Lang, lang ist’s her. Vor fast 20 Jahren tauchte plötzlich eine der bekanntesten deutschen Soulformationen auf. Glashaus hatten gleich mit ihrer ersten Single „Wenn das Liebe ist“ einen absoluten Chartstürmer am Start und erreichten Goldstatus. Bei einem One-Hit-Wonder blieb es nicht. Immer wieder gelangten in den darauf folgenden Jahren Songs in die Top 100 – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Jeder der drei ersten Alben kletterte in die Top 20. Ab 2009 war das anders. Die Verkaufszahlen fielen rapide und Glashaus war nicht mehr das, was es einst war. Woran das lag? An der wechselnden Sängerin. Cassandra Steen war nicht mehr dabei.
Die 39-jährige Künstlerin ist seit sie 17 ist Teil des 3p-Universums und hat sich in über zwei Dekaden als eine beliebte Gastsängerin einen Namen gemacht. Absolut kein Wunder, besitzt sie immerhin eine der wohl markantesten Stimmfarben der Nation. Xavier Naidoo, Tim Bendzko, Lionel Richie, Ne-Yo, Max Mutzke, Sabrina Setlur, Bushido, Freundeskreis – alle nahmen schon mit ihr auf. Außerdem konnte sie in ihrer Glashaus-Offzeit drei Soloalben recorden und mit „Stadt“ im Duett mit Adel Tawil sogar ihren größten Hit erzielen.
Seitdem wurde es aber ruhiger. Zwar macht Cassandra weiterhin Musik, fällt aber nur noch selten auf. Auch ihr Glashaus-Comeback 2016 flutschte fast unbemerkt an einem vorbei. Deswegen sind die Locations für die aktuelle Tour auch ein wenig kleiner geworden. Ebenso die Anzahl der Gigs bleibt mit weniger als zehn Shows überschaubar. Dafür gibt es aber Ortschaften mit besonderer Atmosphäre: Kirchen. Eine davon ist die Christuskirche in Bochum, die am 3.12. von Cassandra besucht wird.
Mit Erschrecken ist zum Konzertbeginn um 20:05 Uhr festzustellen, dass lediglich um die 100 Leute den Weg gefunden haben und die Kirche zu Zweidrittel unbesetzt bleibt. Das tut auf der einen Seite weh und macht traurig – auf der anderen Seite schrecken jedoch die Eintrittspreise gewaltig ab. Mit über 90€ für die ersten drei Reihen werden Preise verlangt, die man oft für internationale Topstars bezahlt. Was ist da denn passiert? Schade, dass also die Sängerin mit ihrer vierköpfigen Band etwas ins Leere schauen muss.
95 Minuten geht das Konzert mit dem überschaubaren Publikum, das sich aus vielen Pärchen mit einer Altersspanne von geschätzten 30 bis hoch zur 60 zusammensetzt. Die Termine im Dezember wurden nicht zufällig ausgewählt. Die Tour läuft unter dem Namen Der Weihnachtsgedanke und verspricht deutsche und englische Songs, um in besinnliche Stimmung zu kommen – teils gecovert, teils selbstkomponiert.
Die Bühne bietet außer ein paar etwas lieblosen Weihnachtselementen, dafür aber schönen Lichteffekten, keine Extras. Alles schlicht und recht einfach. Die Band setzt sich aus den typischen Instrumenten Keyboards, Bass, Drums und Gitarre zusammen, wird aber hin und wieder durch stimmige Saxophonsoli oder Xylophonsounds abgerundet. Der Klang im Raum ist gut abgemischt.
Cassandra betritt in einem eleganten Outfit in Pastellfarben die Bühne. Sie setzt sich auf einen Hocker, schaut auf einen Notenständer und verweilt dort fast die ganze Zeit der Show. Ein Intro mit der bekannten Melodie aus „Kevin – Allein zu Haus“ erklingt, daraufhin ihr Opening „Fröhliche Weihnacht überall“. Sie setzt das Mikrofon an, singt ihre ersten Töne, setzt ab – und hustet.
Das tut sie fortan bei nahezu jedem Song. Cassandra scheint so stark erkältet zu sein, dass sie höchstens zwei Minuten ohne Husten durchsteht. Immer wieder dreht sie sich um, hält ihre Faust vor den Mund. Außerdem stellt sie alle paar Minuten an ihrem Sender nach, weil sie sich offensichtlich nie gut genug hört, trotz absoluter Stille im Raum. Schon nach wenigen Momenten ist in vielen Gesichtern der Zuschauer zu sehen, dass sie nicht so ganz das bekommen, was sie erwartet haben, nämlich eine der eben markantesten Stimmen. Ja, die Stimmfarbe bleibt selbstverständlich die gleiche. Der Umfang und die Durchschlagskraft ist jedoch enorm geschrumpft und bleibt das gesamte Konzert bis auf wenige Ausnahmen im Mittelfeld.
Gerade die erste halbe Stunde des Konzerts ist ernüchternd. Viele Töne sind nicht da, wo sie hingehören oder werden nicht richtig ausgesungen, alles sehr luftig und seicht. Unglaublich schade, weil Studioaufnahmen zeigen, wie viel Gänsehaut Cassandra doch erzeugen kann, doch trotz passender Location und sentimentaler Liedauswahl gerade die Atmosphäre stark auf der Strecke bleibt.
Nach fünf deutschsprachigen Titeln – unter anderem „Morgen Kinder wird’s was geben“ und „Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen“ – moderiert sie einen Stargast an. Ihr langjähriger Freund und einstiger The Voice of Germany-Teilnehmer David Whitley betritt die Bühne, bekommt drei Soli und ist anschließend bei mehreren Titeln im Background zu hören. Das ist gleichzeitig Fluch und Segen. David singt wie die Reinkarnation von Luther Vandross, sorgt für einen offenen Mund nach dem nächsten, holt von Sekunde 1 ab und wirkt wie der eigentliche Hauptact. Mit „Greensleeves“ und anderen, alternativen Weihnachtstiteln verwandelt er die Stimmung im Raum und liefert eine unglaublich beeindrucke Leistung. Zusätzlich steht er bei den Songs und transportiert mit Gestik und Mimik die Lyrics.
Das Gefühl in dem Moment, in dem Cassandra zurückkommt, ist ein wenig unangenehm. Nach so einer Leistung ist der Vergleich zwischen den Beiden doch unmöglich zu umgehen. Doch glücklicherweise fallen die englischsprachigen Titel, die durch David eingeleitet wurden, um Längen besser aus. Ganz besonders die zweistimmigen Parts ergeben dann doch dieses Gefühl, worauf man eingestellt war. Auch der Husten scheint sich zumindest ein wenig gelegt zu haben. Höhepunkte sind „My Favorite Things“, das Cassandra an ihre Oma erinnert, eine leicht jazzige Version von „Have Yourself A Merry Little Christmas“ und zwei neugeschriebene Stücke, die noch diesen Monat veröffentlicht werden – das Mottolied „Der Weihnachtsgedanke“ und eine umgedichtete Variante zum Neujahrsklassiker „Auld Lang Syne“. Kreativ ist außerdem ihr als A-cappella-Song beginnendes „Silent Night/Stille Nacht“, das mit einem Publikumschor kanonartig funktioniert.
Am Ende stellt sich die Frage, was besser ist: ein stattfindendes Konzert mit halber Gesangsqualität oder besser ein verschobenes Konzert mit vollster Gesangsqualität. Das muss wohl jeder für sich entscheiden. So bleiben gute anderthalb Stunden mit einer angespannten und unruhigen Cassandra Steen, einem überragenden Gastsänger, einer unüberhörbaren Erkältung und überteuerte Tickets. Dennoch ein schönes, wenig mainstreamiges Konzept – vielleicht im nächsten Jahr nochmal etwas ausgefeilter!?
Hier gibt’s Tickets für die restliche Tour.*
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Bild von Christopher.
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