The National, Ruhrcongress Bochum, 01.12.2019

the National

Zum Jahresende gibt es nicht nur zahlreiche Jahresrückblicke, sondern auch den Blick nach vorne in Form von den ersten Festival-Bestätigungen für 2020. Was schon seit Jahren auffällt, wird auch hier zum Problem: Gerade der Rock-Szene mangelt es an innovativen neueren Headlinern, abgesehen von den großen Bands der 90er oder mittlerweile häufig belächelten Acts wie Volbeat oder Thirty Seconds To Mars mögen sich nur wenige Bands so wirklich für die ganz großen Bühnen qualifizeren. Nicht nur beim letztjährigen Sziget durften hier The National um die beiden Geschwisterpaare Dessner und Devendorf und den Frontmann Matt Berninger einspringen. Vielerorts mauserten sich die US-Amerikaner Album für Album zu einem der größten Namen der Szene, aber ob sie dieser Rolle auch live gewachsen sind? Die Tour zum großen Erfolgsalbum „I Am Easy To Find“ könnte das ein für allemal bestätigen.

The National

„The System Only Dreams In Total Darkness“

Nicht nur in einem der erfolgreichsten Songs der Band steht die Dunkelheit im Vordergrund, quasi das gesamte Schaffen des Quintetts widmet sich den Schattenseiten des Lebens, vorgetragen von Berningers unverkennbar tiefen Stimme. Musikalisch also nicht unbedingt vereinbar mit den lebensbejahenden oder zumindest aggressiven Sounds der großen Festivalbands. Dennoch laufen The National live nicht in die Falle der drögen Befindlichkeitspoetik, bei der man schon nach einer Stunde jedes weiteren Moll-Akkords überdrüssig ist – und das könnte bei 24 Liedern ja durchaus katastrophal enden. Stattdessen wird jede noch so kleine Facette der elegischen Arrangements intensiv in Szene gesetzt. Neben der musikalischen Meisterleistung in Sachen Atmosphäre sorgt auch Frontmann Berninger für ordentlich Unterhaltung; auch wenn genau das auch Fluch und Segen ist. Neben der regen Aktivität auf der Bühne, einigen Ausflügen in den Publikumsraum, Autogrammen nach der Show, unterhaltsamen Zwischenreden, einer Runde Bier für die ersten Reihen und der Interaktion mit den Fans und ihren Merchandise-Produkten, zerkaut der Sänger dann plötzlich eine Setlist und spuckt sie ins Publikum, wirft volle Becher oder die Becken des Schlagzeugers durch die Gegend. So viel Exzentrik ist sicherlich nicht für alle etwas, doch die ersten Reihen der Hardcore-Fans feiern den Sänger mit ganzem Herzen. Ganz ohne Zweifel ist die Bühnenshow hingegen gelungen: Drei riesige BIldschirme mit Video-Installationen des Auftritt und aus Musikvideos flankieren die Musiker*innen, ein leuchtendes Viereck über der Band und auch die grandios eingesetzten Lichter perfektionieren das optische Erlebnis.

„I Am Easy To Find“

Auf musikalischer Ebene zeigen schon die größten Hits der Band die klangliche Bandbreite auf: „I Need My Girl“ als intime Akustik-Gänsehaut-Elegie, „The System Only Dreams In Total Darkness“ mit wuchtigen Riffs und einem ungewohnt ausbrechenden Berninger und das folkige „Bloodbuzz Ohio“ sind auch live nur einige der unzähligen Höhepunkte des Abends. Zentral stehen heute aber vor allem die Songs des aktuellen Albums „I Am Easy To Find“, bei dem sich das Quintett erstmalig auf die Unterstützung von weiblichen Sängerinnen berufen hatte – um die Perspektiven zu erweitern. Passend also, dass Hannah Georgas mit ihrem sanften Shoegaze (für Fans von Julien Baker nicht uninteressant!) nicht nur den Abend eröffnen durfte, sondern auch bei der Hauptband gesanglich unterstützt. Auch mit dabei: Kate Stables von der Band This Is The Kit, die auch auf der Albumversion einiger Songs vertreten war. Mit dieser kongenialen Gesangsdarbietung erweitern die US-Amerikaner ihren Soundkatalog nun um sich überlappende Melodien („Where Is Her Head“), dem dank der kontrastreichen Stimmfarben noch bewegenderen Titeltrack oder dem zackigen „Rylan“. Sie alle profitieren ungemein von der Unterstützung der beiden Sängerinnen und so gebührt auch ihnen ein beträchtlicher Anteil an dem Prädikat „Konzert des Jahres“, das sich The National wohl in einigen Listen sichern sollten.

Den krönenden Abschluss überlassen The National dann dem Kollektiv: Berninger wendet sein Mikrofon dem Publikum zu, lediglich mit Trompeten und Akustik-Gitarren leiten die Musiker dann in den Closer „Vanderlyle Crybaby Geeks“ ein, den die ohnehin sehr singstarken Fans gemeinsam singen. Auch den Frontmann hält es nicht lange auf der Bühne, lieber singt er den Song mit seinen Freund*innen aus dem Publikumsgraben zusammen. Von Arroganz oder stumpfer Abgeklärtheit also keine Spur – und all den finsteren Dämonen, die den elegischen Arrangements innewohnen, stellt man sich eben am besten gemeinsam. Wenn The National also demnächst auch hierzulande zu den wenigen neueren Headlinern gehören, können sich die Festivalmassen auf unvergessliche Momente einstellen – und hoffentlich auch auf die Unterstützung von tollen weiblichen Gästen!

Tickets für die „I Am Easy To Find“-Tour gibt es hier.*

Und so hört sich das an:

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The National live 2019:

  • 02.12. Palladium, Köln (ausverkauft)
  • 03.12. Samsung Hall, Zürich (CH)
  • 04.12. Zenith, München
  • 05.12. Porsche-Arena, Stuttgart

Beitragsbild von Julia.

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