Gentleman, Zeltfestival Ruhr Strandkorb Edition Bochum, 15.09.2021

Was war denn mit dem Wetter los in diesem Sommer? Da war die Vorfreude auf sonnige Tage bedingt durch Corona noch größer als in den Jahren davor, und was ist dann? Umso schmerzhafter kommt eine*r der anstehende Herbst in langsamen, aber großen Schritten entgegen. Doch wie bestellt gibt es zumindest noch bis Anfang Oktober einen kleinen, hellen Schimmer am Horizont, nämlich die letzten Strandkorb-Konzerte der Saison.

2020 als Notlösung für Corona erfunden, sind die bequemen Zweisitzer in diesem Jahr überall anzutreffen. In gleich 16 Städten stehen sie und zeigen, dass die Konzertszene noch existiert – und gleichzeitig stellen sie unter Beweis, was man schmerzlich vermisst. Zum Beispiel das Zeltfestival Ruhr, das auch 2021 pausieren muss, aber eben in Form einer „Strandkorb Edition“ zumindest das Bühnenprogramm präsentieren darf.

27 Termine stehen an. Einer der Künstler*innen darf davon gleich zwei für sich beanspruchen: Gentleman. Der mittlerweile 47-jährige – man wird halt nicht jünger – Musiker kann sich auch nach über zwei Jahrzehnten noch zu den Großen der deutschen Musikszene zählen, nun sogar im wortwörtlichen Sinne. Letzten November erschien erstmalig ein Album auf Deutsch, was aber bei den Fans scheinbar keinen großen Schrecken ausgelöst hat, kletterte nämlich auch dieser Longplayer wie seine vier Alben zuvor bis in die Top 10 der Charts.

Der 15. und 16.9., und somit zwei Gigs der bereits zweiten Hälfte des Zeltfestivals, gehören ihm. Erst war nur eine Show geplant, aber da sich der Ticketverkauf doch besonders für diese eher unsäglichen Ticketverkaufszeiten als lukrativ zeigte, gab es eben einen Bonus. Zwar ist die Veranstaltung am 15. nicht komplett ausverkauft, aber geschätzte 80% volle Plätze sind ja auch nicht schlecht. So wie es sich für 2021 gehört, ist das Wetter eher schlecht als recht, aber immerhin hat der Regen sich pünktlich gut eine halbe Stunde vor dem Showstart verabschiedet.

So wie der Artist auf der Bühne ist auch die Crowd ein wenig in die Jahre gekommen. Die wenigsten sind hier wohl unter 30. Aber Lust, ein wenig die Hüfte zu schwingen, haben sie alle. Immerhin ist Reggae das Genre für gute, sonnige Laune – und davon brauchen wir alle eindeutig mehr. Mit wenigen Minuten Verspätung betritt jedoch statt dem Dino des deutschen Reggae eine Frau die Bühne, die für zehn Minuten etwas anheizen darf und sich final als Gentlemans Backgroundsängerin entpuppt.

Nachdem man sich also an den smoothen Sound der sechsköpfigen Band gewöhnt hat, kann es gegen 20:10 Uhr dann mit dem Hauptact losgehen. Der kommt auch mit guter Laune auf die Bühne gehüpft, nachdem das Bandintro bereits einige seiner großen Hits in Medley-Form zum Besten gab. Gentleman ist auf jeden Fall ein Gesicht der deutschen Musiklandschaft und hat sich über die Jahre ein Stammpublikum erarbeitet. Allein schon seine internationale Atmosphäre in den Songs hat so hierzulande wohl Einzigartigkeit. Allerdings wird sich genau auf diese Fakten etwas zu doll ausgeruht.

Denn irgendwie scheint der Herr nicht so ganz auf der Höhe zu sein. Besonders in der ersten Hälfte des Konzerts wirkt vieles ein wenig heruntergespielt und ohne Druck. Selten wird das Tempo variiert, sodass ein Großteil der neuen Songs ein bisschen zum Nebengeräusch wird. Zwar bedankt sich Gentleman mehrfach für die Treue bei der Crowd, fordert zum Mitsingen auf, möchte Handylichter am gerade aufkommenden Nachthimmel sehen und schafft es doch nicht, so richtig abzuholen. Das liegt auch daran, dass er sogar bei den neuen Titeln, die eben noch nicht jede*r kennt, gerne den kompletten Refrain vom Publikum singen lässt und dadurch oftmals etwas peinliche Stille und Scham entsteht.

Es dauert entschieden zu lange, bis er sich an seine gar nicht so wenigen Hits wagt. „Intoxication“ ist der erste, der Begeisterungsstürme auslöst. Später folgen ein neu arrangiertes und leider nicht ganz so mitreißendes „To The Top“ und der immer noch sensationelle Stomper „Leave Us Alone“. Nach nicht mal 65 Minuten verabschiedet sich der Ex-„Sing meinen Song“-Kandidat – das war’s schon?

Nein. Stattdessen beginnt nun ein ganz schön anstrengendes „Ich sag Tschüss, ich komm wieder“-Spiel. Gleich vier Zugabenblöcke gibt es, sodass das Konzert noch 40 Minuten weitergeht und gegen 21:55 Uhr endet. Die Unsicherheit, ob denn nun wirklich Feierabend ist oder nicht, scheint auch einige im Publikum etwas zu ärgern. Zum Glück sind die Encores aber durch große Klassiker wie „Dem Gone“ und „Superior“ geprägt, sodass alle mitsingen und in der leicht kühlen Brise im Takt mitwippen.

Doch irgendwie möchte Gentleman gefühlt nicht richtig arbeiten. Oder hat schlicht und ergreifend keine Energie mehr. 30 Konzerte hat er laut eigenen Angaben trotz der schwierigen Lage in diesem Sommer gespielt, was man auch eindeutig hört. Hohe Stellen singt er nie oder rutscht nur so halb in die Töne, alles, was etwas aus der Comfortzone herausgeht, singt ausschließlich seine Background-Lady oder eben das Publikum. Zwar springt er wild von links nach rechts und ist gerade in der Interaktion mit seinen Anhänger*innen voll dabei, aber vieles wirkt unkoordiniert, permanent improvisiert – so werden zum Beispiel ständig gerade beendete Lieder doch nochmal kurz angestimmt, weil er den Refrain oder diese eine Strophe so mag – und nicht so richtig abgesprochen. Seltsam und auch ein Stück weit unprofessionell.

Es ist schwer in einen richtigen Konzerte-Flow zu kommen. Zwar ist die Band durchgängig on point, besonders die Saxophon-Soli machen schöne Stimmung, aber Gentleman wirkt schlichtweg etwas verballert und wenig konzentriert. Der sympathische, easy going Kerl hat auch nach zwei Dekaden durchaus noch Potential zu unterhalten, nimmt das Ganze aber schon sehr auf die lockere Schulter und macht eben das, was gerade so passiert. Kann klappen oder auch nicht. Ein Abend, der die großen Fans bestimmt zufriedengestimmt hat, Gelegenheitshörer*innen aber vielleicht auch enttäuscht haben könnte.

Und so hört sich das an:

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Bild von Christopher F.

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