Lord Huron, Live Music Hall Köln, 01.07.2024

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Krank geworden sind wir alle schon häufiger. Dann schreibt man den Vorgesetzten und erledigt das, was man heute machen müsste, eben morgen oder die Tage bzw. wird vertreten. Bei Künstler*innen ist das mit ihren Konzerten jedoch nicht so einfach, spielen sie am nächsten Tag meist schon in einer ganz anderen Stadt oder ist die Venue dann gar nicht mehr verfügbar. Lord Huron stehen in Köln vor genau jenem Problem, dass Sänger Ben Stimmprobleme hat – nur können sie sich nicht so richtig entscheiden, was sie dann am besten tun sollten, weswegen sie den Mittelweg gehen. Ist das nun gut oder eher schlecht? Ansichtssache.

Doch kurz einmal ein paar Jahre zurückgespult: Serien und Filme, die auf Streamingplattformen im Angebot stehen, sind schon längst Erfolgsgaranten für Songs, die plötzlich (wieder) zu Hits werden. Das wird immer wieder unter Beweis gestellt. In der vielfach ausgezeichneten Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ – auch bekannt unter dem englischen Titel „13 Reasons Why“ – gibt es eine Schlüsselszene, in der die beiden Hauptprotagonist*innen auf einem Schulball tanzen. Dazu läuft der Song „The Night We Met“ der US-Indierock-Band Lord Huron, der musikalisch wie textlich die Atmosphäre so perfekt einfängt, dass plötzlich alle wissen wollen, wer diesen wirklich irrsinnig guten Song geschrieben hat. Klick- und Verkaufszahlen strömen nach oben. Der Vers „I had all and then most of you, some, and now none of you“ trifft mit solch einer unkontrollierbaren Wucht in die Magengrube, dass der Schmerz immer noch anhält.

Das ist sieben Jahre her. Lord Huron, ursprünglich ein Soloprojekt von Frontmann Ben Schneider, droppen bereits 2012 ihr Debütalbum, haben sich seitdem aber besonders in den Staaten einen Namen als sehr musikalische Indie-Alternative-Gruppe gemacht. In Europa bleiben sie bis heute ein starker Geheimtipp, auch wenn ganz besonders das dritte Werk „Vide Noir“ viel mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, der aktuelle Longplayer „Long Lost“ da auch dann leider trotz ambitioniertem Stilwechsel nicht mehr mithalten konnte. Und wenn man eben noch nie in Deutschland charten konnte – einzige Ausnahme bleibt „The Night We Met“ – ist das mit den Touren immer eine waghalsige Sache. Kommen genug Leute? Welche Hallengröße sollte man buchen?

Lord Huron finden sehr selten den Weg nach Deutschland. 2024 das erste Mal seit 2018. Ben Schneider merkt an, dass die Crowd seit Beginn der Band immer größer wurde und gerade seit der letzten Show, die im Gloria stattfand, ein ordentlicher Sprung passiert ist. Die ausverkaufte Live Music Hall ist der einzige Ort, an dem das Quartett und die zwei zusätzlichen Liveinstrumentalist*innen inklusive einer wunderbar klingenden Backgroundsängerin, die auch Pianistin ist, bei uns zu Lande spielen. Mit elf Gigs in Europa ist man eh recht sparsam. Sparsam ist man allerdings nicht nur bei der Anzahl der Shows, sondern in Köln ganz besonders auch bei der Anzahl der Songs.

Bevor man das als Zuschauer*in herausfindet, gibt es jedoch um 20 Uhr mit Asha Jefferies im Vorprogramm eine Australierin, die grob zwischen Billie Eilish und Holly Humberstone anzusiedeln ist. Sie spielt sehr reduzierten, emotionalen Indie-Pop auf ihrer E-Gitarre. Bei manchen Tracks wird sie von einem Kumpel begleitet, der dann auch minimale Beats darunterlegt. Das ist alles ganz nett und schön, klingt jedoch, wie momentan einfach alle klingen und kommt in den 30 Minuten viel zu wenig aus den Puschen. Ein Anheizer ist das nicht, eher etwas Nettes für den cozy Mittagsnap.

Mit einer winzigen Verspätung von gerade einmal zwei Minuten geht es quasi nach Plan um kurz nach 9 weiter. Eine mystische Atmosphäre mit gesprochenem Intro. Viele große Lichtschirme im Hintergrund. Ein Telefon, das denen der 90er auf einem verlassenen Highway gleicht, im Mittelpunkt auf der Bühne. Und dann wird es schnell rockig, sodass die Müdigkeit vom Voract innerhalb weniger Sekunden verfliegt. Lord Huron und Frontmann Ben grooven sich schnell ein, der Sound ist auch ganz fein. Die Crowd beginnt zu dancen.

Nach drei Songs gibt es die erste große Ansage. Neben der Überraschung, wie viele Fans es mittlerweile sind, sagt Ben, dass es genug Material geben wird, um zu weinen, zu tanzen, zu philosophieren. Nur das Sprechen ist nicht so die Stärke der Band, weswegen sie einfach durch ihre Lyrics alles transportieren und mit den Songs auch ihren Dank aussprechen. Ben im schicken Anzug mit Vollbart und Föhnfrisur ist schnell das Zielobjekt diverser Handykameralinsen. Aber auch seine Backgroundlady Allison Ponthier, die den Titeln eine sanfte, klare, feminine Stimmfarbe verpasst und bei „I Lied“ sogar nach ganz vorne an den Bühnenrand darf, hat sie schließlich auch einen Solopart, bekommt mehrfach großen Applaus.

Kurz vor dem Meisterwerk „The Night We Met“ gibt es dann zum zweiten Mal ein paar mehr Worte übers Mikrofon. Ben erzählt, dass er erstmalig ein deutsches Krankenhaus von innen gesehen hätte und ihm empfohlen wurde, nicht so viel zu singen. Worte, die in dem Augenblick überraschen, wirkt die Stimme von Lord Huron bis dahin ohne große Einschränkungen. Er springt über die Bühne, schwitzt sichtbar in seinem viel zu warmen Anzug und hat seine charismatische 39-jährige, bittersüße, leicht verstimmt wirkende Lebenserfahrung im Klang. Von Erkältung ist zumindest oberflächlich wenig hörbar. Doch bei dem Song, auf den sich die Allermeisten wohl am Allermeisten freuen, singt er höchstens die Hälfte. Für den Rest hält er sein Mikro ins Publikum und lässt es singen. Das ist natürlich einerseits süß und lieb, andererseits will man aber doch – lebt der Song eben auch sehr stark durch die Stimme – gerade jetzt ihn hören. Da wäre es schön gewesen, wenn es entweder erst eine Version nur von ihm und dann vom Publikum oder umgekehrt gegeben hätte. So ist das Erlebnis aber viel zu schnell vorbei und ganz schön unbefriedigend.

Doch dass nicht nur das Lied, sondern auch das Konzert ganz schnell vorbei ist, bemerkt man wenige Minuten später. Folgt im Anschluss „Fool For Love“ vom zweiten Album „Strange Tails“, das eh den Großteil einnimmt, folgt daraufhin der Abgang von der Bühne. Dazu die Worte „Wir hoffen, dass es bis zum nächsten Mal in Deutschland nicht wieder sechs Jahre dauert“. Da ist das Konzert keine 55 Minuten alt. Wie jetzt? Die haben vier Alben und spielen nicht mal eine Stunde im Hauptset? Man schaut in viele äußert verwirrte und enttäuschte Gesichter. Glücklicherweise kommen die sechs Musiker*innen nochmal zurück, jedoch nur für einen Song. „Not Dead Yet“ vom aktuellen Album „Long Lost“ als Zugabe und dann ist das ganze Ding schon vorbei. Keine wirkliche Entschuldigung oder Erklärung, dass die Stimme anscheinend doch zu stark leidet. Licht und Saalmusik an, bye.

Lord Huron zeigen bis zu diesem Zeitpunkt, dass sie eine Band sind, die sich absolut durch ihre Musikalität definiert. Und die ist auch echt gut. Treibend, klassisch, wenig Schnickschnack, aber doch abwechslungsreicher und lauter, als man zunächst denkt. Die eigentliche Setlist, die noch einen Tag zuvor in Paris durchgezogen wurde, hätte 20 statt elf Songs umfasst, 110 Minuten statt 60. Und ja, eine Stunde ist für eine Band, die bereits so lange existiert und so viel Material besitzt, viel, viel, viel zu wenig.

Am Ende bleibt jedoch die hoch diskutable Frage: Wie verhalte ich mich als Artist, wenn ich krank bin? Ziehe ich den Gig komplett durch, klinge dann oftmals etwas schlechter, lasse vielleicht Fans oder Backgroundleute häufiger singen? Spiele ich, so wie Lord Huron es tun, ein stark gekürztes Set? Oder probiere ich, den Gig zu verschieben, bzw. sage ihn spontan ab? Wählt man die letzte Option, bekommen die Fans zwar keine Show, dafür aber das komplette Geld zurück. Spielt man ein gekürztes Set, bekommt man für den vollen Preis gerade einmal die Hälfte geboten, ohne es sich aussuchen zu können. Zieht man durch, nimmt man vielleicht zwei, drei kritische Stimmen in Kauf, bietet aber das, was die anderen Städte auch geboten bekommen. Schwierig. Aber der Besuch in der Live in Köln fühlt sich am 1.7., einem Montag, echt nicht gut an, wenn man gen 22 Uhr noch im Halbhellen die Halle verlässt, wirkte das Stimmproblem eben nur halbherzig kommuniziert. Uns wäre eine der anderen beiden Optionen ganz klar lieber gewesen.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher

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