Die coolste – und traurigste – Supergroup der westlichen Hemisphäre, Boygenius, veröffentlicht ihr erstes Album. Wie zu erwarten, ist das ein absolutes Spektakel.
“The Record” betiteln Julien Baker, Phoebe Bridgers und Lucy Dacus (sortiert nach Nachnamen, nicht nach Coolness) ihren ersten gemeinsamen Langspieler. Dass der überhaupt entstand, ist schon ein Wunder. Eigentlich nämlich wollten Baker, Bridgers und Dacus im Jahr 2018 – lange vor Bridgers Hype und Trubel – lediglich gemeinsam auf Tour gehen. Einen Monat lang, Abend für Abend gemeinschaftlich auf der Bühne, mehr nicht. In den Vorbereitungen für die Konzerte jedoch entstanden sechs gemeinsame Songs, gebündelt schlussendlich zu einer EP, die dann wiederum unter dem sarkastischen Namen Boygenius erschien. Dass Projekt Boygenius also entspricht quasi einem künstlerischen Unfall ohne Verletzte, ungeplant und doch mit massiver Schlagkraft. “The Record” nun ist gewissermaßen die Physiotherapie nach diesem Aufprall kongenialer Egos, eine Aufarbeitung der eigenen Freundschaft und Abhandlung mit zurückliegenden Fehlern und Beziehungen.
Es gibt da etwa einen Song, gesungen und geschrieben von Bridgers, veröffentlicht mitsamt zweier weiterer Stücke zur Ankündigung des Projektes. “Emily, I’m Sorry” heißt er, mutmaßlich die verflossene Liebe zu der Synchronsprecherin Emily Bannon behandelnd und nach Erscheinen viel in den sozialen Medien besprochen. Auch an anderer Stelle, da lässt Bridgers tief blicken und bietet Raum für Projektion. “Revolution 0” nämlich hieß laut einem Whiteboard im Aufnahmestudio ursprünglich “Paul Is Dead”. “If it isn’t love, then what the fuck is it?”, adressiert Bridgers dort einen “imaginären Freund”. Der – Achtung: Spekulation – repräsentiert symbolisch womöglich ihren Ex-Verlobten Paul Mescal. Im zweiten Chorus wiederum heißt es “If you’re not enough, then I give up”. Dann übernimmt ein ewiger Choral, gesungen in Alternation, Streicher. Ein großer Moment.
Bridgers mag zwar mehr in der Öffentlichkeit stehen und direkte Bezüge deshalb leichter aufkeimen lassen, Baker und Dacus aber texten ähnlich nah am Leben. In “Cool About It” besingt Baker die hibbelige Nervosität, die vielerlei Kennenlerninteraktion begleitet. Dort heißt es: “I met you at the dive bar to go shoot some pool; (…) Ask you easy questions about work and school; I’m trying to be cool about it, feeling like an absolute fool about it.”
“The Record” ist ein nachhallendes Album. Daran trägt neben den vielen kleinen alltäglichen Beschreibungen auch bei, dass es wahre Hymnen im Mini-Format parat hält. “Not Strong Enough” – eine Gemeinschaftsproduktion der Drei – zum Beispiel stolpert zunächst in die Gehörgänge, dann in die eigene Gedankenwelt und möchte letztere dann auch gar nicht mehr verlassen. Große Momente gibt es ansonsten vor allem im Kleinen. Etwa im an Bakers jüngste Rock-Ausdünste erinnernden “Satanist”. “Will you be an anarchist with me?”, fragt Bridgers dort während sich angezerrte Gitarren scharf ihren Weg vom Hinter- in den Vordergrund bahnen. Niedlicher ist da “Leonard Cohen”, ein roh-gehaltener Zweiminüter, nur Akustikgitarre, ein bisschen Grundrauschen und Dacus volle Stimme.
Generell, (selbstverständlich nicht erst neuerdings) herausragend sind die stimmlichen Harmonien der Drei. Baker erhaben-vernuschelt über allem, Bridgers – stimmlich die Gewöhnlichste im Dreierbunde – zerbrechlich und sanft sowie Dacus voller Tiefe und Wärme. In Summe (Baker + Bridgers + Dacus) ergibt das dann (=) Boygenius. Die Musikwelt kann wahrlich froh sein, dass dem so ist: Eine Bereicherung.
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Boygenius live 2023:
15.08. – Berlin, Verti Music Hall
16.08. – Köln, Palladium
Die Rechte für das Cover liegen bei Interscope.
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