Within Temptation & Evanescence, Mitsubishi Electric Halle Düsseldorf, 25.11.2022

Welches Konzert, für das ihr Tickets hattet, wurde aufgrund von Corona am häufigsten verschoben? Die gemeinsame Tour von Within Temptation & Evanescence liegt mit vier Verschiebungen, also insgesamt fünf Terminen pro Gig, wahrscheinlich ziemlich weit vorne. Mehr werden’s nun aber auch nicht mehr.

Worlds Collide lautet das gemeinsame Programm, das ursprünglich bereits im April 2020 starten sollte. Dann war es der September 2020, dann der September 2021, dann der März 2022. Zwar konnten sowohl im Sommer 20 und 21 einige Shows gespielt werden, nur organisatorisch hat das Team hinter Within Temptation & Evanescence eben nicht für Sommer geplant, weswegen diverse Ehrenrunden gedreht werden mussten. Doch was lange währt und so… Zusätzlich: Ein Lob, dass überhaupt so oft umorganisiert und nicht einfach das gesamte Ding abgesagt wurde. Ist ja bekannterweise alles andere als selbstverständlich.

Gleichzeitig haben die Verlegungen einen positiven Aspekt: Zwölf geplante Gigs sind nun wegen hoher Nachfrage final auf 19 gewachsen. Betrifft zwar nicht die deutschen und schweizerischen Fans – hier bleibt es bei sechs plus eins – dafür aber viele andere. Good for you. Düsseldorf ist Stopp Nr. 11.

Within Temptation & Evanescence auf einer Bühne. Zwar nicht gleichzeitig – zumindest nicht hauptsächlich – aber dennoch ist das schon ein ziemliches Brett. Beide sind seit ihrer Gründung Mitte der 90er in ihren Richtungen, die einige Parallelen, trotzdem aber auch Unterschiede aufweisen, zu Pionier*innen geworden. Ging es für Within Temptation in ihrem Heimatland, den Niederlanden, bereits 1997 und somit nur ein Jahr nach der Gründung solide mit dem Debütalbum los, brodelten Evanescence fast acht Jahre in ihrem Kämmerlein an ihrem Durchbruch auf einem Majorlabel. Genau das wurde dann jedoch 2003 zu einem Welterfolg. Unglaubliche 17 Millionen Mal verkaufte sich „Fallen“ dank seiner Überhits „Bring Me To Life“ und „My Immortal“ und machte die Band rund um Amy Lee zu Megastars der Millennials.

Von solchen Zahlen können Within Temptation nur träumen. Aber der Trend, den Evanescence auslöste, brachte auch ihnen einen internationalen Push, sodass deren zweites Album „Mother Earth“ gleichzeitig mit „Fallen“ auch in anderen Ländern zum Kauf angeboten wurde, obwohl es bereits drei Jahre auf dem Buckel trug. Der Plan ging auf: Gold in Deutschland, auch noch für spätere Werke, und Chartentrys in ganz Europa, sogar kurzzeitig in den USA.

Man merkt, die zwei Female-Fronted-Bands sind geschichtlich eng miteinander verzahnt und prägten ohne Diskussion den Rocksound der ersten 2000er-Hälfte. Auch wenn Metal mit Sopranstimme besonders in Finnland durch Nightwish schon richtig gut ging, klang das für viele Nationen unglaublich neuartig. Fettes Orchester trifft auf knallenden, harten Bombastsound und ziemlich gute Gesangsdarbietung. Zwar hielten sich Within Temptation immer etwas näher im Gothic und Evanescence eher im Hardrock und Nu Metal auf, aber man schwamm quasi im selben Teich und – noch viel wichtiger – erreichte ein ähnliches Publikum.

Und das steht solidarisch an der Seite. Gewiss hat man die mainstreamigen Hörer*innen in den fast zwei Dekaden auf der Strecke gelassen, aber ein bisschen Schwund ist immer. Trotzdem reicht es, um fast 7500 Interessierte am 25.11., einem Freitag, in die Mitsubishi Electric Halle zu locken. Die lässt grundsätzlich bei der Parkplatzorga wieder einige Wünsche offen, sodass unzählige Fans im knapp 1,2 Kilometer entfernten Parkhaus ihr Fahrgeschäft abstellen müssen, aber das ist auch das Einzige, was seitens der Halle echt mal überdacht werden sollte.

Alles andere klappt nämlich pünktlich und im Sound stets hervorragend. Um 19 Uhr startet der Support. Ja, zwei Bands allein reichen noch nicht, man braucht noch eine dritte. Fast schon Festivalfeeling in Düsseldorf. Als erstes dürfen Smash Into Pieces aus Schweden ran, die übrigens auch schon seit Ende der 2000er zocken. Das rein männliche Quintett klingt wie Linkin Park zu Anfangszeiten – und Hand aufs Herz, nur so darf Linkin Park klingen. Die halbe Stunde wird gut genutzt, um die Ohren an den doch ganz schön lauten Klang zu gewöhnen. Sechs Alben haben die Jungs bereits draußen, von unterschiedlichen werden insgesamt sieben Songs gespielt, die auf die Band ordentlich Appetit machen. Zwar ist durch die vielen elektrischen Einschübe einiges auch nicht komplett live, aber klingt dennoch immer gut und macht durch hookige Refrains einfach Spaß.

Hier hat heut das gesamte Team inklusive der Bands anscheinend einiges vor. Innerhalb von 25 Minuten wird das erste Mal umgebaut, beim zweiten Mal dauert es 30, dafür ist der Aufwand auch größer. Mit Spielzeiten von zweimal fast genau 80 Minuten plus einer halben Stunde Vorband bekommen Ticketinhaber*innen an diesem Abend also gigantische 190 Minuten Musik auf die Ohren. Das ist für einen Erwerb von knapp 70 Euro – das war mal ein Preis, den man 2019 eben noch so bezahlt hat – wirklich ein gigantisches Programm und verdient allein schon auf der Quantitätsseite Pommesgabeln an beiden nach oben gestreckten Händen. Auf 80 Minuten kommen manche Bands nicht mal, wenn sie allein eine Show spielen.

Evanescence starten als erster Hauptact. Gut so, denn so nimmt die Qualität im Laufe der Show nämlich zu statt ab. Dabei haben Amy Lee und ihre vier Musiker*innen einen ganz entscheidenden Vorteil: Sie haben die größeren Hits. Songs, die einfach jede*r kennt, ob in der Szene unterwegs oder auch nicht. 18 Titel inklusive einem Drei-Tracks-Medley stehen auf der Setlist, darunter acht von dem ziemlich misslungenen „The Bitter Truth“ , was im letzten Jahr erschien. Drei weitere gehören zum Self-Titled-Album aus 2011. Macht somit lediglich sieben Songs aus den zwei äußerst erfolgreichen ersten LPs, die im Vergleich zu allen Nachkömmlingen viel, viel, viel, viel mehr Leute im Schrank haben. Aber ok, man möchte offensichtlich keinen reinen 2000er-Nostalgie-Ritt, sondern viel Neues vorstellen. Wenn’s sein muss. Eine genau entgegengesetzte Verteilung auf die vier Studioalben wäre wahrscheinlich besser angekommen.

Denn wie so oft, ist der Großteil im Publikum in erster Linie für die Classics am Start. Woran man das erkennt? An den Handys, die immer dann hochgehen, wenn einer der Hits durch die Boxen schallt. Das passiert genau viermal. Erstmalig bei „Going Under“, später erneut bei „Call Me When You’re Sober“ und dann zum Finale bei „My Immortal“ und „Bring Me To Life“. Somit kein „Everybody’s Fool“ oder „Lithium“- das schmerzt. Dass viele sich an Jugendzeiten zurückerinnert fühlen und ihren Flashback-Moment nun mithalten möchten, ist für eine Person ein ziemlicher Nachteil, nämlich für die Sängerin.

Zweifellos gehört die Stimme von Amy Lee zu den unverkennbarsten im Rockbiz. Sind Frauen eh im Game unterbesetzt – oh surprise – gehört ihre mit absoluter Sicherheit zu den Best of the Best. Dass man sie innerhalb weniger Sekunden erkennt, ist ihr Segen und ihr Fluch, denn hohes Anhimmeln ergibt automatisch hohe Erwartungen. Diese werden an jenem Abend in Düsseldorf nur wenig erfüllt. Zwar singt die noch 40-jährige zu 60 Prozent treffsicher und sorgt damit für intensive Schauer, aber 60 Prozent ist eben nicht 100. Hat man auf der einen Seite den Eindruck, man höre eine Studioaufnahme, weil es so extrem gut und ähnlich klingt, häufen sich im Laufe der 80 Minuten immer mehr Gänsehautmomente – allerdings Gruselgänsehautmomente. Wow, das ist echt schwer auszuhalten. Ständig überschlägt die Stimme, wird unzählige Augenblicke hörbar ungesund nach oben gepresst, bricht weg und trifft auch manche Male dermaßen daneben, dass selbst Nicht-Musiker*innen das hören müssen. Das ist verdammt unangenehm.

Und leider steht und fällt Evanescence mit der Stimme und den wirklich gut komponierten Songs. Bei der Worlds Collide-Tour schleppt man sich über weite Strecken durch unterdurchschnittliche Titel, die bald eh niemand mehr kennt, auf der nächsten Tour womöglich gar nicht gespielt werden und alle so irre hoch gesetzt sind, dass die Frontfrau sich mehrfach durchschreit. Man wünscht sich schon fast, dass einiges tiefer transponiert wird, passiert aber nicht. Zusätzlich wählt Amy Lee auch aus ihrem Klamottenschrank eher merkwürdige Dinge und kombiniert Sneakers mit Jeans, einem langen roten Kleid und Ledergürtel. Mehrere Male gibt es ihrerseits Headbanging statt richtigen Tunes. Ein Unterschied ist dann bemerkbar, wenn sie am Klavier sitzt und ihr Staging außenvorlässt. Vielleicht fürs nächste Mal merken? Denn gerade mit dem fast komplett zersungenen „Better Without You“ gelingt ihr eine der Horrorperformances im Konzertjahr 2022. Da können das sensationelle, wahnsinnig gut getimete Licht – was es später auch noch bei Within Temptation geben wird – und ein Blitzlichtmeer bei „My Immortal“ auch nicht mehr viel retten.

Tortur statt Gehörgangmassage. Glücklicherweise ist all das, was bei Evanescence ziemlich versemmelt wird, bei Within Temptation richtig gut. Das Sextett hat einen etwas aufwändigeren Aufbau, der auch ein wenig Science-Fiction-artig anmutet. Zwar können bei 15 Songs nicht alle Singles mitgenommen werden, dafür probiert man aber alle Epochen ungefähr gleichmäßig zu beachten. Wenn man was vermissen mag, dann wenn überhaupt „Memories“ oder das „Running Up That Hill“-Cover.

Zwei Aspekte machen Sharon den Adel und ihre Jungs besonders gut: Da wäre einerseits der Gesang, der besonders im direkten Vergleich zur Vorsängerin stark auffällt. Sharon singt eher zwei Prozent der Töne nicht ganz mittig, aber dann immer noch so ok, dass es nicht unangenehm wird. Mit schönen Halleffekten klingt ihr glasklarer klassischer Sopran ein wenig engelsgleich und kontrahiert besonders spielend mit den derben Riffs der Gitarren. Genauso gut ist aber ihre Publikumsinteraktion. Schon beim Opening „Our Solemn Hour“ holt sie die Crowd ab, die mitklatscht und es fortan immer mal wieder tut.

Sharon, mittlerweile schon 48, hält mehrere Ansprachen, darunter auch eine aus Solidarität für die Ukraine. Sie schwingt sogar eine passende Flagge beim Track „Raise Your Banner“. Amy Lee hat es zwar auch mit ein paar Worten versucht, die aber viel gestellter wirken und auch obendrauf etwas cringe kommen. Bei Within Temptation werden die Zuschauer*innen nicht zur Nebensache, sondern eher zum Teil des Gigs. Halt so, dass man auch zufriedengestimmt nach Hause fährt und nicht nur passiv unterhalten wurde.

Zu „All I Need“ gibt es gar ein Showelement, nämlich eine Schaukel, auf der Sharon einige Meter weit über der Bühne mehrere Minuten thront. „Ice Queen“ klingt auch nach 22 Jahren – es wurde 2000 aufgenommen – live noch so wie damals, was zeigt, dass diese Frontfrau stimmschonend performt. Anders kann man den Job bei solchen anspruchsvollen Titeln auch nicht so lang durchziehen. Düsseldorf kommt schließlich noch in den Genuss einer ganz besonderen Premiere: Amy Lee kommt für „The Reckoning“, das mit Papa Roach-Sänger Jacoby Shaddix eingesungen wurde, erstmalig auf der Tour als Duettpartnerin zurück auf die Bühne. Das bringt die Fans natürlich zu riesigen Jubelstürmen, klingt aber am Ende dann doch wieder unangenehmer, als wenn sie nicht da wäre. Ihre zweite Stimme ist oft schlichtweg falsch. Ohren zu und besser aufs Fotografieren des besonderen Moments konzentrieren.

Nach einer soliden Eröffnung durch eine coole Vorband, retten Within Temptation am Ende den Abend und gewinnen das Duell haushoch. Kann man nicht anders sagen. Die niederländische Gruppe bringt in den 80 Minuten ausnahmslos richtig guten Symphonic Metal auf die Stage und lässt nicht einen Hauch von Alterserscheinung durchblitzen. Evanescence hingegen haben ihren Zenit bereits mehrfach überschritten, offensichtlich auch als Liveband. Welten kollidierten tatsächlich. Für die eine war der Zusammenstoß schmerzhafter.

Und so hört sich das an:

Within Temptation: Website / Facebook / Instagram / Twitter
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Foto von Christopher.

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