„Die größte Sauna des Ruhrgebiets“ befindet sich am Montagabend, dem 26.8.19, im großen Zelt auf dem Zeltfestival Ruhr. So sagt es der Künstler auf der Bühne. 31 Grad zeigt das Thermometer draußen, drinnen ist es gefühlt nicht besser. Das hindert trotzdem kaum jemanden daran, zu dem fast ausverkauften Konzert von Michael Patrick Kelly zu kommen, der bereits 24 Stunden zuvor die Hütte vollgemacht hat und somit eine Extraschicht einlegen darf.
Emanzipation von der berühmtesten Musikerfamilie in deutschen Regionen. Das war schon früh das Ziel von Paddy Kelly, der in den 90er Jahren unmöglich allein auf die Straße konnte. Jeder Schritt wurde von einem Bodyguard begleitet. Egal, ob Doppeldeckerbus, Hausboot oder Schloss – pausenlos befanden sich Fans in unmittelbarer Nähe. Einerseits natürlich ein Geschenk, dass so viele Leute für einen anreisen und sogar auf der Straße nächtigen – andererseits aber eben die große Schattenseite des Showgeschäfts.
Dann war es längere Zeit still. Zwar befand sich Paddy 2004 noch unter den sechs Mitgliedern, die auf dem letzten Studioalbum vor der großen Pause zusammenwirkten, ging daraufhin aber zum Studieren ins Kloster. Mit „In Exile“ gab es bereits ein Soloalbum im Regal, so richtig los ging es aber erst viele Jahre später. Seit 2015 hat Michael Patrick, wie sein ursprünglicher Vorname lautet, drei Soloalben veröffentlicht. Zwei davon schafften es bis in die Top 3 der Albumcharts und sackten Gold ein. Außerdem darf sich VOX bei Kelly für hervorragende Einschaltquoten bedanken: sein Mitwirken bei der vierten Staffel „Sing meinen Song“ sorgte für Trubel und schlug so ein, dass daraufhin Teilnahmen als Juror bei „The Voice of Germany“ folgten und er in der sechsten Staffel „Sing meinen Song“ sogar als Gastgeber fungierte.
All das und eine ständige Präsenz in den deutschen Airplaycharts führt nun also dazu, dass Michael Patrick Kelly mehrere Konzerte ausverkaufen darf. Doch was erwartet einen? Leider ein gar nicht so einfach zu bewertender Abend, da er einen irgendwie mit ambivalenten Gefühlen zurücklässt. Nachdem die Meute 95 Minuten im viel zu stickigen Zelt warten darf, beginnt um 19:35 die Show. Die fünfköpfige, rein männliche Band, bestehend aus zwei Gitarristen, Drums, Keyboards und Bass, betritt im Dunkeln die Bühne. Im Hintergrund eine Showtreppe, über der eine rechteckige Leinwand emporragt. Links und rechts flackernde Lichter.
Direkt zu Beginn knallt es ordentlich. Nebenan im Zelt spielen Mando Diao. Haben wir uns etwa verlaufen? Seit wann macht Michael Patrick Kelly denn Rock? Und tatsächlich scheppert es laut aus den Boxen. Kelly in aufgerissener Jeanshose, dazu Lederjacke und ein Mikrofonständer, der sich nach Belieben biegen lässt. Obendrauf macht er typische Rockstarbewegungen und große Gesten, was irgendwie direkt für ein wenig Fremdscham sorgt. Natürlich darf man auch mal aus seinem Muster brechen, aber so? Well. Nach dem eher unschicken Opening geht es dann aber doch in eine berechenbarere Richtung.
Letztendlich spielt Kelly beeindruckende 140 Minuten lang. Das ist in der Quantität schon mal stark überdurchschnittlich. Qualitativ gibt es auf Seiten der Band nichts zu beanstanden. Die dürfen sogar zwischenzeitlich die Bühne für sich allein beanspruchen. Auch gesanglich liefert Paddy als eine der markantesten männlichen Stimmen Deutschlands gute Kost. Der Sound ist auch in Ordnung. Nur die Musik selbst hebt sich viel zu selten vom einheitlichen Radio-Pop ab. Das tut niemandem weh, eckt nicht an – aber bleibt somit auch stets nur im Durchschnitt und nutzt sich schnell ab.
Was Kelly hingegen schon früher gut konnte und er offensichtlich auch nicht verlernt hat, ist Fannähe. Selten gibt es auf Konzerten derart viel Interaktion. Er liest sämtliche Plakate von Fans vor (das einzige Rudiment aus seiner 90s-Karriere) und vergibt an die kreativsten Ideen einen kleinen Gewinn: ein Selfie mit ihm. Außerdem besucht er zum Ende des Konzerts den Block im Zelt, in dem Leute mit einer Behinderung sitzen. Jeder einzelne wird von ihm begrüßt und als „VIP der Gesellschaft“ betitelt. Großes Lob! Auch seine diversen Ansprachen wirken charismatisch, nicht heruntergedudelt, sondern herzlich und echt.
Auf der anderen Seite machen aber einige kuriose Ideen das Gesamtbild kaputt. Paddy möchte Stagediven, was bei der Art von Musik eh schon befremdlich wirkt. Wenn er’s dann aber noch mehrere Minuten vorbereitet, Fans dazu auffordert, näher zu kommen, vorgibt, wo er gerne landen möchte und mehrmals seine Angst zu fallen äußert, ist das alles andere als cool. Peinlich wird es dann, wenn nach keinen 5m der Weg durchs Zelt schon beendet ist und er wieder zur Bühne getragen wird. Viel Lärm um quasi Nix. Ein weiterer „spezieller“ Moment: eine große Glocke wird auf die Stage geschoben. Diese Glocke hat er aus alten Kriegswaffen gießen lassen. Nun soll damit eine Schweigeminute zelebriert werden. Schöner Gedanke, aber auch ein wenig zu viel Zur-Schau-Stellung.
Die Setlist setzt sich aus diversen beliebten Songs von seinen Soloalben zusammen. Für viele Titel motiviert er das Publikum, mitzuklatschen und mitzuwinken, was auch wohlwollend angenommen wird. Die Stimmung ist eh von Anfang an wirklich gut, trotzdem es sich schätzungsweise durchschnittlich um Leute Ende 30 halten sollte. Umso enttäuschender, dass es einfach ein wenig an gutem Songwriting und besonders an Intimität fehlt, dafür an bedeutungsschwangeren Lyrics hagelt. Höchstens zweimal entsteht ein Hauch von wirklich leisen Momenten. „Hope“ als Finalsong macht vor, wie gut es sein kann – bitte viel mehr davon!
Und zu guter Letzt: ja, es ist definitiv schade, dass kein einziger Kelly Family-Song gesungen wurde. Dass aber bei einem Song mit Namen „Friends r Family“ unzählige Fotos von ihm mit Freunden gezeigt werden und kein einziges Mal ein Bild mit seinen Geschwistern auftaucht, hinterlässt schon einen faden Beigeschmack. Denn da sollte man ehrlich sein – ohne seine Zeit in der Band, wäre heute die Hütte nicht ausverkauft. Egal, wie bittersüß es war. Die Wahrscheinlichkeit, dass die aktuelle Kelly Family-Besetzung doch auf Paddy noch hoffen darf, fällt ordentlich.
Michael Patrick Kelly und seine iD-Tour zeigen, dass es durchaus möglich ist, seinen alten Fesseln ein wenig zu entfliehen. Er bleibt ein Sympathieträger. Und trotzdem entsteht der Eindruck, dass er sich noch nicht so richtig gefunden hat.
Und so hört sich das an:
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Foto von Christopher.
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