Es war wie im Rausch als zwischen 2005 und 2010 zuckelige Rhythmen, schrammelige Gitarren und sülzig-eingängige Refrains durch europäische Hallen fegten. Deren Urheber: Die Class of ’05, eine Gruppe vorweg britischer Indie-Rock Bands. Unter ihnen: Bloc Party, die Arctic Monkeys, Maximo Park. Knapp fünf Jahre lang hielt der Hype an. Bis unter die Decke volle Clubs, zunehmend zu groß um als „Clubshows“ durchzugehen. Pogo. Viel Tanz. Herzschmerz. All das kennzeichnende Merkmale der Welle. „Die Shows – etwa die legendären im Hamburger Molotow – waren sehr punky und unkontrolliert. Das hat immer Spaß gemacht!“, reflektiert The Wombats Bassist Tord Øverland Knudsen die Zeit. Auch seine Band gehört zu den bedeutenden Vertretern der Class of ’05.
Nicht all diesen Musiker*innen gelang es nach dem abebben der Begeisterung popkulturell relevant zu bleiben. Doch es gibt Ausnahmen. Zu denen gehören auch die soeben angesprochenen The Wombats, die ihren Sound nach dem mehr oder minder euphorischem Debüt „A Guide To Love, Loss & Desperation“ (2007) schon mit dem Nachfolger „This Modern Glitch“ (2011) nachjustierten. Das war nun Synthesizer-lastiger Indie-Pop, quietschende Schrammelgitarren kamen da nur noch gelegentlich durch. In die 2010er-Jahre passte das, denn Indie überwinterte die Dekade vorweg in einer tanzbaren Melange aus Elektronischem, Gitarrenlastigen und vor allem gutlaunig Tanzbaren. Drei Alben später – man ist im Jahr 2022 bereits beim fünften angelangt – hat das Trio nicht an Relevanz eingebüßt, seinen Fankreis immer wieder neu kalibriert.
Erst Anfang 2021 ging ihr Song „Greek Tragedy“ dank TikTok viral. Über 133 Millionen Plays gab es zum Dank. Knapp 40 Millionen mehr als Bloc Partys „Helicopter“, immerhin einer der Indie-Hymnen der 00er-Jahre. Auch die Konzerthallen, in denen The Wombats auftreten, werden in der Tendenz eher größer denn kleiner. Erst 2019 füllte die Band um Sänger Matthew „Murph“ Murphy, Schlagzeuger Dan Haggis und dem schon zu Wort gekommenen Bassisten Øverland Knudsen die Londoner Wembley Arena. Über 10.000 Fans feierten die Drei da. In diesem Jahr steht sogar die noch eine Nummer größere O2-Arena an.
Wirklich verändert haben sich die Shows für die Band über die Jahre, die größeren Venues, die neugewonnenen Anhänger*innen nicht wirklich. „Am wichtigsten ist uns, dass die Energie stimmt und alle eine gute Zeit haben. Das hat sich nicht im Geringsten geändert und lässt sich auf jede Generation übertragen“, erklärt Øverland Knudsen Anfang Dezember 2021 im Interview zum neuen, fünften Album. Das trägt den Titel „Fix Yourself, Not The World“ und erscheint im Januar 2022. Wir sind per Zoom verbunden. Er sitzt in Oslo, ich in Köln. Wir beide befinden uns dank der Pandemie in Selbstisolation. Familienmitglieder sind positiv getestet worden. Zum Glück geht es allen gut. Es ist einer dieser grauen, kalten Spätherbsttage, an denen die Sonne viel zu früh verschwindet. Perfekt also, um für ein Interview einsam vor dem Bildschirm zu hocken. Doch wir müssen uns beeilen, denn wir haben genau 30 Minuten für unser Gespräch. Eine Plattenfirma-Mitarbeiterin kontrolliert gewissenhaft die Einhaltung des Zeitplans.
Nun nehmen The Wombats also Kurs auf ihr neues Album, das über 15 Jahre nach dem Debüt erscheint. Auf dem vermengt die Band alt und neu. Indie-Rock und -Pop treffen auf dem Sound noch unbekannte Einflüsse, Keyboards treten erneut in den Hintergrund. Hinter die Entstehung dieser Platte wollen wir – der Bassist und ich – im Interview blicken. Wie ist das also mit der eigenen Relevanz: Beschäftigt das einen bei der Entstehung neuer Kunst? Immerhin gibt es die ein oder andere Band aus der Class of ’05-Zeit, die statt mit neuem Material vorweg Jubiläen alter Alben betourt. Und wie entsteht eigentlich so ein Album inmitten einer Pandemie? Immerhin wohnen die drei Wombats mittlerweile auf zwei verschiedenen Kontinenten und in drei unterschiedlichen Ländern.
minutenmusik: Inwiefern spielt diese Relevanz-Sache eine Rolle, wenn ihr beginnt an einem neuen Album zu arbeiten? Ist das etwas, über das ihr nachdenkt und sprecht?
Tord Øverland Knudsen: Nein, wir zerbrechen uns nicht den Kopf darüber, warum wir relevant sind. Wir machen einfach immer das, was wir in den Moment gut finden. Die Richtung, die ein neues Album einschlägt, kristallisiert sich auch erst heraus, wenn wir schon eine Handvoll Songs geschrieben haben. Dann zeichnet sich ein Trend ab, zum Beispiel eine bestimmt Ära oder ein Stil. Das geschieht also nie kalkuliert und immer organisch.
Natürlich variiert über den Schreibprozess hinweg, was uns inspiriert. Es dauert immerhin knapp zwei Jahre ein Album zu schreiben und aufzunehmen. Auf der neuen Platte gibt es beispielsweise einen Song wie „Method To The Madness“, der stark von Lofi-Hip-Hop beeinflusst ist, weil ich das damals viel gehört habe. Und dann gibt es einen Song wie „Flip Me Upside Down“, der eher Inspiration von LCD Soundsystem und den Talking Heads zieht. Das alles spiegelt unterschiedliche Einflüsse.
Sobald wir dann einige Songs beisammen haben, die in eine Richtung deuten, fangen wir an einzubeziehen, was uns noch fehlt – zum Beispiel im Bezug auf das Tempo oder an komplementären Songs. Aber generell reflektiert das Ergebnis des Schreibprozesses immer, was wir in dem Moment gut fanden.
minutenmusik: Soundmäßig entfernt sich „Fix Yourself, Not The World“ einige Schritte von eurem Indie-Pop-lastigen dritten Album „Glitterbug“. Gleichzeitig gibt es auch einige Charakteristika, die eure ersten zwei Alben verbinden: Die Laut-Leise-Kontraste innerhalb der Songs, die Gangshouts. Was war die Essenz, die ihr gefunden habt, nachdem ihre diesmal eine Handvoll Songs geschrieben hattet?
Tord Øverland Knudsen: Die Sachen waren auf jeden Fall Gitarren-lastiger und Synthesizer-armer. Das war teilweise eine bewusste Entscheidung, weil wir live nicht so gerne an die Keyboards gebunden sind. Wir haben daher mehr mit Gitarrensounds gespielt und versucht Gitarren mehr nach anderen Instrumenten klingen zu lassen. Das gleiche gilt für den Bass. Ich muss live jetzt zwei Bässe nutzen, weil die Sounds so unterschiedlich sind. Die Übergänge von leise zu laut spielen da auch mit rein.
Vor der Pandemie waren wir für zwei oder drei Sessions in Murph’s Studio in Los Angeles. Viele der Richtungen, die das Album einschlägt, haben sich schon da herausgebildet. Der erste Song, den wir dort geschrieben haben, war „Ready For The High“. Wir haben uns hier von Beck, den Happy Mondays und den 1990ern generell beeinflussen lassen und Breakbeats genutzt, um all die Einflüsse zu binden. Murph hat außerdem einen super kleinen Gitarrenverstärker. Der ist praktisch nur so groß wie eine Zigarettenpackung und verzerrt den Gitarrensound, sodass er super satt klingt. Fast schon wie ein Saxophon. Den haben wir viel genutzt.
In derselben Session haben wir auch „Method To The Madness“ geschrieben. Der erste Anstoß dafür kam von einem Song des deutschen Electronica-Künstlers Apparat. In der Woche hatte der einen Single namens „Caronte“ veröffentlicht, die ein supercooles Klavier-Motiv hat. Zeitgleich haben wir da sehr viel Hip-Hop gehört. Deshalb finden sich in der ersten Hälfte des Songs diese zersetzten Audio-Spuren. Vieles davon sind Feldaufnahmen von mir, wie ich durch Parks in Oslo laufe. Daraus haben wir den Beat gebaut.
Wir haben also viel mit Sounds gespielt – von Feldaufnahmen über Gitarren oder Breakbeats hin zu Gesangsfiltern. Der erste LA-Trip hat das zementiert. Danach sind wir ein zweites Mal nach LA gereist und haben „Wildfire“ geschrieben. Der entstand an einem Morgen. Als ich zu Murph fuhr lief „This Must Be The Place“ von den Talking Heads. Deshalb wollte ich etwas Talking Heads-mäßiges schreiben. Das hat uns dann wiederum motiviert, ähnlich mit „Everything I Love Is Going To Die“ anzusetzen. Diese zwei Sessions haben diesen Sound also schon festgesetzt. Geblieben ist von da an aber auch, dass wir weiter Freude an der Arbeit mit Sounds haben wollten.
minutenmusik: Spannend, dass du „Method To The Madness“ als einen Song beschreibst, der sehr Hip-Hop nah ist. Für mich stand da nämlich immer die kathartische Klimax am Ende im Vordergrund, die dem Ganzen fast schon ein theatralisches Emo-Rock-Ende gibt. Wenn ich da jetzt drüber nachdenke, dann sind die Electronica- und Hip-Hop-Einflüsse aber natürlich deutlich erkennbar.
Tord Øverland Knudsen: Ja, das sind fast schon zwei eigene Songs. Wir haben das bislang noch nie gemacht. So nah waren wir wohl noch nie an einem Konzept-Song. Die Musik entwickelt sich den Lyrics entsprechend. Natürlich trägt das viel Emotionen in sich, ursprünglich war der Song und seine Arrangements aber eher Hip-Hop-lastig.
minutenmusik: Der Übergang von der ersten hin zur zweiten Hälfte ist auch sehr flüssig. Nach diesen ersten Schreibsessions vor der Pandemie musstet ihr größtenteils remote an dem Album arbeiten. Kannst du den Prozess vielleicht etwas mehr beschreiben?
Tord Øverland Knudsen: Ich lebe in Oslo, Murph in LA und Dan in London. Wir waren also in drei verschiedenen Städten. Songs geschrieben haben wir viel über Zoom. Da war der Zeitunterschied echt anstrengend – LA ist nämlich neun Stunden hinter unserer Zeit. Ich saß also bis spät in die Nacht im Studio. Das war ein sehr verworrener Prozess. Einiges haben wir zusammen erarbeitet und einiges kam von Murph. Zum Glück hatten wir mit den Sessions in LA bis da schon viele Grundsteine gesetzt, auf denen wir aufbauen konnten.
Einige der Aufnahmen haben wir dann ebenfalls getrennt gemacht. Zum Glück konnte ich irgendwann aber nach London fliegen. Dort haben dann Dan, unser Produzent Mark Crew und ich einen Monat gemeinsam aufgenommen. Murph konnte Amerika wegen der Grenzauflagen leider nicht verlassen. Wir mussten deshalb das Beste aus der Situation machen. In dem Monat haben wir meistens tagsüber die Schlagzeug- und Bass-Spuren aufgenommen und diese Dateien am Ende unseres Tages nach LA geschickt. Über Zoom haben wir dann mit Murph und seinem Soundengineer besprochen, was wir bereits haben. Die Zwei haben dann – während bei uns Nacht war und wir geschlafen haben – Gitarren und anderen Kram aufgenommen.
Auf der einen Seite haben wir also Zeit gewonnen. Theoretisch hätten wir dadurch schneller aufnehmen können. Das Problem war aber, dass wir nicht im selben Raum waren. Entscheidungen werden dadurch komplizierter. Wir mussten deshalb einiges erneut aufnehmen bis alle zufrieden waren. Sogar als ich von London zurück nach Oslo kam, musste ich einige Bass-Spuren nochmal neu einspielen. (lacht) Ich würde das deshalb nicht freiwillig nochmal so machen. Es ist aber gut zu wissen, dass es möglich ist ein Album so aufzunehmen. Und im Nachhinein ist es cool, dass es geklappt hat. Wir werden die Platte dafür in Erinnerung halten.
Und tatsächlich: Das Endergebnis kann sich sehen lassen. „Fix Yourself, Not The World“ ist das wohl eigenständigste und kohärenteste The Wombats-Album seit „The Modern Glitch“. Und das trotz oder vielleicht gerade wegen der widrigen Umstände.
„Fix Yourself, Not The World“ von The Wombats kannst du dir hier (physisch) und hier (digital) kaufen.*
Mehr The Wombats gibt es hier.
Und so hört sich das an:
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The Wombats live 2022:
01.05. – Köln, Carlswerk Victoria
02.05. – Hamburg, Uebel & Gefährlich
07.05. – Berlin, Huxley’s Neue Welt
10.05. – München, Backstage Werk
Fotocredits: Tom Oxley.
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