Anna Loos hat es irgendwie nicht so ganz leicht. Die 48-jährige Brandenburgerin ist womöglich zu 50% Schauspielerin, zu 50% Sängerin und trotzdem nicht jedem ein Begriff. Da spielt man sich seit über 20 Jahren in unzähligen Tatort-Folgen den Arsch ab, bleibt aber immer die Frau von Jan-Josef Liefers. Ähnliches in der Musik: 12 Jahre die neue Sängerin der Band Silly, jedes der drei Alben ging Top 5, eine Single sogar Top 20 und trotzdem ist man bei den alten Fans der Band immer „der schlechte Ersatz für Tamara Danz“. Dass das irgendwann mal zu viel des Guten würde, war abzusehen. Seit Ende 2018 ist also Schluss mit Silly. Mit Sicherheit die beste Idee, nachdem gerade das letzte Album einem musikalischen Leerlauf glich. Also auf in neue Gefilde!
Mit „Werkzeugkasten“ steht passend zum baldigen Frühlingsbeginn die erste Soloplatte in den Regalen. Ein Titel, der im ersten Moment gar nicht so nach einem weiblichen Debüt klingen mag, aber wir wollen ja nicht gendern. Stattdessen sieht das Cover alles andere als nach Frühling aus. In grauen und weißen Tönen wirkt das Portrait von Frau Loos wenig vorteilhaft, eher gespenstisch und alternd. Aber: never judge a book by its cover! Auch hier ist dieses Motto durchaus angebracht, da der Inhalt überraschend viel zu bieten hat.
Auf 12 Songtiteln präsentiert sich Anna Loos einerseits sehr persönlich, andererseits aber auch sozial. Ein Album, das ständig zwischen einem „Ich“ und einem „Wir“ wechselt, bei dem häufiger davon geredet wird, etwas Kaputtes zu reparieren, sich gegenseitig zu helfen, ankommen zu wollen – eine gesellschaftliche Platte, die zum aktuellen Trend, nur sich selbst in den Fokus zu stellen, einen angenehmen Gegenentwurf darstellt.
Musikalisch liefert das Dutzend eine nette Bandbreite an Pop-Rock-Songs, die mal etwas lauter daherkommen, mal leiser wirken, ein paar elektronische Spielereien einbauen und wenig bis nie langweilen. Das Rad wird zwar nicht neu erfunden, muss es aber ja auch nicht. Letztendlich liegt das Augenmerk viel mehr auf den Lyrics, die gleich mehrere vortreffliche Beobachtungen mit sich bringen.
„Deine Mitte“, „Werkzeugkasten“ und „Kaputt“ beschäftigen sich alle damit, nicht aufgeben zu wollen und zu probieren, sich oder den Partner in einer Beziehung wieder zurück in die Bahn zu bewegen. „Paris“ und „Echt und für immer“ erzählen Geschichten von Weggefährten, gerade der letzterwähnte Titel baut mit seinem aktuellen und dennoch mutigen Thema eine Toleranzbrücke, die authentisch wirkt. Die beiden Openings „Startschuss“ und „Hier“ stehen zwar textlich ein wenig im Kontrast, machen aber auch damit eine innere Zerrissenheit deutlich – sowohl wegzuwollen, aber nicht dorthin, wo alle bereits sind, als auch irgendwie mit seiner aktuellen Situation doch zufrieden sein zu können.
Highlights sind ganz eindeutig der Titelsong, der sowohl in der Melodie als auch in seinem Text Deutsch-Pop der Extraklasse präsentiert. Keine elendig zu Tode gehörten Plattitüden, stattdessen erwachsene Themen, die eben nicht jedem sofort aus dem Herzen sprechen, dafür aber genau denen, die es schon erlebt haben: „Und selbst mein Selbstmitleid tut mir leid und auch mein Liebeskummer kümmert kein‘, ist noch nicht vorbei, Risse kann man reparieren, ich hab‘ ‘n Werkzeugkasten hier – komm doch wieder heim!“. Gänsehaut. Gleiches gilt für das unkitschige Liebesgeständnis in „Wie beim ersten Mal“. Anderes Positivbeispiel: „Ich navigiere dich in deine Mitte, ich führ dich wieder hoch, zurück zu dir!“ („Deine Mitte“). Einzige Nummern, die einen Hauch zu wenig Substanz mitbringen: „Paris“ und „Wenn du mich suchst“. Plätschert beides vorbei. Aber das ist zu verschmerzen.
Anna Loos sprengt die Silly-Ketten, klingt trotzdem nicht komplett neu oder anders, sondern hat dank klaren Sounds eine fast durchweg gelungene, anspruchsvolle und dennoch gut verdauliche Soloplatte abgeliefert. Natürlich hat sie das nicht alles allein fabriziert, aber das muss ja auch nicht. Siehe da, mit den richtigen Songschreibern klappt es doch. Glückwunsch! Gerne mehr davon.
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