Wenn jemand viel Liebe und Arbeit in ein Projekt steckt und man die Ergebnisse dieser Person für gut befindet, dann sollte man diese auch unterstützen – so einfach ist das. Nicht nur bei Musikern vergessen Menschen häufig, dass sich Songs nicht von selber schreiben und aufnehmen. Erkennt man diesen aufwändigen Prozess nicht an und unterstützt die Musiker nicht, wird es in Zukunft keine Musik mehr von diesen geben. Ähnlich sieht das mit Festivals aus. Der deutsche Festivalmarkt ist hart umkämpft. Vor allem in Nordrhein-Westfalen: Tolle Festivals gibt es viele. Im Rheinland und vor allem im Raum Bonn durften Festivalmacher in der Vergangenheit immer häufiger erleben, was passiert, wenn Menschen einfach nicht mehr zu ihren Veranstaltungen kommen – sie mussten ihre liebevoll organisierten Festivals in den Boden stampfen.
Vor einigen Jahren erwischte dies die Rheinkultur, dann die Rockaue und nun drohte auch das jahrelang auf einer Wiese mitten im Stadtteil Villich stattfindende Green Juice Festival aufgrund mangelnder Ticketverkäufe zum letzten Mal stattzufinden. Verlor man im letzten Jahr einen Tag des erstmals zweitägigen Festivals im Kampf mit dem Wetter, so waren es dieses Jahr eher die Verkaufszahlen, die einem zu schaffen machten. Die Macher baten um Hilfe und legten in einem Statement alle Karten offen: Wer noch weitere Ausgaben der Veranstaltung erleben möchte, sollte sich schleunigst mit dem Ticketkauf beeilen.
Nun lud das Green Juice Festival jedoch noch einmal nach Villich ein, um zwei Tage lang – diesmal wirklich! – auf der abfälligen Wiese hinter Reiheneinfamilienhäusern beste Musik zu präsentieren. Bislang ist noch nicht ganz klar, ob in den nächsten Jahren weitere Ausgaben der Veranstaltung über die Bühne gehen können. Die nächsten Wochen werden darüber wohl Aufschluss geben. Für uns machten die 8Kids aus Darmstadt den Anfang, die knappe 55 Minuten feinsten deutschen Post-Hardcore mit leichtem Pop-Einschlag präsentierten. Das funktionierte einige Minuten sehr gut, entwickelte sich nach einiger Zeit jedoch zu einer etwas eintönigen Angelegenheit. Ein Cover von Herbert Grönemeyers „Der Weg“ konnte hier zwar wieder etwas frischen Wind aufkommen lassen, so ganz mitreißen konnte uns die Band jedoch nicht.
Das sah bei Fjørt aus Aachen später bereits ganz anders aus. Betrat das Trio nach einem sphärischen Klavierintro die Bühne, hatte man uns bereits ab den ersten Tönen des brachialen Openers „Südwärts“. Die Menge wirkte jedoch für die ruhigeren, wunderschönen Instrumental-Parts noch nicht wirklich bereit, vor allem die Moshpitjünger freuten sich aber über die krachigen Riffausbrüche der Band. Hielten sich Gitarrist Chris Hell und Schlagzeuger Frank Schophaus eher im Hintergrund, so gehörte die Bühne mal wieder voll und ganz Bassist David Frings, der, wenn er nicht gerade in sein Mikrofon brüllte, wie vom Blitz besessen von der einen Bühnenseite zur anderen schwirrte. Auch wenn Fjørt doch eher in den engen Club gehören, so kann die Gruppe mittlerweile auch größere Bühnen mit Leichtigkeit einnehmen. Was ein toller Auftritt!
Montreal, die relativ spontan für die amerikanische Punk-Rock-Band Zebrahead eingesprungen waren, gesellten sich da eher wieder auf die Seite der 8Kids und konnten uns nicht wirklich begeistern. Klar, das Publikum ging ordentlich mit und die Ansagen des Trios sind durchaus humorvoll, trotzdem erschien der simple Punk-Rock der Gruppe auf Dauer doch zu einfallslos. Daran konnte auch ein Gastauftritt von Ingo Donot nicht wirklich etwas ändern. Die Donots zogen da bereits wieder ganz andere Karten auf. Von Sekunde eins an gehörte das gesamte Green Juice Festival den Ibbenbürenern. Diese präsentierten ihre größten „Hits“ aus knapp 25 Jahren Bandhistorie, ausgewählte Stücke aus ihrem Anfang des Jahres erschienenen Album „Lauter Als Bomben“ und schrieben einfach mal so einen Song für die nächste Montreal-Platte. Ja, das spontan improvisierte „Peter Punk-Piepmatz“ klänge nach der Band, bemerkten die Donots und forderten gleich ein, dass die Hamburger Gruppe diesen auf ihre nächste Platte packt. Mal schauen, ob diese sich an ihr Versprechen halten! Frontmann Ingo Donot fragte sich kurze Zeit später, ob Bonn nun doch „Köln Süd-Ost“ oder Köln „Bonn Ost-West“ sei und sorgt damit für einige Lacher im Publikum, durfte sich aufgrund der begrenzten Spielzeit in seinen Lobgesängen (jaja, das Green Juice ist noch immer „oberaffentittengeil“!) etwas zurücknehmen. Das tat dem tighten Set der Band gut. So ging ein musikalisch etwas durchwachsener Tag für uns zu Ende. Der nächste sollte da etwas mehr auffahren können.
Der begann mit den Kölnern von Kmpfsprt gleich rasant. 45 Minuten begeisterte das Quartett – wieder mit neuem Schlagzeuger – mit Material aus ihren drei Alben. Vor allem Bassist Dennis Müller schien gänzlich unter Strom zu stehen, schmiss seinen Bass wie einen Spielball durch die Gegend und begab sich in das Auge eines rasanten Circle-Pits. Das feierwütige Publikum des Green Juice Festivals fraß der Band aber auch aus der offenen Hand – viele schienen das Wochenende weniger wegen der Künstler selber, als wegen des staubigen Pogos gekommen zu sein. Dennoch ein energetischer und mitreißender Auftritt der Lokalpunker!
Van Holzen ließen darauf düstere Wolken über den Bonner Vororten aufziehen. Zum Feiern eignet sich die riffgetränkte Musik des Trios nicht wirklich. Vor allem im Moshpit wusste die Menge nicht richtig, wie man sich während der weniger tanzbaren Stücken denn nun zu verhalten hat. Spielten die Ulmer gleich zu Beginn ein neues Stück – mit dem zweiten Album der Band kann man wohl irgendwann im nächsten Jahr rechnen – konzentrierte sich das restliche Set auf ihr Debütalbum und -EP. Wie eingespielt und routiniert die Band ist, ist keine neue Erkenntnis – trotzdem wirkte das Auftreten diesmal noch gewitzter als in den vergangenen Jahren.
Die zwei Acts, die darauf folgten, passten im Kontrast dazu wohl am besten zu dem Publikum des Festivals. Zunächst durften die Kieler Nun-Bald-Nicht-Mehr-Newcomer Leoniden ran, die mit ihrer energetischen und absolut sympathischen Art nichtmal einen Song brauchten, um die Crowd zum Tanzen zu bringen. Ob Gitarrist Lennart Eicke (haut sich gerne mal die Gitarre auf den Kopf und das Mikro in den Mund), Sänger Jakob Amr (tänzelt leichtfertig zwischen Moshpit und Synthesizer-Konstrukt umher), Keyboard-König Djamin Izadi (verwechselt den vertrackten Indie seiner Band mit New-School-Rap) oder auch die das Fundament schaffende Rhythmus-Fraktion aus Bassist JP Neumann und Schlagzeuger Felix Eicke, hier sitzt nicht nur jeder Ton, sondern auch jede Bewegung. Haben manche Künstler einen herausstechenden Charakter, so kann man sich an dem Quintett förmlich die Augen wund sehen. Dazu gab es eine ordentliche Portion Kuhglocken-Soli und Pyro – was eine durchgängig unterhaltsame Show!
Die Berliner von Von Wegen Lisbeth setzten darauf eher auf schlichte Unterhaltung. Zwar von eindrucksvollem Pflanzen-Bühnenbild hinterlegt, dafür aber voll und ganz auf ihre Musik konzentriert, präsentierte das Quintett neben Vergangenheits-Relikten bereits zwei neue Stücke. Strahlte die Band die volle Ruhe aus, so übernahm das Publikum hier den eskalativen Part. Über den Tag verteilt hatte man bereits viele, vor allem jüngere Menschen in Shirts der Band gesehen. Die Gruppe mag wohl der Grund dafür gewesen sein, dass es am zweiten Festivaltag deutlich voller wirkte als noch am Vortag – 5000 Menschen fanden sich hier wohl auf dem Gelände ein. Dementsprechend gefeiert wurde die Indie-Band während ihres einstündigen Auftrittes auch. Vor der Bühne schien wirklich jeder mit der Gruppe vertraut zu sein. Die gehören in einigen Jahren bereits zu den ganz großen!
Konzentrierte sich der Tag bislang eher auf neuere, aufsteigende Acts, durften darauf ein paar alte Hasen ran. Die Subways – ja, die gibt es noch – sorgten noch einmal dafür, dass es vor der Bühne des Green Juice Festivals ordentlich voll wurde. Auch hier durften die Besucher in den Genuss eines neuen, noch unveröffentlichten Songs des fünften The Subways-Albums kommen. Ansonsten beleuchtete das Trio voll und ganz seine 15-jährige Bandgeschichte. Hits hatte man – außer dem Party-Smasher „Rock & Roll Queen“ – ja eher wenige, trotzdem ging das Publikum löblich mit. Das wurde während des als letzten Song gespielten Übersong mit einem wunderschönen Feuerwerk belohnt.
Zuvor enternten die Festivalmacher ihre Hauptbühne – einige Meter weiter befand sich noch eine kleine DJ-Bühne, die in den Umbaupausen ausschließlich mit elektronischer Musik bespielt wurde – um sich bei den vielen Sponsoren und Gästen zu bedanken. Dabei betonten sie, wie gerne sie auch im nächsten Jahr eine weitere Ausgabe ihres Festivals veranstalten würden. Dafür sei jedoch auch die Unterstützung der Besucher nötig, die sich möglichst früh um Tickets bemühen sollten. Ansonsten könnte sich die Planung der Veranstaltung komplett im Sand verlaufen. Um richtig im Voraus planen zu können ist es eben auch wichtig, zu wissen, mit wie vielen Besuchern man rechnen kann.
Auch in diesem Jahr bot das Festivalgelände neben einer breiten Getränke-Auswahl (von Cocktails über Fritz-Limonaden hin zu Bier gab es alles) ein ausreichendes Essens-Angebot. Hier sind vor allem die äußerst leckeren Teigtaschen mit Dip von Jeyjey’s Nudelwerk hervorzuheben, die zwar stolze sieben Euro kosteten, dafür aber sehr mundeten. Neu war neben diesen altbekannten Angeboten der kleine Campingplatz, auf dem von Donnerstag bis Sonntag einige hundert Green-Juice-Fans Flunky-Ball, Bierpong oder Karten spielten und natürlich auch nächtigten. Ebenfalls neu waren die vielen Kameras, die man auf dem Gelände erspähte, denn der traditionsreiche WDR Rockpalast war erstmals zu Besuch und zeichnete viele Konzerte auf, die im Oktober im Fernsehen zu bewundern sein werden. Einzig die mittig vor der Bühne positionierte dritte Kameraempore wirkte etwas überflüssig und schränkte die Sicht auf die Künstler etwas zu häufig ein. Die könnte man bei erneuter Übertragung eventuell weglassen.
Dennoch entließ uns das Green Juice Festival auch in diesem Jahr wieder mit einem breiten Lächeln und schmerzenden Füßen auf unseren Heimweg. Wer ein solch liebevoll geschnürtes Bandpaket bietet, in solch familiärer Atmosphäre viele Lieblingsbands auftreten lässt und einer eigentlich nicht vorhandenen oder sehr kleinen lokalen Musikszene eine Bühne gibt, der hat es redlich verdient geehrt zu werden. Unterstützt also dieses tolle kleine Festival und sorgt dafür, dass man uns auch noch viele weitere Jahre so schöne Erinnerungen bescheren kann!
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Fotos von Jonas Horn.
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