Rainbow Kitten Surprise, Die Kantine Köln, 27.03.2023

Konzerte mit wenig bis keiner Publikumsinteraktion sind vor allem: schwierig. In der Regel wird entweder pseudo-virtuoses Mackertum auf die Bühne gebracht oder die Künstler*innen strahlen selbst so viel Unsicherheit aus, dass die gute Stimmung über die eigenen Schnürsenkel stolpert. Einer der vielen Gründe, warum Rainbow Kitten Surprise keine der „Tausend Mal gehört“-Bands sind, ist deswegen auch, dass selbst mit circa 10 Worten in 90 Minuten genug gesagt wurde, um aus der Kantine den euphorischsten Safe Space in NRW zu machen. Ein Abend mit der Band, die nach TikTok auch die Indie-Bühnen der Welt dominieren sollte.

Zum Punkt kommen

Weniger ist mehr, muss man sich aber auch erstmal erlauben können. Bei der heutigen Support-Band MOY ist der Status noch nicht erreicht, deswegen kommen hier maßlos überzeichnete Gesten aus dem „How to 00s Rockstar“-Handbuch auf die Bühne. Die Schere zwischen dem musikalisch vollkommen klar gehenden Indie-Rock der Marke Twin Atlantic, Plague Vendor und Bloc Party, und dem prolligen Auftreten ist dann doch etwas zu groß. Immerhin: Viele aus dem sehr jungen & queeren Publikum scheinen das anders zu sehen. Schön, dass beim Hauptact dann schnell alle dieselbe Sprache sprechen. Und die klettert bei manchen mehr, bei anderen weniger gekonnt durch die labyrinthartigen Wörter-Türme der Rainbow Kitten Surprise-Lyrics. Egal, wie gut das klappt – mit vollem Enthusiasmus ist die ganze Kantine dabei. Und vorne stehen auch fünf Musiker*innen, die wissen, wie man dieses oft verzwickte Musikalische gut verdaulich transportiert. Ab „Hide“, dem 2. Song ist der Zugang zur neuen Welt aufgerissen.

Kurz im Parallelqueerversum

Man KÖNNTE jetzt eine hanebüchene Herleitung aus dem Band-Namen nutzen, um die Musik und Wirkung von Rainbow Kitten Surprise zu beschreiben. Etwa, dass hier immer wieder queere Themen an die Oberfläche kriechen oder hinter jeder Ecke das nächste Songwriting-Ü-Ei geöffnet werden will. Das erspare ich euch an dieser Stelle natürlich, denn seit ein paar Wochen sollten die meisten immerhin einen der vielen Hits des Quintetts aus hochkantigen Kurzvideos kennen. „It’s Called: Freefall“ hat den TikTok-Hype geschafft – zumindest als Sped Up-Version. Und wer dieses Lied schon einmal in voller Länge gehört hat, kann sich grob ausmalen, was heute auf dem Programm steht: Quirliger Indie, der den Graben zwischen kompletter Verzweiflung und bittersüßen Hochs pro Song knapp 30 Mal überspringt. Das ist faszinierenderweise gleichzeitig  100 und 0% Zeitgeist: Die Songs lassen sich mit Genre-, Rhythmus- und Melodie-Overloads nicht lumpen, sind aber andererseits auch mal handzahm und voller Leerstellen.

Live funktioniert das nun schlicht großartig, wie auch das eben erwähnte „It’s Called: Freefall“ – natürlich im Zugabe-Slot platziert – vortanzt. Die Masse schreit der Band jedes Wort entgegen, die performt den Song musikalisch beängstigend einwandfrei und begleitet von absurd-sympathischer Gestikulation. Lieben wirklich alle Menschen im Saal. Besonders hervorheben muss man hier vor allem Sängerin Ela Melo, die gesanglich und von der emotionalen Strahlkraft locker mit den Besten der Indie-Welt mithalten kann. Aber Rainbow Kitten Surprise sind mehr als eine Schlacht der Superlative – sie sind bei all dem durchweg nahbar und charmant. Und das wie gesagt ganz ohne Ansagen. Muss man einfach gesehen haben. Und musikalisch?

Der Blick auf die Setlist zeigt die ganze Bandbreite dieser Songwriting-Asse: „When It Lands“ spielt als wär’s ein leichtes mit schnellem Spoken Word, „That’s My Shit“ bringt die Party-Ekstase, beim emotionalen Mental Health-Track „Painkillers“ fließen die Tränen, „First Class“ ist das Heartbreack-Gänsehaut-Singalong des Abends & „Cocaine Jesus“ karrt noch eben Acapella-Charme in die Domstadt. Alswäre das alles nicht schon meisterlich genug, gibt’s dann auch noch das schönste Geschenk für die vielen Fans: Zwei komplett neue, unveröffentlichte Tracks – natürlich beide gespickt mit spannenden Ideen und Melodien. Das Gedanken-Karussell von neuem Album, neuer Tour, neuen Bühnen darf gerne spinnen. Nach diesem Konzert wird sowieso niemand genug haben.

Und so hört sich das an:

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Beitragsbild von Julia.

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