Michael Jackson, Prince, George Michael, Joe Cocker, Freddy Mercury. Legenden des Pop/Rock. Alle bereits nicht mehr unter den Lebenden. In dieser Größenordnung übrig geblieben sind eigentlich nur noch Elton John, Paul McCartney und Phil Collins. Künstler, die so legendär sind, dass sie wirklich jeder Generation bekannt sind und über Jahrzehnte ihre Fans halten können, sogar neue dazugewinnen. Eben Leute vom Fach, echte Musiker.
Phil Collins musste jedoch in letzter Zeit eine große Portion seiner Möglichkeiten einbüßen. Dank einer nicht ganz glatt gelaufenen Rücken-OP ist sein rechter Fuß gelähmt, was ihm die Möglichkeit nimmt, Schlagzeug zu spielen. Auch die Hände wollen nicht mehr so richtig. Ein absoluter Albtraum, wenn man zu den 50 besten Drummern aller Zeiten gehört. Aber Kopf hoch, Mund abputzen und das Beste daraus machen.
Zum Beispiel eine neue Tournee. Nachdem 2017 unter dem leicht selbstironischen Namen „Not Dead Yet“ gleich fünf Mal (!) die Lanxess Arena in Köln ausverkauft wurde, der restliche deutsche Raum aber leer ausging, gibt es nun genau zwei Jahre später eine würdige Zugabe. Motto dieses Mal: Still Not Dead Yet. Word. Gleich neun Auftritte in Deutschland, Österreich und der Schweiz – alle in den größten Arenen, die möglich sind. Und weil es in Köln eben so schön ist, sind auch dort wieder zwei Stopps angesagt. Nur diesmal im RheinEnergieSTADION statt in der Lanxess, was bei zwei Gigs erneut 90.000 Besucher heißt. Phil Collins ist halt eine Marke, die zieht.
Organisatorisch gibt es leider bei dem ersten Gig am Freitag, dem 21.06., ein paar Schwierigkeiten. Bekanntlich bietet das Stadion nicht die besten Parkmöglichkeiten, sodass allein für die letzten 2km Weg mit gut 45 Minuten Fahrt gerechnet werden darf. Die Nerven liegen bei einigen sichtlich blank, der Einlass wird hier und da seitens der Besucher mit Verärgerung kommentiert. Glücklicherweise wird aber so viel Vorlauf eingeplant, dass es bis zum eigentlichen Konzertbeginn dann doch alle geschafft haben sollten. Laut Ticket geht’s um 18:45 Uhr los (welch kryptische Uhrzeit), aber erst mit der Vorband, was vielen Zuschauern entgegenkommen sollte.
Sheryl Crow als Support. Beim Namen sollte es bereits klingeln. Tut es nicht? „All I wanna do is have some fun, I got a feeling, I’m not the only one…“! Jetzt aber, oder? Hierzulande ist ihr letzter Hit zwar schon etwas her und generell nimmt man Country-Pop in Deutschland oftmals nicht wahr – in den USA wurden dafür immerhin bereits 15 Millionen Platten verkauft, womit sich die Vorband als ungewöhnlich erfolgreich präsentiert. Dementsprechend darf Crow auch nicht die typische halbe Stunde unbekannte Songs spielen, sondern liefert mit 50 Minuten Spielzeit ein eigenes Minikonzert, das die tiefstehende Sonne begleitet, die Leute beim Einlass unterhält und mit „Soak Up The Sun“, „If It Makes You Happy“ und eben „All I Wanna Do“ einige Hits bereithält. Gesanglich klingt das auch äußerst gelungen und geht im gut abgemischten Ton wohlig ins Ohr.
Im Stadion wird es allmählich unruhig. Konzerte dieser Größenordnung haben immer den Vorteil, dass die Atmosphäre besonders eindringlich sein kann – und den Nachteil, dass man sehr schnell wenig bis gar nichts sieht. Gerade der Innenraum zeigt dieses zweischneidige Schwert: die vordere Hälfte besteht aus zwei großen Sitzblöcken direkt vor der Bühne. Hierfür durfte auch ordentlich in die Tasche gegriffen werden, um Phil Collins auch auf der Stage und nicht nur über die Bildschirme zu erkennen – die hintere Hälfte des eigentlichen Fußballspielbodens sind hingegen Stehplätze, bei denen selbst die erste Reihe mindestens 50m von der Bühne entfernt ist. Einige davon stehen wie Gefangene hinter einem Gitter. Wer hier etwas später ankommt, hat verloren.
Um 20:20 Uhr sind dann aber die meisten Sorgen vergessen. Gestartet wird mit einem langen Intro, das Bilder aus vier Jahrzehnten zeigt. Danach erscheint die zehnköpfige Band, bestehend aus vier Backgroundsängern, Percussion, Bass, zwei E-Gitarren, Keyboarder und dem Drummer. Viele Instrumentalisten spielen genauso viele Jahrzehnte wie der Sänger bereits mit, der das Publikum herlockt. Nur der Schlagzeuger ist noch recht frisch – Sohnemann Nicholas Collins ist 18 Jahre jung. Zum Abschluss betritt Phil mithilfe eines Gehstocks die Bühne und löst einen lautstarken, frenetischen Jubel aus, begleitet von Standing Ovations.
Statt großem Bumbum beginnt der Gig außergewöhnlich ruhig. Nach dem minutenlangen Applaus begrüßt Phil seine Zuschauer und liest ein paar Zeilen auf Deutsch vor, die seine gesundheitliche Lage erklären. Er hofft, dass der Abend trotzdem schön wird. Dann folgt mit „Against All Odds“ die erste Nummer – ebenfalls ruhige Töne, die aber mit der Zeile „Take A Look At Me Now“ einen bittersüßen Beigeschmack bekommen und direkt absolute Gänsehaut zaubern. Daraufhin ein weiterer Klassiker, „Another Day In Paradise“, um die leicht tragische Realität zu spiegeln, aber den Hitcharakter aufrechtzuerhalten.
Doch wer denkt, dass das insgesamt 130 Minuten lange Konzert ein schwerer Abend mit Hang zum Depressiven bleiben würde, wird schnell eines Besseren belehrt. Nicht selten darf der Sound richtig knallen und wird sogar durch ein Bläserquartett erweitert. Soundtechnisch ist hier vor allen Dingen am Anfang für ein so großes Konzert echt absolute Extraklasse angesagt – glasklar, alles verständlich, toll gemischt. Leider wird es zum Ende, wenn alle wirklich Vollgas geben, etwas schlechter, aber immer noch ganz ordentlich.
Highlights der 18 Tracks umfassenden Setlist sind das berührende Duett „Separate Lives“ zwischen Phil und einer seiner Backgroundsängerinnen, das besonders gesanglich echt beeindruckt. Generell klingt der 68-jährige immer noch unverkennbar und individuell. Zwar sind die Höhen etwas flöten gegangen, sodass viele Songs nach unten transponiert und nicht in Originaltonart gespielt werden, aber dafür ist tonal nahezu alles richtig und mit viel Gefühl ausgestattet, wie die beiden Opener oder auch das einmalige „In The Air Tonight“ unter Beweis stellen. Dass Collins nur wenige Male am Mikrofonständer steht und ansonsten auf einem Barhocker sitzt, tut zwar häufiger Mal weh beim Zuschauen, nimmt aber nahezu nichts an der trotzdem groß vorhandenen Bühnenpräsenz. Legende bleibt eben Legende. Ob sitzend oder stehend, da kommt immer was rüber.
Auf der Stage wird sich fast ausschließlich auf die wirklich hochkarätige Musik konzentriert. Kein weiteres Equipment, eine schicke, aber schlichte Lasershow und vier Leinwände, um jeden Zuschauer zu erreichen. Im Finale wird mit einer dicken Konfetti- und Luftschlangenkanone überrascht, die das Stadion in bunte Farben taucht. Dafür sticht ein ganz anderes Element viel mehr hervor: das ausgiebige Drumbattle zwischen Drums und Percussion ist schlichtweg sensationell und atemberaubend. Sohn Nick ist für sein Alter unglaublich weit und zockt gigantisch. Der Schlagabtausch gipfelt im Trommel-Trio mit Phil, der also doch für einige Minuten ein Instrument in die Hand nehmen möchte und stellt das Intro zu der Guten Laune-Nummer „Something Happend On The Way To Heaven“, bei der das gesamte Publikum aufspringt und ausgelassen tanzt und mitsingt.
Auf seitens der Zuschauer hätte etwas mehr Interaktion nicht geschadet. Zwar steht die sitzende Crowd vor der Bühne mehrmals nach Songs zum Klatschen auf, größtenteils bleiben aber die Hälfte des Konzerts alle entspannt und zuhörend mit Handy bewaffnet sitzen. Am Ende springt aber dann begleitend zum Sonnenuntergang doch der Funke über, zaubert dank Mobiltelefonen ein Lichtermeer und schickt um 22:30 viele zufriedengestellte Leute nach Hause. Trotz bunt gemischter Setlist, die auch mit Genesis-Songs nicht spart und einige unbekanntere Albumtracks präsentiert, fehlt es aber Gelegenheitshörern wohl etwas an Hits. „Can’t Stop Loving You“, „I Wish It Would Rain Down“, „Groovy Kind Of Love“, „One More Night“ und der Liebling „You’ll Be In My Heart“ sind nicht dabei, ebenso nicht die beiden Genesis-Hymnen „I Can’t Dance“ oder „Jesus He Knows Me“. Schade. Da könnte man doch das eine oder andere austauschen. Aber nun gut.
Insgesamt bleibt ein wirklich großer Abend mit vielen Zuschauern, einer langen Show, einer sehr guten Band, berührendem Gesang und sympathischen Ansagen in Erinnerung. Wer weiß, wie viele Chancen es noch gibt, Phil Collins zu sehen. Die meisten seiner ebenbürtigen Kollegen hat er bereits jetzt überlebt. Still Not Dead Yet eben, und das ist echt gut so.
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Bild von Christopher.
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