Dieter Bohlen, Westfalenhalle 2 Dortmund, 25.04.2023

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Zugegeben: Das Image von Dieter Bohlen könnte besser sein. Da braucht man wohl auch nicht mehr groß zu diskutieren. Viele Skandale, einige auch erst in kurzer Vergangenheit ganz schön daneben gegangene Kommentare, die man 2023 einfach nicht mehr bringt, und eine ordentliche Portion Narzissmus. Das steht auf der einen Seite. Auf der anderen steht aber faktisch betrachtet der erfolgreichste Pop-Komponist Deutschlands, der in vier Jahrzehnten Nummer-1-Hits vorweisen kann. Ob man die mag, ist Geschmacksache. Manche davon hat er selbst interpretiert, bei vielen standen aber auch andere Acts am Mikro. Aus beiden Kategorien gibt es nun die Prägnantesten gemeinsam auf einer Setlist.

Ist man vorab über eines der Tourplakate gestolpert, runzelte man ganz automatisch die Stirn: „Das größte Comeback aller Zeiten!“ – erste Frage: War Dieter Bohlen jemals wirklich weg außer bei einer DSDS-Staffel? Zweite Frage: Ist es wirklich ein Comeback, wenn man keine neuen Songs in petto hat, diese auch nicht plant und lediglich zwölf mittelgroße Shows in der Nation spielt, um dann angeblich für immer als Sänger zu verschwinden? Oder ist der Slogan einfach schlichtweg Satire? So oder so ist die Formulierung nicht geschickt gewählt und gibt dem Ganzen einen doch kuriosen Anstrich.

Dortmund ist nach Berlin, Leipzig, Kiel und Hamburg der fünfte Tourstopp und eine von drei NRW-Städten. Für die große Westfalenhalle reicht es zwar nicht, aber dafür ist die bestuhlte Westfalenhalle 2 bis auf geschätzte 50 Plätze gut voll. Das Publikum ist erwartungsgemäß gemischt, ein Großteil aber wohl schon in der ModernTalking-Hochzeit vorne mit dabei gewesen. Einige haben stilecht sogar die alten Schals ausgekramt, Fanshirts an und sind ihrem Dieter treugeblieben. Und ganz ehrlich: Bekomm das erstmal hin, dass Menschen dir 40 Jahre den Rücken freihalten. Da können dich zwar gut und gerne einige Millionen hassen, solange dich aber auch einige Millionen lieben, ist doch eigentlich alles ok, oder? Lieber „Hate it or love it“ als „Everybody’s Darling“.

Am 25.4., einem Dienstag, sind somit fast 2000 Personen dabei, um ordentlich weit nach hinten zu blicken, aber auch zu Hits aus jüngerer Vergangenheit zu feiern. Genau an dieser Stelle setzt nun der ganz entscheidende Punkt an: Dass man zu einem DieterBohlen-Konzert nicht hinfährt, weil man die beste gesangliche Leistung des Jahres hören möchte, ist uns allen aber klar, woll? Liegt der Fokus nicht per se woanders?

Bevor um Punkt 20 Uhr für exakt zwei Stunden rund 20 Songs geschmettert werden, von denen mindestens 95 Prozent im Raum mindestens 18 kennen, kommt man noch kurz in den Genuss, den erst am 15.4. gewählten Sieger der letzten „Deutschland sucht den Superstar“-Staffel zu hören. Ihr wisst schon, die Staffel aller Staffeln, die eigentlich finale 20. Runde zur 20-jährigen Existenz der Kult-TV-Sendung. Mit Sicherheit müssten nun viele googeln, um zu wissen, wer eigentlich gewonnen hat, ist es eben Staffel 20 und nicht Staffel 1. Doch der 29-jährige Sem Eisinger aus Hessen macht rund fünf Minuten nach dem offiziellen Beginn um 19:30 Uhr in seinen 20 Minuten – die 20 scheint heute eine magische Zahl zu sein – keine schlechte Figur und singt drei Songs, die er während der Mottoshows präsentierte plus seinen eigenen Gewinnertitel „Don’t Let Me Go“. Auch wenn dieser mit Platz 57 den bisher schlechtesten Entry eines Gewinnersongs hinlegt, ist er gesanglich keinesfalls der schlechteste, der die Show jemals als Sieger verlassen hat. Bei allen Songs zeigt er, dass ihm sowohl Runs als auch hohe Belttöne doch recht leicht fallen. Schade, dass er optisch etwas blass in Szene gesetzt wird, seine Anmoderationen noch etwas haken und sich mit ein wenig Licht, das es so auch bei einem Tag der offenen Tür auf einer Autohausbühne gibt, zufrieden geben muss.

Die Erwartungshaltung ist zugegeben etwas low – genau das wird jedoch an jenem Abend in Dortmund dann zur Geheimwaffe. Nicht zu hoch ansetzen und stattdessen lieber positiv überrascht mit äußerst guter Laune den Saal verlassen. Für Dieter Bohlen hat man dann nämlich doch eine solide Lichtshow, ein paar Bildschirme mit Szenen aus Originalvideos im Hintergrund und vor allen Dingen eine siebenköpfige Band, die an den Instrumenten, aber auch an den Backingvocals supportet. Und siehe da: Auf einmal wird aus „Das wird doch nix“ ein „Das macht richtig Spaß“.

Ist es nicht auch das, worum es bei Konzerten häufiger mal gehen sollte? Darum, dass man einfach Spaß hat? Gucken wir nicht alle gern – die einen mit Stolz, die anderen heimlich – zwischendrin lieber Reality-TV statt Arte? Und warum? Weil’s halt geil ist! Weil’s halt bockt! Weil es gut tut, mal nicht nur High End und super intellektuell unterwegs zu sein, sondern auch mal mit einfachen Mitteln zu glänzen. Das ist nämlich oft schwieriger: Natürlich ist eine HeleneFischer-Show, die es wenige Tage zuvor gleich fünf Mal in der größeren Halle 1 wenige Meter entfernt zu sehen gibt, voller Showelemente und Perfektionismus. Ist das aber immer unbedingt besser?

Dieter Bohlen zeigt mit äußerst viel Spielfreude, dass er mit 69 Jahren zwar nicht mehr die absolute Rampensau ist – die meiste Zeit läuft er ein wenig unkoordiniert den Steg hin und wieder zurück, reißt einen Arm nach oben oder nickt im Takt mit – aber auf der anderen Seite einfach den Moment genießt. Und weil er es so genießt, genießen die Menschen um ihn, die sehr nah an ihn rankommen, den Moment auch mit. Dieter hält sehr viele witzige, oft auch selbstironische und zum Glück nicht so ernstzunehmende Anmoderationen, die nicht aus Abwertung und Zynismus bestehen, sondern aus Anekdoten. Storys, wie die Songs entstanden sind, Storys aus früheren kultigen Zeiten. Das kommt erfrischend echt. Auch die Idee, drei Fans aus dem Publikum auf die Bühne zu lassen, um sie in DSDS-Manier „Cheri Cheri Lady“ singen zu lassen, ist eine Idee, die zeigt, dass hier ein gewisses Augenzwinkern mit dabei ist. Große Gesangstalente sind sie alle drei nicht, der beste – übrigens ein 16-jähriger Typ – ist von ihm herzlich zur nächsten DSDS-Staffel im Jahr 2024 eingeladen und darf dann auch vor ihm und der restlichen Jury vorsingen. Zusätzlich gibt’s ein Merch-Geschenk. Hey, das ist doch wirklich überraschend nett!

Doch das nur am Rande. Viel wichtiger ist, dass die Setlist fast ausnahmslos perfekt ausgewählt ist. Natürlich kommt es im normalen Alltag nicht ganz so oft zum passenden Moment, um „You Can Win If You Want“, „Atlantis Is Calling“, „China In Your Eyes“ von Modern Talking zu pumpen. Aber hier darf man das – und es zündet. Schon zum Opening stehen alle Zuschauer*innen auf, kaum jemand setzt sich auch nur für einen Song hin. Stattdessen tanzen alle in ihren Möglichkeiten, singen lauthals mit, wedeln mit Handytaschenlampen und haben eine gute Zeit. Die einen, weil es in ihnen nostalgische Erinnerungen weckt, die anderen, weil sie es nicht ganz so ernst nehmen und es wie gutes Reality-TV als kleines Trash-Highlight feiern. Beides legitim.

Denn genau das tut der Protagonist da vorne auch. Wenn Dieter Bohlen „Für dich“ von Yvonne Catterfeld, „Eine Nacht“ von Ramon Roselly oder „Mein Herz“ von Beatrice Egli singt, kann man das doch gar nicht wirklich Ernst nehmen – tut er doch auch nicht. Er singt, so gut es eben geht, bei den hohen Kopfstimmparts unterstützen seine Bandkollegen oder auch mal eine Spur vom Band. Oder er hält das Mikrofon spontan Fans vor den Mund, die keine Töne treffen, aber voll im Augenblick sind, und das ist sweet. Bohlen feiert viel mehr sein Schaffen als sich selbst. Genau so beschreibt er es auch – dass er einfach stolz darauf ist, was er in 40 Jahren Karriere auf die Beine gestellt hat. Dass das nicht jedem gefällt, ist für ihn auch völlig ok so, aber er mache eben das, was er machen möchte. Und genau so etwas wird doch immer wieder auch in den Sozialen Medien betont, dass man mehr zu sich selbst stehen soll. So what?

Die Laune steckt an. Einfach ein wenig mitreißen lassen, so wie man das auf einer guten 90s-Party auch tun würde. Da darf man doch auch aus tiefster Inbrunst „Flugzeuge im Bauch“ von Oli.P oder „Herz an Herz“ von Blümchen schmettern, ohne sich zu schämen. Also kann man das hier auch mit „You’re My Heart, You’re My Soul“ und „Brother Louie“ tun. Einen ordentlichen Punkt muss man dann aber doch noch abziehen, ist nämlich das Tourplakat eine Mogelpackung: Jeden Nr.1-Hit gibt es nicht. Sowohl „Take Me Tonight“ von Alexander Klaws als auch weitere Gewinnerlieder der Show plus die großen Erfolge mit Mark Medlock schaffen es nicht nach Dortmund. Allerdings entschädigt die Zugabe „We Have A Dream“ aus der ersten Staffel der berühmten Castingshow so einiges. Ist halt was, was man damals schön fand, steht dazu!

Wer sich für eine DieterBohlen-Show entscheidet und mit der richtigen Einstellung hingeht, hat einen wirklich extrem unterhaltsamen Abend, der viele Endorphine ausschüttet, weil es einerseits Trash-Heaven ist, andererseits einfach eine fette Ladung Klassiker der deutschen Pop-Geschichte. Einmal vergreift sich Dieter Bohlen aber doch im Ton. Eine seiner drei ausgewählten Personen aus dem Publikum, die bei seinem kleinen Gesangscasting mitmachen, fragt ihn, ob sie eine persönliche Frage stellen darf und er antwortet in Millisekunden „20 Zentimeter“, ohne die Frage abzuwarten. Könnte man jetzt als „Ist halt eben Bohlen“ abstempeln, kann man aber 2023 auch lassen, weil kacke und chauvi. Auch die Marketingnummer machen wir beim nächsten Mal bitte weniger protzig und hochtrabend. Ansonsten kann man sich aber einfach mal selbst weniger wichtig nehmen und akzeptieren, dass man sich beim Tanzen zu „You’re My Heart, You’re My Soul“ herrlich uncool findet. Und das ist dann wiederum cool.

Und so hört sich das an:

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Bild von Florian Hacke

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