Zum ersten Mal widmet sich der Plattenkrach nun einem vielseits verhassten Genre: dem deutschsprachigen Pop. Mit dabei sind dieses Mal Wir sind Helden mit ihrem Album “Soundso”, eine Band also, die in den 2000ern unzählige große Hymnen wie “Nur ein Wort” oder “Denkmal” veröffentlichten. Während Julia diese als treue Wegbegleiter mit textlicher Finesse empfindet, versteht Jonas die Begeisterung eher nicht.
Julia findet:
Wir sind Helden machen deutschsprachige Popmusik. Mittlerweile laufen den meisten bei der Nennung dieses Genres wohl unweigerlich kalte Schauer über den Rücken, hat es doch in den letzten Jahren ziemlich viel lieblosen Plastikkram an Land gespült. All dies wäre ohne die große Vorgängergeneration um Silbermond, Juli und eben Wir sind Helden wohl kaum möglich gewesen. Während ich zwei von drei dieser Bands und den meisten der neueren Vertreter*innen des Genres so rein gar nichts abgewinnen kann, schlägt mein Herz bei Wir sind Helden höher. Aber wieso genau die Helden?
Vorweg: die Band hat eine große Einstiegshürde, die einige wohl für immer fernhalten wird: Judith Holofernes. Die Frontfrau der Gruppierung hat wohl eine der markantesten Stimmen der deutschen Musiklandschaft. Für alle, die diese Facette der Band wertschätzen können, wartet aber ein vier Meisterwerke starkes Repertoire auf sich, das das Beste in sich vereint, was deutscher Pop im 21. Jahrhundert zu bieten hat. Wir sind Helden galten nie als “cool”, standen nie explizit für eine junge Generation ein, was den Vorteil mit sich bringt, dass sie sich auch nie irgendwelchen Strömungen angepasst haben. Herausgekommen ist nach dem riesigen Erfolg von “Die Reklamation” und “Von hier an blind” und eben auch 5 Jahre vor der bis heute andauernden Auszeit eben “Soundso”. Ein Wort, das so auch für das facettenreiche Schaffen der Band stehen kann.
Als Opener dient “(Ode) an die Arbeit”, ein Song, der mit einem Pop-Song eigentlich nichts zu tun hat, zu groß ist der Spoken Word-Anteil, zu klein die wirkliche Melodie. Mit gewohnt satirischen Texten kritisieren Jean-Michel Tourette und Holofernes die kapitalistische Arbeitergesellschaft und brechen dabei musikalisch in an einen Zwergenmarsch erinnernde Chöre aus. “Die Konkurrenz” und das folgende “Soundso” reihen sich musikalisch in die Riege der gigantischen Bandhymnen ein und formulieren erneut Gesellschaftskritik auf höchstem Niveau. Aber auch die langsamen Songs beherrschen die Helden aus dem Stehgreif. Bei “Labyrinth” oder “Lass uns verschwinden” hat man beinahe Angst, die Platte könnte jeden Moment zerfließen, so zart sind die Töne, so zerbrechlich die Texte, so tieftraurig und bis aufs Innerste entblößt der Song. Die Helden haben aber keine Lust auf stumpfe Liebes- oder Eskapismus-Songs: “The Geek (Shall Inherit)” steht wie kein anderer für die Außenseiter in der Schule ein, “Der Krieg kommt schneller zurück als du denkst” ist schon vom Titel her selbsterklärend und heute wohl noch bedeutender als noch vor 9 Jahren. Wer mit der Musik nichts anfangen kann, sollte doch zumindest einen Blick in die Lyrics werfen: Holofernes gehört ohne Frage zu den größten Texteschreiber*innen der letzten Jahre. Man höre einfach “Labyrinth” und stelle sich eine Miniatur-Judith vor, die ihrem Angebeteten über den Körper hastet und dabei jeglichen Halt verliert – wer dabei keine Gänsehaut bekommt, dem ist auch nicht mehr zu helfen. Die Helden stechen aus dem großen Pop-Einheitsbrei hervor wie keine andere Band. Die Lieder erzeugen Gänsehaut, kritisieren, sind hymnisch, aber auch zerbrechlich, doch sicherlich niemals eins: Plastik.
Jonas sieht das ganz anders:
Ein Album von Wir Sind Helden soll es heute also sein. Gehören die nicht in diese Jupiter Jones / Sportfreunde Stiller schlechter-deutscher-Pop-Rock Riege? Naja, man soll sowas ja nicht zu voreingenommen angehen! Also ab ins kalte Wasser oder auch in „Soundso“, das dritte Album der Gruppe aus dem Jahr 2007.
Der erste Track „(Ode) An Die Arbeit“ verwirrt mich – der klingt irgendwie sowohl musikalisch, als auch von der Art des Gesangs nach Käptn Peng. Song zwei fährt hingegen auf einmal rockigere Klänge auf und erinnert zunächst an eine sehr poppige Version unserer Lieblings-Punker Feine Sahne Fischfilet. In den Strophen trällert Frontfrau Judith Holofernes dann feuchtfröhlich vor sich hin. Was auch die folgenden Songs zusammenhält ist die stets glattgebügelte Produktion, die vor allem den Gesang in den Vordergrund stellt und eben dieses immer eingängige Gesäusel der Frontfrau. Ansonsten treibt sich der Großteil der Stücke um die 120 Beats-Per-Minute herum und besticht eher durch Langeweile, immer gleiche Schlagzeug-Beats und sich im Refrain wiederholende Melodien, als durch Innovation. Hm.
Im Verlauf des Hördurchgangs kristallisiert sich vor allem eins heraus: Die Band macht Pop-Musik, die unter dem Mantel von Gitarre, Bass und Schlagzeug versucht als Rock klarzugehen. Im Mittelteil der Platte funktioniert das auf einmal auch erstaunlich gut! Mit „The Greek (Shall Inherit)“ beginnen Wir Sind Helden ein Trio an Stücken, das meine Aufmerksamkeit kurz wiedergewinnen können. Ja, hier fährt die Band sogar mal ein flotteres Tempo jenseits der 150 BPM auf und erinnert dabei an Kettcar mit einer Frontfrau! Warum man solch einen Song zusammen mit „Endlich Ein Grund Zur Panik“ und „Der Krieg Kommt Schneller Zurück Als Du Denkst“ auf einen Haufen schmeißt, erschließt sich mir jedoch nicht. Ersterer erregt mit seinem verschmitzten Gitarrenriff und der immer wieder mit brechender Stimme „Los, Panik!“ rufenden Sängerin nämlich ebenfalls meine Aufmerksamkeit und letzterem hat man eine echt coole Bassline verpasst. Nach diesen Höhepunkten, verliert sich das Quartett dann jedoch wieder in trägen Melodien und Beats ohne jegliches Alleinstellungsmerkmal.
So bleibt „Soundso“ eine bis aufs Letzte glänzend polierte Platte, die im Mittelteil zu gefallen weiß, ansonsten aber eher zum Schlafen, als zum Tanzen einlädt, was weniger an den einzelnen Songs selber, als an der Zusammenstellung der Tracklist liegen mag. Grundsätzlich scheint die Band sich Anfang der 2000er noch nicht wirklich sicher gewesen zu sein, ob sie doch lieber mittelmäßige Pop- oder eher akzeptable Rock-Musik spielen mag. Wie „(Ode) An Die Arbeit“ in das alles hineinpasst, erschließt sich mir trotzdem immer noch nicht! Vielleicht kann man mir aber auch einfach nicht mehr helfen?
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Mehr Plattenkrach: Hate it or love it – was für den einen ein lebensveränderndes Monumentalwerk ist, ist für die andere nur einen Stirnrunzler wert! Ein Album, zwei Autor*innen, ein Artikel, zwei Meinungen! Mehr Auseinandersetzungen findest du hier.
Und so hört sich das an:
Rechte am Albumcover liegen bei EMI Music.
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