Ezra Furman, Luxor Köln, 16.11.2019

Ezra Furman

Genres sind Konstrukte, die sich durch permanentes Wiederholen bestimmter Merkmale und Bestandteile definieren und bestätigen. Eigentlich müsste dieses enge Stilkorsett dem anarchistischen Geiste des Punk an sich widersprechen, doch tatsächlich lauern auch in den Kreisen dieser Spielart viele Bewahrer*innen des vermeintlich einzig wahren Punk-Spirits auf. Weder zu abgedreht, noch zu sehr „sell-out“ ist da in Ordnung, die Kellerclubs sollten möglichst leer, die Shows so wenig ertragreich wie möglich sein, die Messages zwischen Saufen und antirassistischen Inhalten beschränken sich immer öfter auf harmlose Abziehbilder. So wirklich gefährlich klingen 2019 nur noch die wenigsten Acts: Ein einst revolutionärer Gegenentwurf zum elitären Rock zum kaum zu unterscheidenden Kumpel verkommen. Diesen vorgefertigten Schemata konnte Ezra Furman noch nie etwas abgewinnen – wie schon das Solodebüt „The Year of No Returning“ im Jahr 2012 zeigte, aber vor allem seit dem Szene-Liebling „Perpetual Motion People“ von 2015 sind Kritiker*innen und Fans vollends begeistert. Poppige Ah-Ah-Chöre treffen auf tanzbare Streicher treffen auf Furmans düstere und queere Texte treffen auf sich durch diverse Genres wühlendes Songwriting. Erst im vergangenen Jahr setzte Furman den vorläufigen Höhepunkt mit dem oppulent orchestrierten Roadtrip „Transangelic Exodus“.Mit dem klassischeren, aktuellen Furman-Album „Twelve Nudes“geht es nun auf Tour, bei der man sich auf einen bunten Abend voll des Tanzens und fernab gängiger Punkstrukturen einstellt. Doch Furman hat da anderes im Sinn.

Nonkonformismus auf allen Ebenen

Im ordentlich gefüllten Luxor hatten schon diverse Formationen für denkwürdige Abende gesorgt, doch zu einer wirklichen Lieblingslocation ist die lang gezogene Halle mit den unglücklichen Stufen immer noch nicht avanciert. Ungewohnt früh zieht es die Fans vor die Bühne, vermutlich hatten sie alle richtig gelesen: Die Show fängt heute früher an; schon um 18 Uhr ist Einlass, um 19 Uhr Beginn. Und das an einem Samstag! Als wäre das nicht schon per se sehr merkwürdig, betreten Furman und seine Mitmusiker ziemlich wortlos selbst um Punkt 7 die Bühne – keine Vorband, keine Ansage, nichts. Das bunt gemischte Publikum scheint das nicht groß zu stören, ein paar Kreischer gibt’s trotzdem, der Applaus ist wohlwollend. Gerahmt von den Mitstreitern, die den gesamten Abend bis auf kurze Gesangseinwürfe wortlos im Hintergrund bleiben, spielt sich Furman, stilecht mit Perlenkette und Fönfrisur, durch den Opener „Suck The Blood From My Wound“ vom letztjährigen Werk. Schon hier fällt auf: Wo der Song auf Platte energetisch und zackig daher kommt, spielen sich die Musiker am heutigen Abend eher unbeeindruckt durch die drei Minuten, betonen merkwürdigerweise vor allem die Riffs und weniger die zielstrebigen Beats.

Polyrhythmisches Kopfnicken

Bringen wir die Live-Adaption mal auf den Punkt: Live verwandelt sich der bunt gescheckte Punk-Pop-Entwurf von Furman zu einer recht biederen Rockgala, die auf kleineren Jamsessions aufbaut und sich gerne meilenweit von der Eingängigkeit der Platten-Aufnahmen entfernt. Gerade anfangs steht Furman recht starr am Mikro, blickt mit einem recht distanzierten Blick, wirkt selbst bei der Ansage über den besonderen Raum, den das Publikum sich heute erschließen solle, angespannt und nicht ganz anwesend. So ganz will das wiederum nicht mit der stimmlichen Performance zusammenpassen, bei der sich Furman noch stärker als auf dem Album zu bemühen scheint, möglichst keinen Ton klassisch „schön“ hinzubekommen. Ist natürlich etwas edgy und auch ziemlich Punk, in Kombination mit dem schrulligen Jamcharakter des Konzerts aber auch etwas anstrengend. Nachdem also wahre Dancefloor-Hits wie „Body Was Made“ oder „My Teeth Hurt“ in abstrus ungelenke Formen gegossen worden waren, taut der Abend erst ab dem cineastisch-anmutenden „Transition From Nowhere To Nowhere“ auf, bei dem der starre Ausdruck Furmans den tieftraurigen Ton Gänsehaut würdig inszeniert, damit im Anschluss „No Place“ in den beeindruckendsten Moment und Ausbruch des Abends einleiten kann. Zu „Love You So Bad“, „Thermometer“, dem Clash-Cover „Police On My Back“ lässt es sich im Anschluss dann sogar ein bisschen tanzen.

Die Fans scheint diese sehr unerwartete Darbietung übrigens gar nicht so sehr zu stören, ein paar Menschen bewegen sich auch bei den unmöglichsten Jams immer, der Applaus ist über weite Strecken sehr laut und will auch nach der Zugabe gar nicht abebben. Furman performt am Ende 23 Songs, die musikalisch einwandfrei, aber eben ziemlich elitär gespielt wurden und offensichtlich auf die abwechslungsreiche Orchestrierung der Alben verzichten musste. Furman verteilt am Ende ein paar Küsschen, dankt nochmal explizit den queeren Fans fürs Kommen und verlässt dann die Bühne um halb 10. Weder mimte Furman den Dompteur der großen Punk-Ekstase noch den bunten LGBTQI*-Partymenschen fürs Familienalbum – und vielleicht ist genau diese Art des Negierens jeglicher  Konventionen das Punkigste, was ich dieses Jahr live erleben durfte.

Und so hört sich das an:

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Beitragsbild von Julia.

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