Ihr kennt alle diesen Moment: ihr schaut eine Serie. Es kommt der emotionalste Moment der gesamten Staffel. Völlig gebannt guckt man auf den Bildschirm. Begleitet werden genau diese Szenen gerne mit einem eher unbekannteren Song, der das Treiben perfekt einfängt, sich aber nicht zu stark aufdrängt, damit die Stimmung nicht überstrapaziert wird. Kurz nach dem Ausstrahlen der Serie verändert sich nicht nur der Bekanntheitsgrad des Songs, sondern häufig der gesamten Band. Das gelang damals mit „Chasing Cars“ von Snow Patrol in Grey’s Anatomy, mit „Hallelujah“ in der Jeff Buckley-Interpretation bei O.C. California – und zuletzt auch dem wundervollen „The Night We Met“ von Lord Huron in 13 Reasons Why bzw. Tote Mädchen Lügen Nicht. Die Ballszene. Wer die Serie gesehen hat, weiß sofort, was gemeint ist.
Ein gutes Jahr nach der Veröffentlichung der Serie hat der Song nichts an Ausdruck verloren. Tatsächlich haben die Typen aus L.A. mit ihrem Hit, der zu der Zeit von 13 Reasons Why bereits zwei Jahre auf dem Buckel hatte, eine Indie-Pop-Perle rausgehauen, die problemlos zu den ganz großen Nummern der 2010er zählt. Man sollte Bands natürlich nicht auf einen Song reduzieren – aber ob die Intensität noch einmal zu erreichen ist, bleibt oft nur traurig zu verneinen. Jetzt soll neues Material genau das unter Beweis stellen. Lord Huron veröffentlichen nun bereits Album Nr. Drei, das auf den schönen Namen „Vide Noir“ hört. Der Sound stellt sich dabei zwar nicht als so mystisch heraus, wie der Albumtitel es noch vermuten lässt, könnte aber dennoch das Interesse eines jeden Indie-Fans der letzten zwei Dekaden wecken.
Die zwölf Songs zeigen sich als geschickter Klangteppich. Die Stücke gehen meist nahtlos ineinander über, der Sound kreiert sich also stets aus der vorherigen Nummer. Das sorgt nicht nur dafür, dass der Hörer mitgenommen wird und keine abrupten Emotionsabbrüche erleben braucht, sondern sich das Album generell super gut durchhören lässt. „Ancient Names (Part I)“ und „Never Ever“ hätten 2007 in jedem Club die Massen zum Kochen gebracht, „Wait By The River“ hingegen ist 60s-Rock’n’Roll in Modern und „Secret Of Life“ könnte eine Single von The Black Keys sein. Und wenn „Back From The Edge“ nicht auf dem nächsten Tarantino-Soundtrack landet, ist auch da ordentlich was schiefgegangen. Der Titeltrack kommt zwar spät, ist aber ebenfalls absolut hörenswert.
Die Produktion klingt stets etwas spektral, dann auch wieder nach Dark Wave oder Garage-Rock und bleibt nicht gut greifbar. Das Facettenreichtum ist bei den ersten Durchläufen kaum zu überblicken. Lord Huron zaubern einen Stil aus dem Hut, der einen Sog entwickelt und irgendwie echt bockt. Das wirkt retro und gleichzeitig total gegenwärtig. Die Stimme von Ben Schneider wird dabei fast pausenlos mit Stimmverzerren und Vocodern versehen, was dem Ganzen zusätzlich beikommt. Aber kommen wir zur Frage am Anfang zurück: Gibt es ein neues „The Night We Met“? Nein. Kein einziges. „When The Night Is Over“ darf womöglich als kleine Hommage verstanden werden. Stattdessen bietet die Platte im fairen Tausch mindestens sieben oder acht andere geile Songs, die so unverschämt homogen und dennoch spannend sind. Staffel zwei der Serie steht ja in den Startlöchern – mag schon mal jemand einen Tipp abgeben, welcher Titel für die kommende Schlüsselsequenz ausgewählt wird? Wir mögen uns nicht entscheiden. Fazit: Anwärter auf die Top 5 der Alben 2018.
Und so hört sich das an:
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Lord Huron live:
21.10. Hamburg, Grünspan
2.11. München, Technikum
3.11. Köln, Gloria
5.11. Berlin, Columbia Theater
Die Rechte des Albumcovers liegen bei REPUBLIC.
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