Queerness ist Alltag. Menschen der Medienbranche sind so bunt und divers wie noch nie. Outings fallen leicht, das Echo darauf ist fast durchweg positiv. Doch der Weg dahin war steinig. Man darf nie vergessen, dass nicht irgendeines Tages beschlossen wurde, dass das Abweichen von der Heteronormativität völlig legitim ist, sondern sich ein Prozess dahinter verbirgt. Ein Prozess, der von vielen damals noch Wagemutigen vorangetrieben wurde. Eine unter ihnen: Georgette Dee.
Travestie ist in der Kleinkunst schon immer ein Ding. Lang galt es aber eben nur als Unterhaltungsform für den Underground. Nur die Wenigsten schafften es ins Fernsehen – oftmals dann männlich gelesene Personen in typisch femininer Kleidung. Wegbereiter*innen sind zweifelsohne Lilo Wanders sowie Mary & Gordy, die sich jeweils in den 80ern durch Auftritte in Late-Night-Shows einen Namen machten. Das hatte stets eine gewisse Faszination, aber auch ein wenig Verruchtheit. Dass dahinter oft sehr kluges Kabarett steckte, funktionierte bei denjenigen, die sich mit dem Anblick nicht anfreunden konnten, dennoch nicht und stieß auf Ablehnung.
Bei Lilo Wanders dockte auch Georgette Dee an. Durch die richtigen Kontakte zur Hamburger Szene, die bis heute in Deutschland das Who-Is-Who der Drags, Transvestiten und Tunten vereint, konnte Dee, deren bürgerlicher Name immer noch ein kleines Mysterium ist, die angefangene Krankenpfleger-Ausbildung schmeißen und sich dem hingeben, wofür das Herz schlägt: Schauspiel, Gesang, Bühne.
In über drei Jahrzehnten erspielte sich die in der Lüneburger Heide geborene Künstlerin eine treue Fangemeinde und blieb dennoch ein Geheimtipp. Sie verlor nie den Überblick und Zugang zu ihrem Publikum und machte nicht den Fehler, plötzlich eine kommerzielle Persönlichkeit zu werden, die auf einmal das tun muss, was man ihr vorgibt und was ein paar Euros mehr einbringt, sondern behält weiterhin das Niveau.
Am 13.5., einem Freitag, kehrt Georgette Dee nach unzähligen Corona-bedingten Verschiebungen endlich ins Konzerthaus Dortmund ein. Dee ist so zwiegespalten wie die Ortschaft. Das sehr schicke Konzerthaus, das schon oft durch seinen hervorragenden Klang und sein stilvolles Programm auffiel, steht auf einer der besonders umtriebigen Straßen in der Dortmunder-City. Die Brückstraße vereint Nachtschwärmer, billige Klamottenläden und Imbissbuden, die gefühlt rund um die Uhr offen haben. High-Class trifft auf ein wenig Kitsch und Slang.
Das Publikum ist mit Georgette Dee gereift. Für die queere Community Ü50 ist sie ein Star. Einige Pärchen haben sich für den Abend schick gemacht. Doch auch die typischen Hochkultur-Liebhaber*innen des Konzerthauses befüllen den Raum, sodass das Parkett zu geschätzt dreiviertel besetzt ist. Um 20:15 Uhr zur Primetime betritt Terry Truck die Bühne.
Pianist Truck ist bereits über 70. Er und Dee lernten sich Anfang der 80er in London kennen. Vierzig Jahre später stehen sie immer noch, wenn auch nicht mehr ganz so oft, gemeinsam auf der Bühne. Das Programm, das insgesamt 105 Minuten Spielzeit umfasst, geht erst 40 und dann 65 Minuten, unterbrochen von einer 25-minütigen Pause. Es ist still ab dem Moment, in dem Dee in einem schwarzen Kleid und mit weiß-grauen schulterlangen Haaren die Bühne betritt. Laut wird es nur durch Beifall oder durch herzliches Gelächter.
Georgette Dee schafft einen Spagat, und zwar in mehrere Richtungen. Sie ist keine klassisch ausgebildete typische Sängerin und doch berührt sie mit ihrer erzählenden Art mit fast jedem Ton. Sie ist Schauspielerin, gibt immer noch Workshops und wählt stets große Gesten. Ihre riesig wirkenden Hände steigen oft über ihren Kopf hinaus und formen Bilder. Ihr Blick ist fokussiert, ruhig und doch hypnotisierend. Ihre Geschichten sind irre komisch, teils so schnell vorgetragen, dass es einen kurz überfordert, manchmal erst Sekunden später nachhallt und beinhalten immer etwas bittersüßes, altkluges, weises als Schlusspointe.
Nach einer Minute setzt Truck erstmalig als zweite Stimme ein. Das erzeugt durch seine unglaublich intime Atmosphäre, die nicht zuletzt einem wunderschönen Licht geschuldet ist, wohlige Gänsehaut, die noch mehrmals wiederkommen soll. Es gibt Vertonungen von Texten von Rilke genauso wie ein Cover von “Fall At Your Feet” (Crowded House), “Que Sera Sera” (Doris Day), “Liebeskummer Lohnt Sich Nicht” (Siw Malmkvist) oder “Paff, der Zauberdrachen” (Marlene Dietrich) und selbstgeschriebene Texte, die beispielsweise auf Sprichwörtern beruhen. Ein Highlight auszuwählen, ist schwierig. Das Highlight ist die Symbiose aus Allem und des Dabeiseins.
Alles wirkt rund, fast wie ein Theaterstück. Dennoch dabei aber nicht abgehoben, selbstdarstellerisch, überzogen, sondern fragil. Wie eben eine an den Moment gebundene Kunstperformance, die nicht perfekt sein muss. Sie ist es nämlich auch nicht. Manchmal ist der Gesang nicht 100 Prozent sauber, aber dafür ist er fast zwei Stunden lang äußerst emotional und unbearbeitet. Der melancholische Touch der Songs wechselt sich mit Geschichten ab, in denen es um das Anfertigen von Mettbrötchen oder ums Autofahren auf dem Dortmunder Königswall geht, bei dem eine rote Ampelphase dafür genutzt wird, um mit jungen Herren zu flirten.
Queere Bühnenkunst, die nicht einen Hauch von Trash verspüren lässt. Stattdessen spielt hier ein sensationell talentierter Pianist mit einer Person zusammen, die zweifelsfrei durch eine tiefe Zuneigung miteinander verbunden und perfekt aufeinander abgestimmt sind. Großes Können, große Werke aus unterschiedlichen, nicht vergessenen Zeiten, ein Hauch Traurigkeit, weil einem Vergänglichkeit gespiegelt wird und wirklich sehr starke Momente des Gesangs, die durch Gestik und Mimik auf ein noch höheres Level transportiert werden. Georgette Dee ist auch mit über 60 ein erstklassiger Act, der viel mehr Aufmerksamkeit verdient, aber irgendwo auch zum Glück gar nicht braucht.
Und so hört sich das an:
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Foto von Christopher.
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