Awolnation – Angel Miners & The Lightning Riders

Awolnation

Mediale Aufmerksamkeit funktioniert in der Postmoderne nach dem Monopol-Prinzip. Denn in einer immer schneller werdenden Gesellschaft lässt uns der moralische Aufschrei von gestern im heute nur noch müde mit der Achsel zucken, die Empörung ist gerade schließlich auf etwas anderes gerichtet. Am 19. Februar, also vor gerade einmal zwei Monaten, hat ein Mensch einen rassistischen Anschlag verübt und dabei neun Menschen mit Migrationshintergrund in den Tod gerissen. Fridays For Future bestimmten das vergangene Jahr wie lange keine Bewegung zuvor, der Klimawandel wurde endlich in größeren Kreisen diskutiert, viele Bevölkerungsschichten tun sich zusammen. Doch dann kam Corona, vergessen der gefährliche Populismus, vergessen die unzähligen Menschen, die auch ganz ohne Pandemie ein Leben der Angst führen müssen, vergessen auch der Klimawandel, der am Ende mehr Menschenleben und Existenzen zerstören könnte als viele Pandemien zusammen. Dass sich Awolnation auf ihrem vierten Album nun eigentlich auf die Waldbrände, die im November 2018 in Kalifornien wüteten, beziehen, fängt aber auch zwei Jahre später die Emotionen der Gesellschaft überraschend treffend ein.

Bedrohung vs Hoffnung

An die beängstigende Situation, wenn das eigene Heim von gigantischen Feuerwänden bedroht wird, einnern auf „Angel Miners & The Lightning Riders“ zwei Songs ganz explizit: das großflächige „Slam (Angel Miners)“, das den tief melancholischen Strophen einen sarkastischen Party-Beat an die Seite stellt, und „California Halo Blue“, dass sich verzweifelt einen Schutzschirm für den Bundesstaat erträumt. Betrachtet man aber die Aufnahmesituation des vierten Werks der Band um Mastermind Aaron Bruno, werden die Ausmaße der Waldbrände erst richtig deutlich: Da das gesamte Studio, in dem Bruno die drei bisherigen Alben aufgenommen hatte, den Flammen zum Opfer gefallen war, entstanden die neuen Songs größtenteils im Schlafzimmer des US-Amerikaners. Entgegen der Erwartungshaltung, dass sich diese begrenzten Möglichkeiten auf einen reduzierteren Klang auswirken würden, zeigt sich „Angel Miners & The Lightning Riders“ um einiges reiberischer und auch elektronischer als der analogere Vorgänger „Here Come The Runts“. Wo wir gerade bei reiberischer sind: Der exzentrische Albumtitel bezieht sich übrigens auf Awolnations Fans. Frontmann Bruno stellte sich bei Konzerten häufig vor, wie Wesen über die Taschenlampen des Publikums rauschen würden. In Zusammenhang mit deren Konterpart der Angel Miners stehen diese Figuren symbolisch für den Kampf zwischen Licht und Schatten, besonders beeindruckend verbildlicht in den cineastischen Musikvideos. Bruno hatte sich für dieses Album nämlich vorgenommen, über Dinge zu berichten, die größer sind als er selbst. Ein Unterfangen, das sich auf verschiedenen Ebenen ausdrückt.

Phoenix aus der Asche bekommt Besuch

Wie klingen Awolnation denn nun nach dem Rückzug vom Studio ins Schlafzimmer, nach dem Kampf mit inneren Dämonen, aber eben auch neun Jahre nach dem epischen Erfolg des Debütalbums „Megalithic Symphony“? Nun, nicht ganz so dramatisch anders als der thematische Wandel von Wasser („Sail“) zu Feuer andeuten könnte. Den mittlerweile klassischen Awolnation-Sound gibt schon der Opener „The Best“ vor: Mit purzelnden Rhythmen und Sprechgesängengeht es  dem Optimierungszwang in sozialen Netzwerken an die Gurgel, während aufpeitschende Streicher und Synthies die Tanzflächen pflastern. Ähnlich funktioniert auch das druckvolle „Battered, Black & Blue (Hole In My Head)“, bei dem sich Bruno wieder zu kleinen Screamo-Einlagen hinreißen lässt und wenn die imposanten Soundwände in „Half Italian“ das lyrische Ich unter sich begraben, klingt das nach Déjà-Vu. Kennt man so also schon, hat aber auch eine Dekade später nicht an seiner Strahlkraft verloren. Etwas wagemutiger zeigen sich aber die Feature-Songs. Zum Einen wäre da „Mayday!!! Fiesta Fever“ mit Alex Ebert, das sich mit Indie-Gitarren in eine Mariachi-Disco hochschaukelt, zum Anderen macht das entspannt treibende „Pacific Coast Highway In The Movies“ mit Weezer-Kopf Rivers Cuomo am Strand eine gute Figur.

Von der Monopol-Berichterstattung können Awolnation wohl auch selbst ein Liedchen singen, denn nach dem bahnbrechenden Erfolg des Debüts und dessen nicht minder erfolgreichen Nachfolgers „Run“ war es beim bisher aktuellen Album „Here Come The Runts“ doch um einiges stiller geworden. Von Understatement ist auf „Angel Miners & The Lightning Riders“ aber nichts zu spüren, der altbekannte Sound bekommt mit der bedrückenden Hintergrundgeschichte und den geschickt gewählten Feature-Gästen aber ganz selbstbewusst ein paar neue Facetten angedichtet. Besonders der dramatische Closer „I’m A Wreck“ sollte mit dem übergroßen Klangrahmen in Erinnerung bleiben und wohl auch an die kompromisslose Macht der Natur gemahnen. Awolnations Slalom zwischen Hoffnung und Panik passt dabei zu den unterschiedlichsten Ausnahmezuständen. Die nächste Welle der Empörung kann also kommen, der Soundtrack steht.

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