War’s das schon mit dem Ausritt in deutschsprachige Gefilde? Sarah Connor hat mit ihrer Entscheidung, auf Deutsch zu singen, nicht nur den aktuellen Nerv der Zeit getroffen, sondern ihre gesamte Karriere gerettet. War das nur ein Versuch, der viel besser einschlug als erwartet? Ein Kompromiss, weil 2015 schon ersichtlich war, wie gut deutsche Musik laufen würde? Mit Not So Silent Night steht jedenfalls die erste englische Sarah Connor-Veröffentlichung seit 2010 im Regal und auf den Streamingportalen bereit.
Dabei ist besonders im Stil zwischen ihren englischen und deutschen Werken eine klare Zäsur erkennbar. Mit 21 Jahren erschien das Debütalbum “Green Eyed Soul” (2001), das noch viel teeniehaften Pop-R’n’B bereithielt. Als klar war, dass Sarah Connor besonders mit ihrer Stimme begeistern würde, probierte man aus ihr eine deutsche Mariah Carey zu machen, die nur eben auf Englisch singt. Das ging einige Jahre gut, wurde irgendwann – ebenso wie bei Mariah Carey – nur super peinlich und trashy. Mit dem Verlassen der Sackgasse, die Ende der 00er-Jahre eindeutig erreicht war, und dem Betreten neuer Pfade auf “Muttersprache” (2015) konnte die in Delmenhorst geborene Künstlerin nicht nur eine komplett neue Zielgruppe aufbauen, was äußerst selten gelingt. Gleichzeitig ließen sich auch alte Fans reanimieren, die nicht nur aus Nostalgiegründen wieder an Bord sind, sondern weil sie sich eben von den neuen erwachsenen Themen abgeholt fühlen. Das klappte auch auf der Fortsetzung “Herz Kraft Werke” (2019), dem damit einhergehenden Livealbum (2019) und der noch in diesem Jahr fortgesetzten Tour ganz vorzüglich.
Also eigentlich ganz viele Aspekte, die nicht dafür sprechen, das Konzept erneut verändern zu müssen. Umso überraschender, dass eben Not So Silent Night sogar ausnahmslos englische Lyrics präsentiert. Bedeutet das somit auch, dass alles wieder klingt wie in den 2000ern? Jein. Nicht alles, aber doch so einiges. Dabei überrascht das neue Album schon von seiner Idee, ist es nämlich eine 13 Tracks umfassende Sammlung an neu komponierten Weihnachtssongs inklusive einem Cover. Als Komponist*innen sind mit Nico Santos, Joe Walter (Jennifer Rostock) und Ali Zuckowski (Sohn von Rolf Zuckowski, komponierte bereits “Rise Like A Phoenix” für Conchita Wurst) einige namhafte Personen am Werk, Sarah selbst wird auch bei jedem Titel aufgeführt. Sie wird jedoch stets als letztes erwähnt. Böse Zungen würden nun behaupten, dass sie also einfach stets beim Songwriting mit dabei war.
Der erste Ausritt ins Wonderland-Wonderland-Shining-Stars-Jingle-Bells-Weihnachtsland ist es für Connor nicht. Bereits 2005, also kurz nach der Ausstrahlung der kontroversen “Sarah & Marc In Love”-Doku – ja, man verdrängt es oft gekonnt – erschien mit “Christmas In My Heart” die erste Weihnachts-LP, die mit dem gleichnamigen Titelsong auch einen Top-5-Song bereithielt. “The Best Side Of Life” hat es zwölf Kalenderseiten später noch einmal getoppt. Zwar nicht in der Chartplatzierung, dafür aber ordentlich in den Verkaufszahlen. Jede Saison läuft der Ohrwurm im Formatradio und war sogar zweimal in Folge in der Coca-Cola-Werbung zu hören. So wurde dank der Neuauflage und dem genannten Bonustrack “Christmas In My Heart” mit Platin veredelt. Ob das 17 Jahre später erneut gelingt? Immerhin läuft’s doch gerade nach Verkäufen um Längen nochmal besser als damals.
Wie die Rechnung aufgeht, zeigt sich in den nächsten Wochen. Auf der Faktenseite ist Not So Silent Night zwar mit 13 Songs, 41 Minuten Spielzeit und einer guten Gang an Leuten mit Check erstmal ein lecker appetitlicher Vorweihnachtsschmaus – um aber an Heilig Abend auch als Soundtrack herzuhalten, reicht es dann doch nicht.
Dabei geht’s mit einem romantisch-winterlichen Swing-Jazz namens “Jolly Time Of Year” richtig gut los. Big-Band-Flair a la Michael Bublé, eben das, was man zur Weihnachtszeit hören mag. Die Leadsingle “Ring Out The Bells” macht das nochmal einen ordentlichen Schritt besser und trifft das perfekte Konglomerat aus starker Hook, authentischem Weihnachtssound, super Vocals, Chören und beschwingtem Gute-Laune-Beat. Das wird in den nächsten Wochen noch heißlaufen.
Bis Track 5 bleibt genau dieses Niveau. Das Stärkste: Abwechslung! Selten klang ein aus Deutschland stammender Weihnachtslongplayer so unterschiedlich in den Stimmungen und so wenig langweilig. Nach den zwei vorgestellten kommt mit dem Titelsong eine kleine, freche Rocknummer über Peinlichkeiten und Fauxpas, die am 24. passieren können. Knallt, geht nach vorn, macht Freude. “Blame It On The Mistletoe” als lasziver Slowswing, “24th” gar als stilvoller Slowfox mit nicht sofort vorhersehbarer Melodieführung funken auf selbem Level.
Und dann scheinen Sarah Connor und ihr Team alle Ideen verbraucht zu haben, sodass über weite Strecken sich alles wiederholt und sehr, sehr, sehr schläfrig, langatmig und inspiriert wird. Nach einem eher peinlichen “Ich bin wieder die, die sexy R’n’B singen will” namens “(1, 2, 3, 4) Shots of Patron” folgen fünf Balladen, die in ihren Strukturen nahezu kaum Variation bieten. Da mag ein “Christmas 2066”, in dem sich die Protagonistin vorstellt, mit ihren Enkelkindern zu feiern, zwar textlich ganz niedlich sein, genauso ein “Santa, If You’re There”, das die verstorbenen Lieben zurückwünscht, bestimmt auch ein wenig berühren – aber Not So Silent Night ist plötzlich super silent. Das gleiche Prinzip geht dann eben einige Liedchen noch genau so weiter.
Mit dem wahnsinnig altbacken klingenden Pop-R’n’B in “Don’t You Know That It’s Christmas” wird probiert nochmal mit Glocken alle wach zu läuten. Klappt aber aufgrund unterdurchschnittlichem Songwriting nicht mehr. Als Rauswurf dient die 784.723ste Coverversion von Nat King Coles einmaligem “The Christmas Song”, die dem Original exakt nichts Neues beisteuert und einfach unglaublich austauschbar ist. Hat Sarah Connor bereits fürs 2005-X-Mas-Ding aufgenommen, wurde nun nochmal etwas jazzy refreshed. Ok, next.
Ernsthaft: Mit “Ring Out The Bells” und einigen anderen Songs der ersten Hälfte hat Sarah Connor ein paar neue, unausgelutschte und überraschende Weihnachts-Pop-Hits am Start, die angemessen unterhalten. Wäre es eine EP und dann Schluss, wäre das sogar ziemlich gut. Aber dann hätte man nicht genug Material für die bereits für nächsten Winter angekündigte Weihnachtstour, für die es natürlich auch schon Tickets gibt. Völlig unerklärlich gibt es keinen einzigen Versuch, auf Deutsch eine gehaltvolle Weihnachtsgeschichte zu erzählen. Gerade das hätte mit dem passenden Niveau und einem derartigen Gesangstalent, was Sarah zweifelsohne hat, richtig richtig gut werden können. Gibt’s so ja auch noch nicht. Stattdessen ist’s dann aber eben nur ok. Also doch sicherheitshalber wieder die Bublé-CD bereitlegen.
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