Schwarzer Himmel über dem Strömthaler See in Großpösna bei Leipzig. Blitze erhellen die verregnete Nacht, der Wind fegt über das Wasser des Sees und die umliegenden Felder.
Im vergangenen Jahr stand das Highfield Festival unter keinem guten Stern – unwetterbedingt konnten weder Bosse noch Headliner Billy Talent bei der rund 35.000 Besucher starken Veranstaltung auftreten und auch Placebo mussten krankheitsbedingt kurzfristig absagen (wir berichteten).
Auch in diesem Jahr werden wir von Blitzen und Regen begrüßt, als wir am Freitagabend leicht verspätet auf dem Festivalgelände ankommen. Wir bahnen uns unseren Weg einmal um die kleinere der beiden Bühnen herum, denn dort, auf der anderen Seite der Stage, befindet sich der Einlass in die erste Welle. Genau in diesem Moment beginnt Rapper Alligatoah sein Set und überrascht damit, dass es sich hierbei „nur“ um sein Akustik-Programm und nicht um einen normalen Auftritt handelt. Da Alligatoahs „Akkordarbeit“-Programm wie eine Art Bauarbeiter-Theaterstück inszeniert ist (inklusive Bühnenbild), wird hierbei verhältnismäßig viel geredet. Für einen Festivalauftritt vielleicht ein bisschen zu viel. Das Publikum singt die altbekannten Songs lautstark mit – bewegt wird sich hingegen eher nicht so viel. Ob das an Alligatoahs Monologen lag oder am Wetter sei aber mal dahingestellt.
Unser Weg führt anschließend auf die komplett andere Seite des Festivalgeländes zum Einlass der größeren Bühne. Die vielen Fans, die im Eingangsbereich stehen geblieben sind, versperren hierbei den Durchgang und der hintere Teil des Stehplatzbereiches bleibt komplett leer. Wir bahnen uns unseren Weg durch die Massen und freuen uns, dieses Jahr nun endlich Billy Talent auf dem Highfield erleben zu können. „Vor genau einem Jahr standen wir hinter der Bühne. Wir hatten uns schon aufgewärmt und dann hieß es, wir könnten nicht auftreten“, berichtet Sänger Benjamin Kowalewicz. „Und heute standen wir wieder hier und dann fing es schon wieder an zu gewittern!“ Doch zum Glück verlief dieses Mal alles besser und die kanadischen Rocker konnten mit einer zufriedenstellenden musikalischen Mischung aus neueren Tracks und diversen Klassikern den Festivalfreitag mit einem Knall und ordentlich Konfetti beenden.
Verpasst hatten wir an diesem Tag leider unter anderem die als Opener der großen Green Stage verbratenen ITCHY, ein Wiedersehen mit den lange verschollenen The Subways, eine ausgelassene Schaumparty mit den 257ers und eine verträumte Romantik-Stunde mit Clueso.
Samstag dann der Plot-Twist: bei strahlendem Sonnenschein betreten wir das Festivalgelände. Von den Spuren des gestrigen Gewitters keine Spur, also gehen wir zunächst zum Highfield Beach – einem waschechten Strand am Strömthaler See. Zwischen sich sonnenden Badegästen und dem obligatorischen Bierstand findet sich hier der so genannte Beck’s Truck, auf dem um 11.30 Uhr Flash Forward den musikalischen Part des zweiten Festivaltages eröffnen. Mit ihrer Mischung aus Pop- und Rocksongs schaffen sie es sogar, die im See schwimmenden Badegäste zum Mitsingen zu bewegen. Das absolute Highlight gibt es dann zum Schluss des Sets: eine ungewöhnliche Wall of Death; Mensch gegen See. Der gesamte Moshpit rennt gemeinsam ins Wasser! Wahnsinn.
Weiter geht es mit den 8Kids, die es mit ihrem atmosphärischen Post-Hardcore leider nicht so richtig schaffen, das spärlich gefüllte Infield mitzureißen.
Kontrastprogramm danach auf der Blue Stage: eben noch als Co-Headliner bei den Parklichtern gesehen, ergatterte Bausa beim Highfield nur einen winzigen Mittagsslot. Immer wieder betont der Rapper, dass er „der Bausa“ sei und geht damit sicherlich nicht nur mir auf den Keks. Musikalisch haut er eine Pop-Nummer nach der anderen raus, singt einen Song „für alle Schlampen“ und bittet sogleich einen Haufen weiblicher Fans zum Tanzen auf die Bühne. Stimmungstechnisch ist der Auftritt von dem Bausa aber spätestens bei der Erfolgssingle „Was du Liebe nennst“ ein ordentlicher Abriss!
Zurück auf der Hauptbühne geht es weiter mit den Sympathieträgern von Fjørt. „Wir reden nicht so viel auf der Bühne. Das ist einfach nicht unser Ding“, erklären sie kurz. Doch die Post-Hardcore-Klänge sprechen für sich und benötigen keinerlei Animationen, um die Fans in ihren Bann zu ziehen.
Swiss und die Andern sind der nächste Act, für den wir nun wieder zur blauen Bühne rennen. Der harte, linkspolitische Mix aus Rap und Punk animiert die Menge schon beim Intro zum Ausrasten und bringt einen Pit nach dem anderen zum Vorschein. Auch Pyro wird gezündet, was die Security direkt einzudämmen versucht. Als zwei Sicherheitsmänner ein auf den Schultern sitzendes Mädchen nach unten zerren und vom Gelände entfernen wollen, unterbrechen Swiss und die Andern sofort ihr Set. „Nehmt ihr die Pyro weg, aber lasst das Mädchen hier!“, betont Swiss und setzt den Song erst fort, als klar ist, dass das Mädchen auch wirklich bleiben darf. „Pyrotechnik ist kein Verbrechen!“, stimmt der gesamte Platz mit ein. Starke Aktion! Musikalisch werden einige ältere und diverse neue Songs präsentiert, die ab dem 24.08.2018 auf dem neuen Album „Randalieren für die Liebe“ zu hören sein werden.
Parallel beweisen auch die Ska-Punker von Sondaschule, dass ihnen das kürzlich erschienene Akustik-Album keinerlei Power geraubt hat und sie noch immer eine energiegeladene Live-Band sind, die die Zuschauer das Tanzbein schwingen lässt.
Auf der kleineren Bühne geht es mit Zugezogen Maskulin weiter, die ihren Soundcheck sympathischerweise noch selbst durchziehen. Während sie ihren Track „Ayahuasca“ austesten, wird bereits der erste Moshpit ins Leben gerufen. Bewegungsfreudig zeigt sich auch Antilopen Gang-Mitglied Panik Panzer, der während der tobenden ZM-Rap-Session einfach mal kurz über die Bühne schlendert und seinen Freunden einen Schluck Fanta vor die Füße schüttet. Kann man mal machen.
Den Weg zu Gloria sparen wir uns aus zeittechnischen Gründen (und weil wir laut Handyschrittzähler an diesem Samstag auch so schon ganze 11 Kilometer zurückgelegt haben!) und verharren stattdessen in der prallen Nachmittagssonne. Belohnt werden wir mit einem grandiosen Auftritt der Antilopen Gang, denen man deutlich anmerkt, dass auch sie wahnsinnig viel Spaß mit ihrer Mischung aus Rap und Rock beim diesjährigen Highfield haben. Für ihr aktuelles Album „Anarchie und Alltag“ hatten die Antilopen eine Bonusplatte aufgenommen, auf der sie ihre Hip-Hop-Tracks mit einigen Gastsängern etwas rockiger gestaltet hatten. Für „Der goldene Presslufthammer“ war dieser Gastsänger niemand geringeres als Ingo Donot, Sänger der Donots, gewesen, der es sich beim Highfield nun nicht nehmen ließ, für eben diesen Track auf die Bühne zu stürmen. Absoluter Abriss!
Wir bekommen noch einen Teil des Sets von Kettcar mit, die zeitgleich auf der Green Stage spielen und erleben dort, wie tausende Festivalbesucher gemeinsam ihre Arme und Stimme gegen Homophobie erheben und sich zu Marcus Wiebuschs Solosong „Der Tag wird kommen“ in den Armen liegen.
Ein Highlight folgt an diesem Tag das nächste und so geht es direkt schon weiter mit den Donots, die kurzfristig für Bad Religion eingesprungen waren, die aus familiären Gründen hatten absagen müssen. Wir geben zu: für uns waren die Donots hierbei eine deutliche Verbesserung des Highfield Line-Ups, denn die Gigs der Band machen eigentlich immer Spaß. Doch was die Donots hier während der Dämmerung abliefern, toppt einfach nochmal alles: das gesamte Festivalpublikum reißt immer und immer wieder Donots-Sprechchöre an, rudert, eskaliert im Mosh- oder rennt durch den Circle Pit. Als Entschädigung für den geplatzten Bad Religion Auftritt gesellt sich Ingo Donot in die Menge und covert dort den Bad Religion Klassiker „Do What You Want“. Für „Alles muss kaputt sein“ revanchiert sich die Antilopen Gang mit einem Gastauftritt und rappt ein Mash-Up zu ihrem Song „Beton“ dazu. Flogging Molly Geburtstagskind Nathen Maxwell gesellt sich ebenfalls für einen Song zu den Donots auf die Bühne und alle haben sichtlich Spaß – sowohl die Zuschauer als auch die Band. Als am Ende des Auftritts die „Donots! Donots! Donots!“-Chöre der Fans noch immer nicht verstummen wollen, gibt sich die Band geschlagen und reibt sich eine Träne von der Wange. „Liebes Highfield Festival… das heute, das war ein ganz besonderer Tag. Uns fehlen noch immer die Worte, für das, was da heute mit euch und uns passiert ist. Vorgestern wussten wir noch nicht mal, dass wir auf dem Highfield spielen würden… und heute habt ihr uns Fünf sowas von unfassbar glücklich gemacht, dass wir nach diesen allesallesalles wegballernden 60 Minuten nur grinsend und heulend vor euch stehen konnten. Umwerfend und einfach nur wunderschön, dass wir das mit euch erleben durften. Der 18.08.18 wird ab jetzt für immer in unserem Kalender angekreuzt bleiben und als ein ganz besonderer Tag in 25 Jahren DONOTS in die Bandgeschichte eingehen.“ heißt es später im facebook-Post der Band.
Auch wir müssen nach dieser Show erst einmal wieder klarkommen und verbringen die Auftritte von Dendemann und Flogging Molly daher in der Nähe der Essens- und Bierstände. Die irisch-US-amerikanische Folk-Punk-Rock-Band schafft es dennoch, uns und viele weitere Festivalbesucher mit Bierchen in der Hand zum Tanzen zu bringen. Bei Flogging Molly kann man einfach nicht still stehen!
Mit neuer Kraft geht es weiter zu Kraftpaket Kontra K, der vor einem überraschend theatralischen Bühnenbild über Muskeln und die innere Stärke rappt. Auch wir fühlen uns nun wieder gestärkt und verbringen eine unterhaltsame Stunde mit den schwedischen Boys von The Hives. In unseren Ohren klingt leider vieles der Alternative-Rocker ähnlich, doch spätestens bei dem gefühlt nie endenden Track „Tick Tick Boom“ sind auch wir überzeugt.
Mit einem gewaltigen Set der Broilers beenden wir unseren Festival-Samstag. Sänger Sammy Amara muss sich hierbei gar nicht groß anstrengen, das ohnehin noch tanzwütige Publikum zur Bewegung zu animieren. Die aus Düsseldorf stammende Punk-Rock-Band beweist einmal mehr ihre Live-Qualitäten, auch wenn für uns die Donots heute als der eigentliche Headliner in Erinnerung bleiben werden.
An Tag Nummer Drei geht es erst mittags mit der ersten Band los. Wir nutzen daher den strahlenden Sonntagmorgen, um das bisherige Highfield-Wochenende Revue passieren zu lassen. Noch immer schwärmen wir von den unglaublich leckeren, gebratenen Teigtaschen und sind begeistert von der Möglichkeit, auf dem Gelände für nur einen Euro ein 0,5 Liter-Tetra Pak bei Viva Con Aqua kaufen zu können. Was uns allerdings richtig nervt, ist der Fußboden. Statt glatter Wiese liegen überall auf dem Gelände riesige Kieselsteine herum, über die man häufig stolpert und die besonders im Moshpit für eher unangenehme Momente sorgen. Auch die weiten Wege zwischen den ersten Wellen der beiden Bühnen nerven uns ein bisschen, sind am Ende jedoch immer noch kürzer als die Laufwege bei anderen großen Festivals, also beschweren wir uns nicht weiter.
Mit der Alex Mofa Gang startet dann schließlich unser musikalisches Programm. Die Berliner Band überzeugt mit deutschem Punk-Rock und eingängigen Melodien. Das Highfield-Publikum verbrennt jedoch gerade in der prallen Mittagssonne und bekommt für seine verhaltenen Bewegungen direkt mal einen Spruch seitens der Band gedrückt, dass sie ziemlich lahm seien. Ein Grund mehr für Sänger Michael Breuninger, auf den Armen der Zuschauer einen Song zu präsentieren und mit einem Salto zu beweisen, wie Abgehen richtig funktioniert.
Im Schatten hören wir der jungen Indie-Rockband Razz zu, wie sie mit ihrem Mix aus Garage und Blues Rock die Zuschauer begeistern.
Weiter geht es schließlich mit einem Auftritt, auf den wir uns sehr gefreut haben: Adam Angst! Nach dem 2015 erschienenen Debütalbum war es nach diversen Live-Auftritten ruhig geworden um die neue Band von Frau Potz-Sänger Felix Schönfuss. Im September erscheint nun endlich die neue Platte „Neintology“ und beim Highfield klangen die bereits gespielten neuen Sachen schon ziemlich überzeugend! Von einem selbstironischen Intro gingen Adam Angst in altbekannte Tracks über und die Stimmung steigerte sich immer weiter, bis sie beim Finale „Splitter von Granaten“ ihren Höhepunkt in einem riesen Pit fand, in den sich auch Sänger Felix gesellte. So und nicht anders sieht ein grandioser Festivalgig aus!
Während sich die eine Hälfte des Highfield-Publikums nun die britische Indie-Rock-Band Maxïmo Park ansah, stolperten viele andere vor dem Einlass zum Festivalgelände über einen türkisen Pick-Up-Truck. Im Rahmen der derzeitigen Promo zum gemeinsamen Album „1982“ haben Headliner Marteria und Kumpel Casper kurzerhand eine Autogramm- und Foto-Session auf dem Festivalgelände organisiert. Zahlreiche Fans versammeln sich vor dem türkisen Gefährt und werden nach einiger Wartezeit mit gemeinsamen Fotos und Umarmungen der Rapper belohnt.
Nicht ganz so zartbesaitet geht es währenddessen auf der Green Stage weiter. ZSK hatten erst kürzlich ihr neues Album „Hallo Hoffnung“ veröffentlicht, mit dem sie das textsichere Publikum nun auch live begeistern.
Wem die Berliner Skatepunk-Band „zu hart“ ist, kann sich stattdessen auf der Blue Stage bei The Wombats akklimatisieren. Entspannte Pop-Nummern, die zum Tanzen einladen, auch wenn wir uns mit den neueren Songs noch immer nicht ganz anfreunden konnten.
Für viele folgt nun das musikalische Highlight des Festivalsonntags: auch Bosse hatte im vergangenen Jahr unwetterbedingt nicht auftreten können. Umso schöner, dass er seinen Auftritt dieses Jahr nachholen kann und sogar spontan noch am Strand als singender Eisverkäufer unterwegs ist! Die Kombination aus tollem Wetter, einer tollen Festivalatmosphäre und den wunderbaren Mitsing-Melodien des Sängers zaubert den Festivalbesuchern ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen. Besonders süß: die auf einem mittigen Podest geparkten Rollstuhlfahrer lassen es sich nicht nehmen, mit ihren Rollstühlen ebenfalls unbekümmert das Tanzbein zu schwingen.
In genau der gleichen unbeschwerten Festivalstimmung geht es bei Madsen weiter. Ebenfalls eine Band, die längere Zeit von der Bildfläche verschwunden war und nun mit einem neuen Album zurückgekehrt ist. Und seien wir mal ehrlich: eine Band wie Madsen macht einfach immer Spaß! Egal ob „Du schreibst Geschichte“ oder „Lass die Musik an“ – man kann irgendwie den Text, singt mit und genießt die Show. Insbesondere der neue Track „Ich tanze mit mir allein“ kam beim Highfield-Publikum besonders gut an.
Ruhigere Töne schlagen die Editors an, zu denen uns langsam aber sicher schmerzlich bewusst wird, dass sich ein wunderbares Festivalwochenende seinem Ende nähert. Mando Diao und vor allem auch Die Fantastischen Vier sind die letzten Acts, die die 35.000 Besucher noch einmal aus der Reserve lockt, ehe es Zeit wird für den Sonntagsheadliner.
Marteria lässt hierbei nichts anbrennen und feuert gleich zu Beginn mit einem opulenten Hitfeuerwerk um sich. Dann die Überraschung: wie am Wochenende zuvor beim Open Flair und dem Taubertal Festival ist auch dieses Wochenende Casper mit auf der Bühne dabei! Aus ihrem am 31.08.2018 erscheinenden Album “1982” performen sie die beiden Vorab-Singles “Champion Sound” und “Supernova“, sowie einen neuen Track: „Adrenalin“. Für die Menge gibt es kein Halten mehr: alle springen und singen und jubeln den beiden Rappern zu. Nachdem Casper die Bühne verlassen hat, folgen die Marteria-Songs, die wohl wirklich jeder mitsingen kann (“OMG!” / “Kids (2 Finger an den Kopf)” / “Lila Wolken“), ehe das Set mit “Feuer” und “Die letzten 20 Sekunden” sein Ende in einer völligen Eskalation findet. Niemand steht mehr still und einen gelungeneren Festivalabschluss hätte sich das Highfield 2018 definitiv nicht wünschen können!
Wow, Highfield Festival – was war das für ein unglaubliches Wochenende? Ein musikalisches Highlight jagte das nächste und HALLO es gibt tatsächlich einen Strand – welches Festival kann das schon von sich behaupten? Wir können allen Festivalfans nur raten, sich den 16.-18. August 2019 ganz groß im Kalender vorzumerken und sich im nächsten Jahr selbst vom Highfield überzeugen zu lassen.
Und so sah das im letzten Jahr aus:
Fotos von Yvonne, Fabio und Chiara – vielen Dank dafür!
* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.