Immer wieder versuchen sich in der jüngsten Vergangenheit Künstler an dem Sound, der in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts große Popularität genoss: Gelegte Chorus-Gitarren, viel Hall über und Theatralik in den Stimmen und dazu schön elektronisch, tanzbare Beats – oft gelingt es nicht wirklich, diesen Stil in ein moderneres Gewandt zu zwängen, sodass viele dieser Beiträge uninnovativ und eingestaubt klingen. Damit, dass dann schließlich ein junger Herr, der diese Zeit nichtmal am eigenen Leib erfahren hat, aus dem Pfälzer Städtchen Herxheim (10.000 Einwohner) kommen muss, um diesen Sound in einen neuen und spannenden Kontext zu stellen, hätte vor einigen Jahren wohl niemand gerechnet. Drangsal nennt sich das Projekt um den mittlerweile Wahlberliner Max Gruber, der vor zwei Jahren sein Debütalbum „Harieschaim“ – benannt nach dem altbackenen Namen seines Heimatortes – veröffentlicht hatte, nun mit „Zores“ den Nachfolger dessen nachlegt und damit endgültig im deutschen Gitarrenpop-Himmel angelangt.
Doch nun erst einmal mehr zum Sound, der das Debüt des 24-jährigen auszeichnete. Neben den selbstbewussten 80er-Spirit setzte der Herr nämlich eine ordentliche Portion vor allem verspielter Gitarrenparts und eine Prise härterer Post-Punk-Ausbrüche. Darüber thronte die immer spöttisch, erhobene Stimme Drangsals, der über die Liebe sang, über Trauer und Wut. Thematisch setzt auch „Zores“ – übrigens ein regional besetzter Begriff für „Ärger“ oder „Wut“ – genau hier an, bietet viel Kitsch, der immer mit genug Selbstironie vorgetragen wird, sodass die Inhalte letzten Endes so überhaupt nicht klebrig wirken. Ähnlich wie schon bei seinen Album-Titeln, fließen auch hier genug persönliche Elemente ein. So kommen Tracks, wie das von oben auf den Geschmack anderer herabblickende „Jedem Das Meine“, zustande, in dem Gruber herrlich zynisch über seinen Charakterzug nicht selten über die Meinungen anderer herzuziehen referiert. Sang der spargeldünne Junge mit dem immer frechen Spruch auf den Lippen auf seinem Debüt noch fast ausschließlich auf Englisch und kaum in seiner Muttersprache, dreht sich das Verhältnis nun um – vor allem gegen Ende der Platte gibt es dann doch wieder einige Tracks in der weltweit meistgesprochenen Sprache.
Im Hinblick auf den Sound bewegen sich Drangsal und Team etwas mehr auf den Rand der Klippe zu und wagen auch nicht selten den Sprung in die Extremen. So werden die vielen poppigen Momente, wie „Turmbau Zu Babel“ – der unangefochtene Hit der Platte – noch eingängiger, die Ausbrüche dürfen sich aber ebenfalls mehr entfalten. Diese Seite des Albums zeigen vor allem der episch-instrumentale Schlusspart des Closers „ACME“, das scheppernd-punkige „Weiter Nicht“ oder der treibende Bass in „Sirenen“. Soundmäßig eint „Zores“ und „Harieschaim“ nicht nur die offensichtlichen Eighties-Einflüsse, sondern auch die detailreiche Ausarbeitung der Stücke, die dazu beiträgt, dass selbst bei sehr häufigem Hören noch viel zu entdecken bleibt. Die Produktion scheint hier jedoch etwas weniger überladen, als auf dem von Markus Ganter produzierten Debüt, was vermutlich auf Co-Produzent Max Rieger – unter anderem auch Sänger der fabulosen Die Nerven und diesmal neben Ganter für die Aufnahmen zuständig – zurückzuführen ist. Das tut dem Sound der Platte äußerst gut.
Diese wirklich tolle, simple Produktion, die etwas striktere Einflusstrennung und die überhaupt nicht peinlichen Texte, tragen dazu bei, dass „Zores“ gleichermaßen in die Vergangenheit schielt und absolut neuartig klingt. Außerdem ist Drangsal ein hervorragender Songschreiber, der sich darin versteht eingängigen Stücken die gewisse Prise „Etwas“ zu verabreichen und ebenfalls ein Händchen dafür besitzt, an den richtigen Stellen sperrigere Momente einzumischen. All dies macht die zweite Drangsal-Platte zu einem ehrlichen Meisterwerk, das selbst das etwas zu alberne „Gerd Riss“ – spätestens hier muss man dann doch mal auf Die Ärzte verweisen, die bereits vor über 20 Jahren einen bekannten Rennfahrer besangen – nicht in den Abgrund ziehen kann.
Das Album „Zores“ kannst du dir hier kaufen.*
Und so hört sich das an:
Website / Facebook / Instagram
Drangsal live 2018:
08.06. – 09.06. Kaltenberg, PULS Open Air
22.06. – 24.06. Scheeßel, Hurricane Festival
22.06. – 24.06. Neuhausen ob Eck, Southside Festival
08.08. – 12.08. Eschwege, Open Flair
08.08. – 12.08. Püttlingen, Rocco del Schlacko Festival
Die Rechte für das Cover liegen bei Caroline Records.
* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.