Karneval und das Ruhrgebiet – das ist so eine Sache. Natürlich gibt es vereinzelt ein paar Jeck*innen, die zur Saison nach Düsseldorf oder Köln düsen, um die fünfte Jahreszeit zu zelebrieren, aber der Großteil ist dem Fest zum Ende des Winters gegenüber eher ablehnend eingestellt. Die Musik findet man meist, sagen wir, genauso gewöhnungsbedürftig. Querbeat haben aber den Dreh raus und machen im Pott Alarm, für den sie gefeiert werden – trotz Kölschem Feeling.
Aber das ist eben nur ein Aspekt. Die Band hat genug Specials am Start, um sich von dem Klischee freizuschwimmen, dass Karnevals-Musik lupenreiner Trash, nur besoffen zu ertragen oder für die Generation Ü50 gedacht sei. Erstes auffälliges Merkmal: Hinter Querbeat stecken 13 Leute. Wie oft sieht man Konzertshows mit so vielen Akteuer*innen auf der Bühne? Siehse. Merkmal 2: Statt in die Schlager- oder gar Volksmusik-Pfütze zu treten, nimmt Querbeat ordentlich Anlauf und macht es sich im Spagat zwischen Ska, Brasspop, Reggae, Pop, Rock und sogar leichtem Rap bequem. Also ganz viele Genres, die so zero auf regulären Ü50-Schwoffeten laufen. Und on top: Die Mitglieder sind höchstens Mitte 30 und zocken ihre Instrumente selbst. Cool? Cool.
In den 21 Jahren, die die ehemalige Schulband (!) aus Bonn bereits existieren, wurde eigentlich alles richtig gemacht. Unzählbare Gigs gespielt, damit der Bekanntheitsgrad steigt, sowie den Sound permanent ein bisschen verfeinert, um eigenständig zu sein, aber dennoch Chartpotenzial mitzubringen. Von den vier Alben schaffte eins bereits Gold, das aktuelle Album Radikal Positiv, das auch im Fokus der Tour 2022 steht – ja, auch die sollte eigentlich im letzten Jahr stattfinden, aber warum erwähnen wir das überhaupt noch… -, erreichte erstmalig Platz 2 der Charts. 2 ist fast 1. Hut ab. Da kann man den Radius von Köln bzw. Bonn aus ruhig etwas weiten. Die 25 Gigs finden schlossfolgernd in der ganzen Nation sowie in Österreich, der Schweiz und sogar in den Niederlanden statt. Zwar mussten drei Shows kurzfristig aufgrund des schleppenden Vorverkaufs gestrichen werden, dafür waren es ursprünglich aber auch nur 23. Ein winziger Verlust, wirklich nur ein kleiner.
Oberhausen ist Stopp 3. Am Donnerstag, dem 15.09., soll die Turbinenhalle mal hören, was für knallige Sounds in der Domstadt entstehen können. Die Halle, in der mal Strom und Druckluft erzeugt wurden, bietet eine Kapazität für 3000 Persönchen. Zwar haben nicht ganz 3000 People Tickets gekauft, aber genug, um die Halle so zu füllen, dass sie ausverkauft aussieht, man sich aber ein wenig Luft zum Dancen gönnen kann. Eine perfekte Ausgangslage für die Crowd.
Einen Support gibt es nicht – immerhin stehen hier gleich 13 Personen auf der Stage, um zu unterhalten. Das muss in der Quantität ja wohl genügen. Stattdessen lautet die Devise aber trotzdem “Warten”, und zwar fast eine halbe Stunde zu lang. Erst um 20:24 Uhr geht das Licht aus.
Dafür zieht die 13-köpfige Gruppe dann 110 Minuten durch. Frontmann Jojo übernimmt den Hauptgesang und zockt bei vielen Songs an der Gitarre, neun Buddies konzentrieren sich auf ihre Bläser, einer sitzt an den Drums, einer zupft den E-Bass, einer wechselt zwischen Keyboards und Bläser. Das klingt nicht nur beim Lesen nach ordentlich Dröhnung, das wummert auch durch die Boxen ziemlich dick. Zum Ende hin wird’s fast schon ein wenig zu laut. Dafür ist der Sound ab dem ersten Moment schön klar, sodass alle Instrumente hörbar werden, wenn sie sollen. Lediglich bei den zwei weiteren Mikros, die hier und da von anderen Mitgliedern für den Backgroundgesang genutzt werden, fehlt es oftmals an Lautstärke.
Querbeat setzen durchweg auf gute Laune. Eigentlich sind die knapp zwei Stunden eine einzige Tanz- und Hüpfparty. Das Hüpfen ist sogar wirklich nur ein Hüpfen, ein Moshpit entsteht nur in kleiner Form und für ein, zwei Songs. Ansonsten wollen die Leute die Hände in die Luft werfen, die Hüfte bewegen und mitsingen. Obwohl einige Titel auf Kölsch sind: Pott ist eben kosmopolitisch.
Auf der Setlist steht ein Mix aus vier Alben, acht der 18 Titel sind von der aktuellen LP Radikal Positiv. Von den Singles, die seit dem Debütalbum “Cuba Colonia” 2014 veröffentlicht wurden, wird kein Song ausgelassen. Da ist somit alles bei, was man als Fan der frühen oder auch späten Stunde hören mag.
13 Leute auf einer Bühne – das kann das Auge manchmal ganz schön überfordern. Das Schöne: Obwohl Jojo Berger eindeutig der Frontmann ist, wirkt er wie der am wenigsten im Vordergrund stehende Frontmann überhaupt. Viele andere Bandmember ziehen regelmäßig durch ihre dicken Soli die Aufmerksamkeit, sodass Jojo mal kurz unbeachtet bleibt. In der Bühnentechnik wird sich in erster Linie aufs Licht konzentriert, das aufwändig gestaltet ist. Eine Leinwand gibt es nicht, lediglich zwei Banner. Immer mal wieder formiert sich die Gruppe zu Bildern, macht einige synchrone Tanzmoves, hat aber insgesamt mehr freie, improvisierende Teile. Dass jede*r das anhat, worauf er an dem Tag eben Bock hat, ist einerseits pro Individualität, andererseits könnte man aber mit einheitlichen Outfits vielleicht noch mehr Gruppendynamik erzeugen – die ist aber vielleicht auch absichtlich überhaupt nicht erwünscht.
Sei es drum: Langweilig wird es nicht. Stattdessen gibt es mehrfach Publikumsinteraktion, die Jojo in “Levels” unterteilt. Man spielt sich quasi von der Aufwärmphase durch zur Eskalation. Mitklatschen ist ein Anfang. Dann hüpft man in der Crowd mal wild nach links, dann wieder nach rechts. Mehrfach wird sich hingesetzt und beim Beatdrop abgegangen. Einige Male schießen Konfettibomben. So weit, so gewöhnlich. Als Sahnehäubchen gibt es aber ein wirklich richtig gut gespieltes Kuhglockensolo von Drummer Christian, zwei brennende Fackeln zum Finale, die den Raum in tiefes Rot tauchen und – ein Wettrennen auf zwei Gummiflamingos. Dafür werden zwei partywütige Mädels aus dem Publikum ausgesucht – eine davon ist sogar “Bride to be” und darf ihren Junggesellinnenabschied auf dem Konzert feiern – und über die Hände bis nach hinten getragen werden und wieder zurück. Den Flamingo dürfen beide mit Autogrammen am Ende des Abends mit nach Hause nehmen. Sweet.
Ruhig wird es selten in der Turbinenhalle. Der Downer “Tanqueray” tut in der Mitte trotzdem gut, ebenso der mitten im Publikum stattfindende Akustikblock, zu dem einige der Band ihre Instrumente, andere nur ihre Mikros mitnehmen. “Bunte Pyramiden” macht kuschelige Atmosphäre und verleitet die Gruppe dazu, mehrmals sich sichtlich gerührt zu bedanken. Im anschließenden “Intoxicrazytekkno” wird stattdessen wieder voll aufgedreht: Ein paar berühmte Samples werden mit Brasseinsatz gewürzt und machen, wie soll es anders sein, ganz schön Stimmung. Die ist aber sowieso schon nach wenigen Minuten gut und steigert sich bis zum Finale konsequent. Starke Momente gibt es am Ende mit “Ja”, “Guten Morgen, Barbarossaplatz”, “Du und deine Disko (Renate)” und “Randale & Hurra”.
Jojo und der Rest wirken sympathisch sowie down to earth. Er betont, dass der Name Querbeat seit Corona gern mit Querdenker*innen in Verbindung gebracht wird, was dem 13-Kopf-Geflecht aber äußerst sauer aufstößt. Man sei für Toleranz, Gerechtigkeit und auch eindeutig gegen Queerfeindlichkeit. Das wird auch durch Regenbogenfahnen an den bereits erwähnten Gummiflamingos unterstrichen.
Am Ende kann man nicht groß meckern. Querbeat ist eine Spaßband, die einen Sound hat, der wohl eine Zeit lang im Mainstream nicht gut funktioniert hat, durch die gelungene Gesangsleistung von Jojo, den hookigen Melodien und dem Mitsingeffekt aber völlig logisch eine große Masse anzieht, die sich wohl überwiegend im ähnlichen Alter der Band bewegt. Das ist zwar nicht so wahnsinnig variabel und auch nicht so nachwirkend, aber Konzerte dürfen eben auch mal einfach nur im Moment gut entertainen.
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