GENETIKK, Gloria Theater Köln, 14.11.2018

Köln – Es ist ein kalter Mittwochabend, die Straßenböden sind mit matschigem Herbstlaub bedeckt, das gülden-strahlend die Abenddämmerung erleuchtet. Eine lange Menschenschlange bahnt sich im Herzen der Innenstadt langsam ihren Weg vom seitlichen Eingang der St. Aposteln-Kirche zu den Türen des Gloria Theaters. An den Eingangspforten des traditionsreichen Mehrzwecktheaters weist ein mürrisch-gelaunter Türsteher die Konzertbesucher des Abends bestimmt an ihre Plätze: „Du, Mäuschen, kannst dich gleich nochmal hinten anstellen, bis du klar in der Birne bist“, raunt er ein etwa 20-jähriges Mädchen an, das offenbar im Vorfeld des Konzerts ein Gläschen Gin Tonic über den Durst getrunken hat. Das Saalinnere des Theaters, das in den 1970er-Jahren noch als Pornokino fungiert hatte, ist prallgefüllt. Vor allem männliche Gäste haben sich am heutigen Konzertabend eingefunden, um der Saarländischen Hip-Hop-Crew Genetikk um Rapper Karuzo und Produzent Sikk zu huldigen.

Als Vorband steht ein weiteres Rap-Produzenten-Gespann auf der Bühne: Tiavo. Das Rockrap-Duo, bestehend aus Rapper Lucy und Produzent Deon, weiß die Stimmung gehörig anzuheizen. Obwohl einige Zuschauer sich beim Betreten des Saals fragende Blicke zuwerfen, ob sie sich auch wirklich auf dem richtigen Konzert befinden, da die langen dunklen Mäntel der Künstler, der schwarze Nagellack auf den Fingernägeln sowie der Sound der rockigen, Newschool-lastigen Gitarrenriffs eher nicht an herkömmlichen Rap erinnern, wird den Zuschauern spätestens bei Lucys „Ge-ne-tikk, Ge-ne-tikk!“-Anfeuerungsrufen klar, dass sie sich nicht in der Tür geirrt haben. Mit ihrem innovativen Crossover-Sound möchten Tiavo, die im vergangenen Jahr als erstes großes Signing von Genetikks neugegründetem Indie-Label „Outta this World“ vorgestellt wurde, in Zukunft die hiesigen Bühnen erobern. Mit Hits ihres Debütalbums „Oh Lucy“ zerlegt das Duo eine gute ¾-Stunde die Stage, ehe sie die Bühne mit weiteren Stimmungsparolen und „Ge-ne-tikk!“-Forderungsrufen verlassen.

Um 21:20 Uhr etwa verdunkelt sich der Saal erneut. Rauchschwaden ziehen durch die Lüfte und ein imposantes Intro schallt durch den Raum. Das Bühnenbild, welches neben drei kleineren leuchtenden Kreuzen – von Flaschenfriedhöfen und Blumengestecken umringt – auch zwei große Bildschirmleinwände in Kreuz-Ausrichtung zeigt, scheint dabei quasi eine Art Geschichte erzählen zu wollen. Gleich zu Beginn zeigt jeder der beiden Bildschirme dabei zunächst einen Henkersknoten. Der Tourname „Y.A.L.A.“ ist schließlich als Abkürzung für: ‚You Always Live Again‘ zu verstehen und ist darüber hinaus der Namensgeber des ersten Albumtitels des eigenen Genetikk-Labels. Karuzo und Sikk ernten, während sie wie gewohnt unerkannt unter ihren schwarz-weiß gemusterten Strumpfmasken auf der Stage erscheinen, tosenden Applaus ihrer Fans.

Einer der ersten Hits des Abends und auch Opener des Albums ist der Song „GOAT“ (featuring Yung Gold). Dieser – sowie sämtliche andere Songs des Albums – wurde von niemand geringerem als Hip-Hop-Starproduzent Mike Dean gemastert, der bereits für amerikanische Größen wie Kanye West, 2Pac, Travis Scott, 2 Chainz, Jay-Z oder auch Desiigner und nun eben auch für die Saarländer Jungs von Genetikk produziert hat. Obwohl auch bereits die unter Selfmade Records veröffentlichten Alben des Duos einen hohen Standard aufweisen konnten, funktionieren die sauber gearbeiteten Songs der aktuellen Platte vor dem Publikum hervorragend. Die zu Kreuzen geformten Bildschirme erzählen dabei während des ganzen Konzertabends eine Geschichte und lassen erahnen, wo Genetikk musikalisch, aber auch gedanklich hinwollen: Hoch hinaus, ins Universum, zu den Sternen, sie wollen über allen stehen und auch den Tod besiegen. Dabei wird dem Zuschauer, vor allem bei den gespielten Songs des aktuellen Albums wie „MOTEL“ oder „WAKE UP“, Spielraum für die tiefgründigen Seiten und Inhalte der Platte gegeben: Insbesondere die markanten, innovativ-eingebauten Beat- und Farbwechsel der Songs gelingen vor Live-Publikum nahezu exzellent und geben den Zuschauern die Möglichkeit, sich ausgelassen ihren Gedanken hinzugeben.

Aufgeweckte und beatlastige Songs wie „MAGIC“ oder „BITCHES“ mutieren zu den absoluten Stimmungskrachern des Abends und motivieren zumindest ein paar vereinzelte Zuschauer, sich ausgelassen in einem Mini-Moshpit gegen andere zu werfen. Dass der lyrische Gehalt dieser Songs sich – im Gegensatz zu den vielen tiefgründigen, nachdenklichen Hits des Abends – eher gering hält, scheint hier jedoch reichlich wenige zu interessieren. Die Stimmung kocht.

Zu den Mitgröhl-Favoriten des Publikums gehören an diesem Abend jedoch vordergründig nicht die Songs des neuen Genetikk-Albums, sondern vor allem alte Prachtstücke, wie etwa „Tote Präsidenten“, „Trill“ oder „König der Lügner“. Auch Tiavo werden für einige gemeinsame Songs erneut auf die Bühne geholt, was vielen der an diesem Abend neugewonnenen Tiavo-Fans ausgesprochen zu gefallen scheint. Generell ist aus Publikumssicht dabei jedoch nicht herauszukristallisieren, wer Genetikk-Fan der ersten Stunde und wer begeisterter Neuhörer ist. Obwohl sich die Zuschauer ausgelassen und anständig auf die Show ihres Lieblingsduos einlassen, Texte mitsingen und – eher selten – diverse Bierbecher auf die Bühne werfen, werden – womöglich der Raumgröße des Gloria Theaters geschuldet – jedoch selten überschwängliche Pogo-Tanzchoreographien einstudiert, was an diesem Abend jedoch auch niemanden zu stören scheint.

Zum Ende des Songs „1MOMENT“ erfolgt der fast schon theatralste Moment des Abends, als Rapper Karuzo mit den Worten „Komm schon Köln, ich möchte euch sterben sehen“ seine Hände wie der gekreuzigte Jesus in die Luft wirft. Vom Scheinwerferlicht immer heftiger angestrahlt, wirkt er dabei fast schon wie eine Vision oder ein Hologramm. Imposant! Wenige Minuten später verabschiedet sich das Hip-Hop-Duo mit „Wünsch dir was“ nach gerade einmal 50 Minuten Spielzeit auch schon bedankend von der Bühne.

Den partout geforderten Zugabe-Rufe leisten Genetikk aber sogleich Folge – und diese Zugabe hat es dann auch durchaus in sich: Beginnend mit dem 2013 veröffentlichten Song „Yes Sir“, einer erneuten Darbietung von dem wohl beliebtesten Song des Abends „BITCHES“ (zu dem wohl bald auch ein Musikvideo erscheinen wird), dem gemeinsamen Song mit Tiavo über das neue Label „Outta this World“ sowie dem alten Klassiker „Liebs oder lass es“, lassen Genetikk die Stimmung bei gefühlten 45° Raumtemperatur erneut gewaltig aufkochen, ehe sich das Duo zufrieden und diesmal endgültig und zufrieden von seinem Publikum verabschiedet.

Alles in allem war das Genetikk-Konzert der „Y.A.L.A.“-Tour 2018 im Kölner Gloria Theater ein voller Erfolg. Ein hervorragender Voract, eine lupenreine Darbietung des Hauptacts Genetikk und eine ausgelassene Stimmung mit zufriedenem Publikum ließen einige Zuschauer den Konzertsaal sogar fröhlich mit den Worten „Das war mit Abstand das beste Konzert, das ich je erleben durfte“ verlassen. Wenngleich auch die Dauer des Konzerts bei einem Ticketpreis von knapp 40€ durchaus die zwei Stunden-Marke hätte überschreiten dürfen und die Interaktion zwischen den Protagonisten auf der Bühne mit dem Publikum auf ein Mindestmaß reduziert wurde, haben Genetikk mit Bravour gezeigt, dass sie zu einem der herausragendsten Hip-Hop-Duos des Landes gehören und sich – mit zunehmender Eigenständigkeit, eigenem Label und steigendem Erfolg – entwickeln können. Sie möchten hoch hinaus, und das sei ihnen mehr als gegönnt!

Und so hört sich das an:

Weitere Tour-Termine

  • 16.11.18 – Leipzig, Täubchenthal
  • 17.11.18 – Münster, Skaters Palace

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