Verfechter, die gegen Korn und Konsorten austeilten, was das Zeug hält, durfte ich mich noch unbescholten verlieben. Für alle, die die Band noch nie verstanden oder noch nie gehört haben, ist „Issues“ meiner Meinung nach der perfekte Einstieg, um die Einzigartigkeit der Band zu begreifen.

Depressionen sind ein zentrales Thema der Gesellschaft im Jahr 2019 – und der gesamten Diskografie von Korn. Ähnlich wie Post-Hardcore-Bands trägt die Gruppe aus Bakersfield, Kalifornien diese eigenen Emotionen in einem Gewand aus zarten und harten Momenten vor. Ansonsten sind Korn aber, insbesondere auf ihrem kreativen Höhepunkt, extrem wandelbar, was ihren Sound betrifft. Der Titel „Issues“ meint in diesem Fall daher natürlich auch mentale Probleme. Das Album beginnt mit der Soundspielerei „Dead“, in der Frontmann Jonathan Davis einem Hintergrund-Hauchen aus „All I want in my life is to be happy“ ein simples „Everytime again, I feel more dead“ entgegensetzt. Ähnlich positiv gestimmt ist der ganze Katalog der Band, Freunde von Gute-Laune-Musik können eigentlich direkt weghören. „Falling away from me“ ist wohl einer der bekanntesten Songs der Band und wartet mit allem auf, was die Band ausmacht – Beats, die aus üblichen Metal-Mustern ausbrechen und mit Hip-Hop flirten und dann natürlich DER Bass. Reginald „Fieldy“ Arvizu spielt das Instrument wie kein zweiter. So erkennt man Korn-Songs immer nach dem ersten Takt. Davis schmeißt sich mit seiner gesamten Emotionalität in die Songs, was sehr überfordern kann – denn ganz ohne sind die Lyrics nie. Um die düsteren Umstände noch treffender abzubilden, werden die Strophen von „Trash“ nur geflüstert, in „Beg for me“ geht Davis in eine zerbrechliche Kopfstimme über, im Hintergrund immer wieder verstörendes Rauschen und verfremdete Stimmen-Effekte. Jeder, der sich mit Korn auseinander gesetzt hat, weiß, dass Davis in jungen Jahren Opfer einer Vergewaltigung geworden ist. Harter Tobak, der auch in Songs immer wieder aufgegriffen wird: „Hey Daddy“ erzählt aus der Sicht der Täter und geht erst recht durch die wabernden Geräusche und das Flüstern unter die Haut. Nichts für schwache Nerven. Daneben glänzt die Band mit richtigen Banger-Songs wie „Somebody Someone“, „Let’s get this party started“ oder „No Way“, die vor allem durch die sehr abwechslungsreiche Rhythmus-Arbeit glänzen. Und jeder einzelne wird durch Davis‘ Emotionalität noch verschärft – bis im großen Finale von „Dirty“ der Satz „Ready To Blow My Head Off“ das Wabern durchstößt.

Was „Issues“ neben den grandiosen einzelnen Tracks zu einem rundum gelungenen Album macht, sind auch die Interludes. Da wäre „4 U“ ein von Störgeräuschen durchzogenes Liebeslied; „It’s Gonna Go Away“, in dem hinter einer dichten Soundwand aus eben jenem Satz irgendwo Davis seine Panik vor dem Alleinsein herausbrüllt; „Am I Going Crazy“, in dem Davis mit unwirklich krächzender Stimme seiner mentalen Stabilität Abschied nimmt. „Wish You Could Be Me“ bittet um einen Perspektivwechsel, in dem andere endlich die Probleme Davis‘ nachvollziehen könnten.

Zehn Jahre später gehört Korn zu den wenigen Bands, die mir aus den Teenager-Jahren noch sehr am Herzen liegen. Weil sie nicht versuchen, ein Image von harten Metal-Kerlen ohne Herz aufzubauen, weil sie einen absolut unverkennbaren Stil geschaffen haben und vor allem weil sie die Waage aus Ohrwürmern mit Abgeh-Potenzial mit Emotionalität und Störfaktoren meistern wie keine zweite. Und das geht live gleich noch doppelt so sehr unter die Haut! Wenn ihr also mal wieder Lust auf unheilvolle Atmosphäre und eine Menge Gefühle habt – nicht auf die Hater hören und „Issues“ eine Chance geben!

Lucie sieht das Ganze ein wenig anders:

Es ist so weit: Meine erste Runde Plattenkrach. Kaum zu glaube, aber mit KoЯn habe ich mich tatsächlich noch nie auseinander gesetzt. Und das, obwohl mein Musikgeschmack von Metalcore und co. geprägt ist. KoЯn stammen allerdings aus einer etwas anderen Zeit und sind Pioniere des Nu-Metals. Das könnte also interessant werden. Ich gehe auch stark davon aus ein/zwei Lieder zu kennen.

Interessant finde ich „Issues“ dann tatsächlich, aber mir kam kein einziger Song bekannt vor. Ein bisschen schäme ich mich ja schon dafür. Ich konnte die Platte aber wirklich nicht mehr als einmal komplett an einem Stück durchhören, folglich habe ich also nicht viel verpasst. Die depressive Grundstimmung ist definitiv nicht leicht verdaulich. Dabei stört mich der leidende, weinerliche Gesang am meisten. Dieser zieht sich durch das gesamte Album, bricht aber vereinzelt mal in Geschrei aus. Untermalt wird das Ganze durch Horrorfilm-artige Gitarren Melodien, die meist sehr hoch und schrill sind. Würde man diese vom Rest lösen, so hätten sie sich bestens für meine Grusel-Party damals zum Kindergeburtstag geeignet.

Im Vergleich dazu sind die Rhythmen tief und eher stumpf gehalten. Die Lieder drohen durch die langsame Geschwindigkeit langweilig zu werden. Allerdings kompensieren das die dröhnenden Bass-Lines oftmals.

„Somebody Someone“ ist mir nach zehn Liedern dann tatsächlich positiv aufgefallen. Das Lied hält nicht nur eine wirklich verrückte Melodie als Bridge, sondern auch so etwas Ähnliches wie Shouts, wie ich sie mag, bereit. Korn setzen hier auch auf die Wirkung eines Geschwindigkeitswechsels, von dem ich generell großer Fan bin. Toll! Ich war total enthusiastisch als mir dann auch der nachfolgende Song „No Way“ gefiel. Vielleicht hatte ich mich aber auch einfach an den Sound von KoЯn gewöhnt.

Jedenfalls wurde mir der Stil dann doch zu anstrengend und ich war froh als „Issues“ mit „Dirty“ (inklusive eines schrecklich langen rauschenden Outros) endete.

KoЯns Musik ist unbestreitbar außergewöhnlich und dadurch interessant. Ich stieß beim Hören immer wieder auf musikalische Elemente, die ich ganz cool finde. Jedoch ist mir die depressive Stimmung und der Gesang zu anstrengend, um die Band auch in Zukunft mal zu hören.

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Mehr Plattenkrach: Hate it or love it – was für den einen ein lebensveränderndes Monumentalwerk ist, ist für die andere nur einen Stirnrunzler wert! Ein Album, zwei Autor*innen, ein Artikel, zwei Meinungen! Mehr Auseinandersetzungen findest du hier.

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Rechte am Albumcover liegen bei Sony Music.

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