All Them Witches sind wieder in Europa unterwegs und haben gerade ein Konzert in Köln gespielt – schon zum zweiten Mal in diesem Jahr!
Im rappelvollen Luxor überzeugten die Jungs aus Nashville mit ihrem durchaus harten, oft psychedelischen Sound, nachdem das Stoner Rock – Trio “The Great Machine” mit seinem Riffgewitter dem Publikum bereits ordentlich eingeheizt hatte.
Unverkennbar im Repertoire von All Them Witches sind die immer wieder aufflammenden bluesigen Einflüsse.
Am besten ist die Band, wenn sie sich in langen Jams verliert. Wenn sich die Spuren von Keyboard und E-Gitarre ineinander winden. Dann entsteht eine ganz einzigartige Stimmung, die den Zuhörer kaum wieder loslässt.
Wir hatten die Ehre, die Band noch vor ihrem Konzert besuchen zu dürfen. Im Tourbus trafen wir Drummer Robby Staebler, Sänger und Bassist Michael Parks Jr. und den Gitarristen Ben McLeod für ein Interview.
minutenmusik: Ihr habt gerade eine ausverkaufte Show in Paris gespielt. Wie war’s?
Michael (lacht): Es ist immer besser, eine ausverkaufte anstatt einer nicht ausverkauften Show zu spielen. Glücklicherweise haben wir viele Fans in Paris. Der Ort, an dem wir letztes Mal gespielt haben, war nur halb so groß. Da standen draußen Leute, die noch Tickets suchten. Es war irgendwie schwer, das zu sehen, denn wir wollen, dass jeder reinkommt. Jetzt war es nett, der Ort war doppelt so groß und alle schienen gut unterhalten zu sein. Mir gefiel der Veranstaltungsort sehr. (Anm.: Die Band spielte im Club „La Maroquinerie“.)
minutenmusik: Ben, du erwartest, dass es heute Abend laut und ein wenig „rowdy“ wird. Mal ist das Publikum lebhafter, mal ruhiger. Was habt ihr lieber?
Ben: Rowdy.
Michael: Ja, wenn sie da wie Sandsäcke stehen, dann macht das keinen Spaß. Man zieht sich natürlich die Energie aus dem Publikum. Es kann sein, dass man ein gutes Publikum hat, das klatscht und jubelt, aber nur so da rumsteht. Das macht die Stimmung völlig kaputt. Aber Paris war schön, denn alle haben sich bewegt.
minutenmusik: Wie habt ihr das deutsche Publikum in Erinnerung?
Michael: Das deutsche Publikum ist prima. (Ben und Robby stimmen ihm zu.) Für uns ist Deutschland einer der besten Orte, an denen man spielen kann.
minutenmusik: Wie bereitet ihr euch jeden Tag auf das Konzert vor? Habt ihr bestimmte Rituale?
Robby: Wasser. Viel Wasser trinken.
Michael: Whiskey. Viele Zigaretten rauchen.
Ben (lacht): Ich trinke eine halbe Flasche Wein, bevor ich auf die Bühne gehe. Den Rest dann auf der Bühne.
Michael: Wir versuchen, Dehnübungen zu machen, uns etwas zu bewegen. Wir haben keines dieser Rituale, bei dem wir uns an den Händen halten und anfeuern. Wir wollen es einfach und entspannt halten, dann auf die Bühne gehen und Spaß haben.
minutenmusik: Das Tourleben ist ja nicht immer einfach. Wie verändert es euer privates Leben?
Robby: Es gibt viel Zeit, in der nichts los ist. Man muss lernen, mit sich selbst und anderen Leuten umzugehen. Man muss versuchen, nicht harsch zu sein, sondern rücksichtsvoll. Es wird gewissermaßen zu einem selbstlosen Lebensstil. Man lebt lange als kleine Familie unter engen Verhältnissen zusammen. Man versucht, nicht den Verstand zu verlieren, nicht die Klamotten zu verlieren, das Equipment… (Alle lachen.)
Michael: Ich glaube, dass das mit einem Matrosen vergleichbar ist. Der Unterschied ist, dass man mal aus dem Wagen aussteigen und über den Bürgersteig laufen kann. Aber meistens ist man 24 Stunden am Tag mit diesen fünf, sechs Leuten zusammen. Wir leben in diesem oder einem anderen Metallrohr. Oder fliegen in einem Metallrohr. Für manche Leute beutet das, einen Teil ihres Privatlebens aufzuopfern. Wenn sie Familienmitglieder oder andere bedeutsame Menschen um sich herum haben, fällt es ihnen schwer, einen Monat weg zu sein. Für mich ist es nicht so schlimm. Ich gehe gerne auf Tour.
Robby: Ich auch. Ich glaube, wir alle mögen das Touren. Aber es ist auf jeden Fall anstrengend. Es ist nicht die leichteste Wahl eines Lebensstils, doch es lohnt sich sehr.
Ben: Manchmal werde ich traurig, wenn ich lange weg bin. Wenn ich mitbekomme, was zu Hause abgeht, wenn ich an Familienfeiern und anderen Dingen nicht teilhaben kann. Das stimmt mich wahrscheinlich am traurigsten. Wir sind aber nie sechs Monate am Stück weg, das wäre verrückt. Wir sind immer so einen Monat unterwegs, was durchaus machbar ist.
minutenmusik: Auf der Bühne jammt ihr gerne mal. Macht ihr das mit Leichtigkeit oder fordert es hohe Konzentration? Ist es ein Nervenkitzel?
Michael: Wir verbringen zwanzig Stunden in einem Bus und dann hat man ein oder zwei Stunden auf der Bühne. Wenn man da nicht das leistet, wofür man gekommen ist, und keinen Spaß dabei hat, dann macht man es nicht richtig. Wenn man den ganzen Tag unterwegs zur Show ist und dann eine beschissene Show spielt, sich schlecht fühlt und alles hasst, dann hat man seinen ganzen Tag verschwendet. Man verschwendet seine Zeit, wenn man das macht.
Robby: Man muss auf hundert Prozent gehen, sonst zählt es nicht. Ich persönlich sehe jede Nacht als eine weitere Herausforderung an, gut zu spielen, neue Sachen zu lernen und mich gewissen Dingen anzunehmen, die ich schwierig finde. Es geht auch darum, eine Verbindung zu den anderen Leuten zu finden, mit denen wir leben. Die Zeit auf der Bühne ist einfach, wenn man einmal reingekommen ist. Das dauert schon mal ein paar Lieder, aber das Publikum hilft. Gerade auf das deutsche Publikum freuen wir uns.
minutenmusik: Wann wurde euch klar, dass ihr eure Instrumente wirklich gut beherrscht?
Michael: Ich finde mich eigentlich eher mittelmäßig. Aber ich habe Spaß. Ich kann keinen Basswettbewerb gewinnen, aber ich kann das, was wir machen. Das macht mich glücklich. Ich will nicht wie irgendwer anders sein. Ich will bloß meinen eigenen Kram machen.
Robby: Ich fühle mich wohl mit dem, was wir machen. Ich könnte keinen Schlagzeugwettbewerb gewinnen. Keinesfalls. Ich habe mich immer sicher dabei gefühlt, in meinem Stil zu spielen, aber es gab nie einen Moment, in dem ich dachte: „Holy shit, ich bin echt gut!“ Das kommt nicht vor. Es kommt vor, dass ich mich selbst überrasche, wenn ich etwas Neues lerne oder hervorbringe. Ich denke, es geht darum, selbstsicher zu sein und dass man sich wohl fühlt, wenn man vor Leuten spielt.
Ben: Ich treibe Robby gerne so gut wie möglich an. (Er schaut zu Robby.) Du könntest einen Schlagzeugwettbewerb gewinnen!
Robby (lacht): Danke. Ich denke, du könntest einen Gitarrenwettbewerb gewinnen.
Michael: Es geht wirklich darum, dass man lernt, miteinander zu spielen. Robby und ich verlassen uns in der Show sehr aufeinander. Ich denke, dass Ben und Allan (Anm.: Allan Van Cleave, Keyboarder) sehr aufeinander angewiesen sind. Am besten lässt sich das wohl anhand des Monitor-Mixes beschreiben, dadurch, wie jeder die anderen in seinen Monitor-Mix einbaut. Ich habe völliges Vertrauen in das, was sie alle machen. Ich habe völliges Vertrauen in das, was wir machen, anstatt dass ich versuchen würde, in irgendetwas der Beste zu sein.
minutenmusik: Schreibt ihr neue Musik auch auf Tour oder nur im Studio?
Michael: In meinem Kopf schreibe ich ständig neue Musik. Manches bleibt, manches nicht. Ich schreibe nichts auf, wir nehmen auf Tour nichts auf. Wenn sich etwas in einem Jam ergibt, denken wir schon mal, dass wir das nehmen und etwas daraus machen sollten, aber wir singen keine Lieder und schreiben sie nicht nieder. Tatsächlich haben wir unser neuestes Album in vier Tagen geschrieben, weil wir vier Tage dafür Zeit hatten. Wir hatten diese Zeitspanne und mussten fertig werden. Wir mussten nicht all die alten Lieder spielen, wir saßen einfach in einem Raum und haben neues Zeug gespielt.
minutenmusik: Ihr habt mit dem Produzenten Dave Cobb aus Nashville gearbeitet. Warum habt ihr euch Dave ausgesucht?
Ben: Wir hatten überlegt, ob er die „Dying Surfer“- Aufnahme machen soll, aber wir waren unvorbereitet…
Michael: Das fühlte sich noch nicht richtig an. Irgendetwas war merkwürdig. Dann fanden wir heraus, woran es lag – und dann war es einfach, mit Dave Cobb zu arbeiten, nachdem wir das geklärt hatten.
Ben: Ja, bei allem in dieser Welt kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an. Für die Platte, die im Februar erscheint, ergab sich einfach der perfekte Moment, mit einem richtigen Produzenten zu arbeiten. Er hatte einige erstaunliche Ideen. Ich glaube, dass es die am coolsten klingende Platte ist, die wir je gemacht haben. Vieles hängt mit dem Toningenieur zusammen, den er für die Arbeit mit uns ausgewählt hat, diesen Typen namens Eddie Spear!
Es ist nur krass… Ich bin einfach froh, dass das jeder machen wollte, denn wir hatten Angst, unsere ganze kreative Seite aufgeben zu müssen, wenn wir mit einem Produzenten arbeiten würden. Aber stattdessen ist er einfach dem Team beigetreten.
Robby: Er wurde ein Teil der Band.
Ben: Ja, das ist echt cool. Viele Produzenten tun das nicht. Sie sagen: „So kannst du das machen, so kann sich das anhören…“
Michael: Ja, er ist nicht so… Zurück zum Timing! Timing ist alles. Viele Leute wären gleich aufgesprungen. Selbst bei der letzten Platte, als wir kaum vorbereitet waren und keine Songs geschrieben hatten. Viele Leute wären aufgesprungen, wenn sie mit Dave Cobb hätten arbeiten können. Für uns fühlte es sich nicht wie eine Dave Cobb – Platte an. Bei der neuen fühlte es sich mehr danach an.
minutenmusik: Eine weitere Band, die von Dave Cobb produziert wird, sind die Rival Sons. Er nimmt alle ihre Alben auf und sie bezeichnen ihn als fünftes Mitglied. Auch die Rival Sons improvisieren gerne auf der Bühne. Sie proben aber kaum, bevor sie auf Tour gehen. Wie sieht das bei euch aus? Läuft das ähnlich?
Michael: Ja, wir proben nie, wir gehen einfach auf Tour. Es ist lustig – ich wusste nicht, dass sie das so machen.
Robby (schmunzelt): Wir haben mehr mit ihnen gemeinsam, als wir denken.
Michael: Wir tun genau das Gleiche.
minutenmusik: Gibt es Bands, mit denen ihr gerne touren würdet?
Robby (lacht): The Great Machine… Die sind gerade mit uns auf Tour.
Ben: Es wäre cool, mit dieser Band namens JEFF The Brotherhood aus Nashville zu touren. Wir könnten ein co-bill machen, sie sind super krass! Sie scheinen sehr nett zu sein. Ich habe sie noch nie getroffen, aber ich denke, das wäre eine echt coole Show!
Robby: Queens of the Stone Age. Sie wären meine erste Wahl, mit wem ich nächstes Jahr auf Tour gehen wollte.
Ben: Ja, und bei ihnen steht eine neue Platte an.
Robby: Perfekt.
Michael: Ich würde gerne mit Every Time I Die oder sowas in der Art auf Tour gehen. Wenn ich eine Band raussuche, geht es mir um die Textinhalte. Mir gefällt sehr, was ihr Leadsänger macht. Für mich ist er ein moderner Poet, und danach suche ich. Nun, es gibt jede Menge Bands. Wir haben viele Helden. Es wäre richtig toll, mit Sunny Day Real Estate auf Tour zu gehen.
Ben: Es wäre auch cool, mit jemandem zu touren, der keine harte Musik spielt, sondern eher folky klingt. Mir fällt nur gerade keiner ein. Wir können natürlich für irgendwen als Vorband spielen, aber das ist nicht wirklich unsere Sache. Wir haben es zweimal gemacht und ansonsten sind wir der Headliner. Aber wenn Queens of the Stone Age uns mit auf Tournee nehmen wollen, machen wir das.
minutenmusik: Von allen guten Musikern auf der Welt schaffen es nur wenige, so erfolgreich zu werden, dass sie auf eine Europa-Tournee gehen können. Wie habt ihr es dahin geschafft? Was war besonders wichtig: Talent, harte Arbeit oder einfach nur Glück?
Michael: All das. Wir werden oft gefragt, worauf wir unseren Erfolg zurückführen. Ich betrachte das nicht als einen Erfolg. Wir gehen zur Arbeit. Wir haben Spaß. Wir machen das, was wir seit unserer Kindheit machen. Ich fühle mich so wie im Alter von 16, als ich anfing, richtig Musik zu machen. Es wird ein bisschen besser. Das hier ist besser. Es ist besser, wie wir reisen. Wir sind weiterhin unterwegs und spielen. Du betreibst weiter diesen Aufwand, du steckst da Liebe rein. Ich denke, die Leute sehen das. Entweder können sie etwas damit anfangen oder eben nicht. Sie können gerne bleiben, sie können gerne gehen. Ich weiß nicht wirklich, was ich mir unter Erfolg vorstellen soll, aber ich finde, dass es gut für uns läuft.
Ben: Man kann keine Europa-Tour machen, wenn die Leute keine Karten kaufen. Wir sind so dankbar, dass die Leute vorbeikommen und uns sehen wollen, während wir doch so weit weg sind von zu Hause. Sie haben unsere Platten dabei. Das haut mich immer um. Sehr cool.
Michael: Viele Leute buchen eine Europa-Tour, kommen hier raus und verlieren Geld. Sie gehen wieder nach Hause und sind pleite. Sie sagen: „Die Shows waren ok. Ein paar Leute sind gekommen.“ (…) Zum Glück war das Publikum immer sehr gut, wenn wir hier waren, und ebenso die Promoter. Die kümmern sich alle richtig gut um uns. Wir haben gewissermaßen einen guten Draht zu ihnen. Ich bin froh, so weiterzumachen. Ich bin zufrieden damit, dass wir hingehen, wo wir gebraucht werden oder man uns ruft.
minutenmusik: Ich wünsche euch jedenfalls noch viel Erfolg dabei! Hoffentlich könnt ihr bald in noch größeren Hallen spielen. Ich danke euch für dieses Interview.
All Them Witches spielen auch 2017 wieder ein paar Konzerte in Deutschland:
18.09.2017 Berlin, Heimathafen Neukölln
19.09.2017 München, Backstage Werk
11.10.2017 Köln, Gloria
12.10.2017 Frankfurt am Main, Das Bett
So hört sich das an:
Fotos von: Robby Staebler.
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