…und gleich der nächste Dämpfer hinterher: vier Tage vor dem Auftritt wird das Konzert von Anna Loos in Köln verlegt. Ursprünglich im Gloria geht es nun stattdessen in den nur halb so großen Stadtgarten. Ein anderer Gig der Tour wurde komplett gecancelt. Schade. Mit Silly sah das noch vor Kurzem alles anders aus. Aber das sind halt böse Tatsachen: Silly sind nicht nur Anna. Silly gab es vor und wird es nach Anna geben. Und somit muss die 48-jährige Brandenburgerin lernen, auf eigenen Beinen zu stehen.
Vor weniger als drei Wochen erschien ihr doch recht gelungenes Solodebüt „Werkzeugkasten“ (lest HIER nochmal unsere Kritik). Ob vielleicht der Abstand zwischen Veröffentlichung und Tour etwas zu klein war? Womöglich hätten viele nach dem Reifen des Albums noch Karten gekauft. Auf der anderen Seite ist es am Dienstag, den 26.3., im Stadtgarten recht gemütlich und so gut gefüllt, dass es immerhin nach ausverkauft ausschaut.
Pünktlich um 20h darf der Support für 25 Minuten auf die Bühne. Ganz unbekannt ist die ebenfalls bereits Mitte 40-jährige Künstlerin aber nicht: Diane Weigmann hatte 2005 einen Top 30-Hit, „Das Beste“. Der Schreiber dieser Kritik erinnert sich daran zwar leider nicht mehr, merkt aber, als der Song als Zweites gesungen wird, dass sich zumindest andere in der Crowd noch erinnern und mitsingen. Diane kommt äußerst sympathisch rüber, lacht von der ersten bis zur letzten Sekunde, was fast schon ein wenig too much ist und kommt in Redelaune. Mit ihrem Begleitmusiker gibt es also eine gute Handvoll deutschen Singer/Songwriter-Pop im Akustikgewand, der keinesfalls böse aneckt, aber auch nicht fordert oder im Kopf bleibt. Nett. Und ja, ihr kennt den Spruch mit „nett“.
Der Umbau geht überraschend schnell vonstatten, sodass bereits um 20:48 der Hauptact beginnen darf. Die vierköpfige Band, zusammengesetzt aus Bass, Drums, Keys und Gitarre, macht einen soliden Job und dreht den Sound auch hin und wieder etwas lauter auf. Tontechnik geht klar, sodass in dem überschaubaren Raum von Beginn bis Ende alles gut verständlich und abgemischt erklingt.
Anna Loos ist wenige Sekunden später ebenfalls auf der Bühne. Nachdem sie mit ihrer Portraithaltung auf dem wohl jetzt schon ungünstigsten Albumcover 2019 stark negativ auffiel, hat sie sich für die Tour gebessert. Allerdings nur Nuancen. Der Arbeitsstress der letzten Jahre scheint nicht spurlos an ihr vorbeigegangen zu sein. Zotteliges, unvorteilhaftes Haar, tiefe Augenringe und locker zehn Kilogramm zu wenig. Überhaupt kein Vergleich mehr zu den letzten Jahren. Trotzdem bringt sie für insgesamt 85 Minuten eine gute Ladung Energie mit, tanzt und bewegt sich ausgiebig, hat für jeden Song große Gesten und kommt so stark ins Schwitzen, dass sie sich nach wenigen Titeln übers Mikrofon über die Wärme im Raum auslässt. Mit Recht, muss man dazu sagen.
Bei den 16 Tracks der Setlist gibt es wirklich nichts zu beanstanden. Anna und ihre Band spielen das komplette Album plus vier weitere, unbekannte Songs, die womöglich bei den letzten Sessions vor Release geflogen sind. In mehreren Interviews sprach sie von einer weitaus größeren Auswahl an bereits geschriebenen Liedern. Eine schöne Überraschung. Coversongs und zum Glück auch Silly-Tracks bleiben aus, das wäre auch eher tragisch unangenehm geworden.
Anna war noch nie die größte Sängerin. Ihre Range ist überschaubar. Sobald es etwas höher wird, greift sie einige Male daneben oder verliert sämtlichen Druck. In ihrer Lage ist sie aber stets emotional, berührend und hat einfach eine sehr auffällige und schöne Stimmfarbe. Eine wohlige Abwechslung in dem endlosen Angebot des Deutsch-Pops. Außerdem ist die Absprache zwischen Sängerin und Band nicht die beste. Sie schaut sich häufig um, weiß nicht so recht, wann der Song nun endet oder doch noch weitere Takte folgen. Wirklich gepatzt wird aber dann doch nicht. Wie auf dem Album wird es auch live einige Male rockig, was zum Mitschwingen auffordert. Loos geht fast durchgängig auf das Publikum ein, teilweise sogar auf einzelne Besucher und fordert unzählige Male zum Mitklatschen und Mitsingen auf.
Ein Gast sollte ihr ganz besonders gut gefallen. Sie erzählt, dass sie einen Tag zuvor in Berlin aufgetreten sei und ihre Kinder anwesend waren. Heute ist dafür hinter der Getränketheke ihr Mann am Start, Jan-Josef Liefers. Ihr Song „Wie beim ersten Mal“ ist für ihn geschrieben und genau davor begrüßt sie ihn von der Bühne aus, wünscht ihn sich sogar herbei, er bleibt aber lächelnd im Hintergrund. Bei dem Titel reißen nur selten ihre Blicke voneinander ab, was als Zuschauer einen berührenden und ehrlichen Moment darstellt. Generell haben mehrere Lieder ihres Albums sehr persönliche Geschichten. Eine erzählt von einem verstorbenen Freund, eine andere vom Ausreißen in der Jugend, eine weitere über einen transsexuellen Kumpel. Eben das macht die Songs aus, sodass Anna sich beim Performen wohl zu fühlen scheint und über ihre Gesangsdefizite mit Authentizität hinwegzutäuschen schafft.
Weitere Highlights der Setlist sind der Ohrwurm „Hier“, der als letzter Titel des eigentlichen Sets dient und die absolute Gänsehaut-Nummer „Werkzeugkasten“, die definitiv Potenzial hat, eine der besten im deutschsprachigen Bereich 2019 zu werden. Live nicht ganz so stark wie auf Platte, aber immer noch ergreifend.
Fazit: Leider konnte das Album bisher nur Platz 16 in den Media Control Charts erreichen. Die Tour läuft auch eher mäßig. Ist das womöglich das erste und letzte Lebenszeichen einer Anna Loos als Solokünstlerin? Falls ja, hat sie mit einem guten Album und einer angenehmen Show einen würdigen Abschluss gefunden.
Hier gibt es noch Tickets für die restlichen Gigs der Tour.*
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Bild von Christopher.
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