Jason Derulo, Kunst!Rasen Bonn, 16.08.2024

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Jason Derulo! Na, hast du es nur gelesen oder gesungen? Gib’s doch zu! Der Künstler, der in Songs wohl häufiger als alle anderen seinen eigenen Namen erwähnt, zieht das erste Mal nach sechs Jahren wieder um die deutschen Konzerthäuser und -arenen. Dabei kehrt er sogar im Sommer ein weiteres Mal zurück in die Region, obwohl er schon im März die Lanxess in Köln besang. Der Kunst!Rasen in Bonn ist der einzige Open-Air-Gig in deutschsprachigen Ländern.

Hätte man nicht unbedingt gedacht: Als im Frühjahr 2009 der damals noch 19-jährige aus Florida stammende Jason Derulo – wir möchten, dass ihr es bitte immer singt, wenn ihr es in diesem Artikel lest – erstmalig in den Radios ertönt, wäre man nicht unbedingt darauf gekommen, dass 15 Jahre später der Gute immer noch am Start ist und in der Zwischenzeit mal eben 96 Millionen Platten verkauft. Doch die extrem catchige Kombination aus zum Tanz auffordernden R’n’B-, Hip-Hop- und Latin-Rhythmen sowie den immer auf Ohrwurm getrimmten Refrains plus Whistle-Hooks und allem, was eben noch so geht, wusste einfach zu gefallen. Und ja, selbst mit der absoluten Abwehrhaltung ertappte man sich immer früher oder später, dass man doch wieder den neusten Hit ein bisschen mag und heimlich im Auto pumpt.

Mit fast 35 ist Jason ein absoluter Weltstar, gönnte sich zuletzt aber eine recht lange Verschnaufpause – zumindest, was seine Alben angeht. „Nu King“ erschien im Februar und ist die erste LP seit neun Jahren. Hat der dazwischen nicht aber auch Musik gemacht? Doch, sehr viel sogar. Nur immer einzelne Projekte ohne größeres Ganzes. Jason ist ohne Zweifel ein unverkennbarer Hitsingle-Act, bei dem Alben zweitrangig funktionieren. Stattdessen sind manche Songs des aktuellen Longplayers bereits vier Jahre alt. Das führt dann zumindest bei uns dazu, dass man das Album gar nicht erst wahrnimmt und es nicht mal die Top 100 knackt. Zu den 80 meistverkaufenden Artists aller Zeiten gehört er hier dennoch weiterhin.

Was aber immer funktioniert, sind Liveshows. Die gibt’s von dem Ami bei uns recht selten. Sobald aber nur eine Werbung erscheint, ertappt man sich automatisch dabei, einen der unzähligen Classics von ihm zu singen und Hummeln im Arsch zu bekommen, weil man einfach sofort dazu abgehen möchte. Wer das im März vercheckt hat, aber nachholen mag, kommt also am 16.8., einem Freitag, auf den Kunst!Rasen in Bonn, der 2024 durch ein besonders außergewöhnliches Line-up voll überzeugt, um mit Jason zwei, drei Runden zu swala-la-la.

Ganz ausverkauft ist die etwas versteckte Wiese zwischen hohen Bäumen nicht, aber ordentlich gefüllt. Ein wenig überraschend ist das Publikum, das bei Hip-Hop-Acts oft aus People of Color besteht, hier aber eher die Radiotauglichkeit widergespiegelt wird. Jason Derulo ist einfach ein Artist, der im Fitnessstudio, im Stau und auf allen Partys so gut funktioniert, dass er eigentlich mehr Mainstream-Pop ist als typische Black Music. So tut sich in Bonn ein recht junges U30-Völkchen zusammen, dass ein wenig auf Großraumdisco-Zeiten oder Abi-Momente zurückblicken mag.

Das Wetter spielt hervorragend mit. Es ist nicht zu heiß, ab und an etwas bewölkt, Regen fällt jedoch glücklicherweise aus. Dafür muss man etwas durchhalten, denn nach dem Einlass um 17 Uhr passiert drei Stunden lang quasi nüscht. Ein Support ist nicht geplant, stattdessen gibt es um 19:45 Uhr Jasons MC, der schon mal mit ein paar bekannten Hits aus diversen Genres die Stimmung anheizt, was jedoch aufgrund der wirklich miserablen Tonqualität so gar nicht klappt. Panik macht sich breit – bitte lasst den Sound besser werden.

Beachtet man die zehn Minuten kaum, fällt das erste Manko nicht stark ins Gewicht. Um fünf vor acht startet der Hauptact. Nach nur wenigen Sekunden staunt man nicht schlecht, denn besonders für die ansonsten eher einfach gehaltenen Bühnenkonstruktionen auf dem Kunst!Rasen wird hier heftig aufgefahren. Zwölf Tänzer*innen, eine vierköpfige Band, eine Showtreppe, riesige Leinwand. Das ist schon eine Stange Aufwand und bringt typisches Arenen-Feeling in die ehemalige Landeshauptstadt. Bereits das Betreten der Bühne erinnert an die wohl ersten Shows dieser Art, die Michael Jackson in den 80ern präsentierte: Hier wird Jason Derulo aus dem Boden heraus mit einem Katapult nach oben befördert und bleibt dann erstmal ein paar Sekunden regungslos stehen und lässt sich bejubeln.

Und so, wie es einst der King of Pop tat, so macht es der Künstler ihm in vielen Teilen nach. Mit wirklich vollem Körpereinsatz werden die 95 Minuten nur mit kleinsten Verschnaufpausen durchgezogen und in denen dann natürlich auch noch das Outfit gewechselt. Wenn Jason auf der Bühne ist, wird fast durchgehend getanzt. Die Choreos sind ziemlich ausgefeilt und äußerst detailliert geplant. Zweifellos ist das das stärkste Element des Gigs, denn nicht nur Jason sorgt für heiße Moves. Die zwölf Tänzer*innen sich wirklich hochkarätig, können von Breakdances über Crip Walk bis hin zu Lapdances gefühlt jeden Stil und geben pure Energie. Um da mithalten zu können, legt sich auch der Hauptact mächtig ins Zeug, schwitzt eigentlich bereits nach fünf Minuten zig Liter aus und entkleidet sich im Laufe der Show immer ein bisschen mehr. Sehr vielen weiblichen, aber auch einigen männlichen Fans scheint das aufblitzende Sixpack, das erst zum Finale komplett gezeigt wird, ziemlich zu gefallen.

Es wird viel mit den Handys gefilmt, was auch an den vielen Special Effects liegt. Laser, die leider nicht richtig wirken, weil es dafür einfach noch viel zu hell ist, führen ins Leere. Besser hingegen sind Feuerfontänen, Pistolen, aus denen starke Gaswolken entweichen, Pyroregen von oben und Konfetti, das auf die Menge prasselt. Dazu immer ein passendes Visual – mal im Comicstil, dann wieder Szenen aus den Musikvideos und viele eingefangene Momente, die just in dem jeweiligen Augenblick passieren. Allerdings gibt es hier doch technisch einige Probleme, sodass die zwei Kameramänner vor der Bühne keinen flüssigen Ablauf zeigen. Fast durchweg gibt es beim Kamerawechsel mehrere Sekunden Schwarzbild auf den Leinwänden an den Seiten.

Sex schwebt in der Luft. Die Musik hat eben diesen old and dirty Touch, bei dem sich die Boys in den Clubs von hinten an die Girls anpirschen, um eng umschlungen zu dancen. Jason macht bei einigen Songs ähnliche Stimmungen auf der Bühne nach, greift aber doch einige Male zu doll in die Sexismus-Schublade. So richtig 2024 ist das eben nicht mehr, wenn Frauen auf dem Rücken im Spagat vor dem Typen herumkriechen und der dann zwischen den Beinen grabscht. Das ist schon etwas Bad Taste und wirklich von vor-vorgestern.

Trotzdem ist neben den durchgetakteten und synchron vorgeführten Choreografien das zweite sehr positive Merkmal die hervorragende Setlist. Mit weit über 20 Songs kommt hier Schlag auf Schlag wirklich das, was man will: Hits. Selbst wenn man Jason Derulo nicht intensiv verfolgt, kennt man mindestens 80 Prozent von dem, was an dem Abend aus den Boxen dröhnt. Da gibt es eigentlich so gar nichts zu beanstanden, sind „In My Head“, „Don’t Wanna Go Home“, „Talk Dirty“, „Acapulco“, „Breathing“, „Wiggle“ oder „Savage Love“ alles Tracks, die die gesamte Gen Y und Z mitsingen können – ob man will oder nicht, hat man wirklich jede Hook davon für immer im Gehirn abgespeichert.

Dennoch springt in Bonn der Funke nicht über. Woran das liegt? Weil das Live-Erlebnis auf Minimalniveau bleibt. Ist zwar alles hervorragend im Timing und die Ambition zu unterhalten durchaus da, so fehlt es dem Ganzen an Spontanität und Persönlichkeit. Auch wenn Jason einige Male ein „Ich liebe dich“ über die Lippen bringt, ist ansonsten das, was aus seinem Mikrofon kommt, geschätzt zu 95 Prozent nicht live. Bei jedem Track läuft seine Stimme vom Band mit. Meistens singt er mit, manchmal aber auch nicht. Dann klingen einige Sekunden genau so, wie die davor, nur das Mikro ist nicht mehr am Mund. Aye aye aye. Ist das cool? Nope, it’s not. Zwar gibt es ein paar wenige Titel, bei denen der Künstler allein auf der Bühne steht und einige Takte a cappella performt, aber auch diese Parts klingen dank extremer Halleffekte und diversem Autotune fast gar nicht live. Jason ist sichtlich außer Atem, man hört es aber nicht im Geringsten. Jeder Ton klingt nach Studio. Das ist doch sehr irritierend und kein stimmiges Gesamtbild.

Er wirkt freundlich, aber auch etwas aufgesetzt. Er weiß genau, wann er sein breites Lächeln zeigen muss, das selten spontan, sondern eben geübt und einstudiert wirkt. Jason Derulo spielt in Bonn über anderthalb Stunden einen Megaseller nach dem nächsten und erzeugt Clubfeeling bei den letzten Sonnenstrahlen des Tages. Die Moves sind an einigen Stellen etwas zu spicy und cheep, geil getanzt ist die Show aber zweifellos. Nur hinsichtlich Musikalität ist hier trotz Liveband absolute Flaute. Wenn der MC lauter ins Mikro brüllt, wie viele Platten der Sänger verkauft hat, als der Sänger dann selbst aber singt, hat das schon Geschmäckle. So richtig reißt es nicht mit, ist auch das Publikum selten komplett angetan und spart stattdessen ein wenig mit Beifall. Am Ende geht der Star die vordere Reihe ab, begrüßt ein paar Fans mit Handschlag, bevor er dann in den Tourbus verschwindet. Der fährt nämlich danach noch nach Bochum für einen Mini-Gig ins Rouge.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher

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