Der Sonntag, der „Tag des Herrn“, ist der siebte Tag einer jeden Woche, zumeist arbeitsfrei und dient der Ruhe. So hat sich diese Norm in den letzten Jahrhunderten durchgesetzt, so ist es in der „ISO 8601“, dem internationalen Standard für Daten- und Zeitangaben, festgesetzt. Für Mario Radetzky ist am 20. Januar des Jahres 2019, einem Sonntag, nicht an Pause und Ruhe zu denken – gegen 22:30 Uhr steht der Sänger der Münchener Rock-Band Blackout Problems nassgeschwitzt auf der Bühne des engen Düsseldorfer Clubs The Tube und versucht die anwesenden vermutlich etwa 180 Gäste dazu zu bewegen, noch mehr Körpereinsatz in den Abend zu legen. Der Schweiß tropft buchstäblich eh schon von der Decke. Irgendwo auf der Welt gäbe es sicherlich ein Volk, für das der Sonntag der erste Tag der Woche ist, behauptet der blondierte Herr, während er sein sechssaitiges Instrument wieder in die richtige Stimmlage bringt.
Tatsächlich beginnt der Sieben-Tage-Zyklus nach jüdischen und christlichen Brauch nicht mit dem Montag, sondern bereits mit dem Sonntag. Ob das einen strenggläubigen Menschen nun zur körperlichen Hingabe motivieren könnte – fragwürdig. Dennoch: Beim Publikum zeigen die Ansagen Radetzkys Wirkung. Sprangen zuvor zwei drittel des kleinen Raums, so sind es nun nur noch einige wenige Ausreißer, die sich der energetischen Performance des Quintettes entziehen können. Vielen Künstlern und Künstlerinnen würde die Partizipation der Mehrheit ihrer Fans bereits reichen, die Blackout Problems wollen jedoch mehr, mehr, mehr. Direkt zu Beginn des größenwahnsinnigen 110-minütigen Sets – es handelt sich immerhin immer noch um ein Club- und kein Stadion-Konzert – stellt der Frontmann klar, wie die Rollenverteilung aussehen soll: Band und Menge agieren als eine Masse und nicht als getrennte Einheiten. Der Bühnenrand existiert nur als bildhafte Grenze.
Die Blackout Problems nehmen sich das zu Herzen. Gleich mehrfach verschwindet Radetzky in der Menge, lässt sich zwei Mal über die Köpfe der Fans hinwegtragen, während unter ihm der Moshpit tobt. Musikalisch steht der Abend ganz im Zeichen des aktuellen Albums der Band: „Kaos“. Zwei Mal hintereinander dürfen die jungen Musiker an diesem Wochenende im ausverkauften The Tube spielen und präsentieren jeweils knapp 80 Prozent ihres aktuellen Werkes. Von seinem Debütalbum „Holy“ hat man jeweils nur die Anti-Homophobie-Hymne „Black Coffee“ im Gepäck.
Mit den aktuellen Stücken lässt sich jedoch auch ordentlich arbeiten. Kaum ein Lied wird lediglich in seiner Originalfassung gespielt. Der Mittelteil des Sets besteht vor allem aus Songs, die miteinander verfließen und durch Instrumentalparts ergänzt werden. Diese kommen mal elektronisch daher, fahren mal krachige Riffs auf. Dabei scheint immer durch, wie sehr Radetzky sich auf seine vier Kollegen verlassen kann, die auch weiterspielen, wenn der Frontmann mal wieder kopfüber über der Menge hängt.
Im Vergleich zum Vorabend hat man das Set etwas auf den Kopf gestellt. Das Sights & Sounds-Cover „Poli’s Song“, sowie die Stand-Alone-Single „Off/On“ wandern vom Ende des Sets ganz an den Beginn, gegen Schluss spielt man nicht die Ballade „Holly“, sondern den Klaviertrack „Charles“, der diesmal in einer Gitarren-Version dargeboten wird. Auf eine Zugabe verzichtet die Band. Die ist bei einer solchen Konzertlänge jedoch absolut nicht nötig. Diese ungewohnte Reihenfolge tut der Show gut. Im Vergleich zu dem Konzert im Kölner Gebäude 9 Anfang November wirken die Übergänge flüssiger, die Ausarbeitungen durchdachter.
Als Closer wählt das Quintett dennoch erneut „Rome“ von der gemeinsamen Split mit den Kollegen von Heisskalt, die man auch mit einem Cover Debüt-Opener „Das Bleibt Hier“ huldigt. Dessen Schlussrefrain spielt man gleich drei mal, Radetzky fordert von den Fans die letzte Energie, der Moshpit bebt vor feuchten Körpern. Die winden sich kurze Zeit später aus dem Club in die kühle Nacht, um sich gen Heimat zu bewegen. Würde „der Herr da oben“ diese dem Grundsatz der Ruhe widersprechende Szenerie beobachten, er würde sich über den schieren Spaß der Menge und deren Hingabe empören.
Das Album “Kaos” kannst du dir hier kaufen.*
Und so hört sich das an:
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Blackout Problems live 2019:
23.01.2019 – Ulm, Roxy
Foto von Jonas Horn.
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