“Der Wiederbeleber”. Ein Album unter diesem Titel im Jahr des kompletten Stillstands zu veröffentlichen, wirkt wie eine Prophezeiung. Doch auch wenn “Re-Animator” das Zeug zum Motto für die Flucht aus der Krise hätte, waren die Aufnahmen für das fünfte Everything-Everything-Album schon lange vor Corona abgeschlossen. Gemeint ist mit dem Titel somit eher eine persönliche Gesinnung, eine solche, die die Band auf alte Pfade und damit weg von den dystopischen Schluchten der beiden Vorgänger-Alben führt. Dass die Band am ersten Tag des Lockdowns einen Großteil ihres Equipments bei einem Brand im eigenen Quartier verloren hat, ist dem Werk so natürlich auch nicht anzuhören. “Re-Animator” ist hingegen ein gänzlich positives Album, aber eher keins für verschwitzte Partynächte sondern für sanfte Ruheoasen.
“Mehr Neil Young als neue Drum Sounds”
So hat Frontmann “Jon” Higgs den stilistischen Rahmen selbst gesetzt und tatsächlich erzeugt diese Definition schon die richtigen Vibrationen im Gehörgang. Wobei das Quartett jetzt natürlich nicht mit Grashalm und Akkustik-Gitarre im Gras liegt und den großen Meistern nacheifert. Nein, der unverkennbare Clash aus zuckenden Synthies und Higgs’ abgedrehten Kopfstimme bleibt den Fans doch erhalten. Doch anstatt mit aller Kraft an der Speerspitze von innovativen Sounds zu rasen, drücken Everything Everything auf die Bremse, um sich der Umgebung noch einmal gewiss zu werden. Weg mit dem Tunnelblick, her mit der naiven Begeisterungsfähigkeit. Das wird an Stellen sogar so esotherisch, dass Vögelgezwitscher vor Herzklopf-Beats und ruhigen Moll-Sphären als Erinnerung, dass wir noch lebendig sind, thematisiert wird (“In Birdsong”). Ähnlich bildgewaltig wird es in “Moonlight”, zu dem es sich zu eben jener Himmelskonstellation herrlich durch die Welt spazieren lassen muss. Mutter Melancholie breitet ihre Arme hier besonders weit aus, die Songs atmen viel Raum und wenig Druck.
In der Ruhe liegt die Kraft
Gerade dank dieser Atempausen, die sich doch maßgeblich vom zappelnden Vorgänger “A Fever Dream” unterscheiden, schaffen Everything Everything auch öfter den Sprung nach oben. Dann reißt das groovende “Big Climb” mit den herrlich überzogenen Chören eben besonders schön mit, Higgs’ Matt-Bellamy-Gedächtnis-Schrei in “Planets” hat wiederum etwas sehr Anmutiges und wenn das glucksende “Arch Enemy” dann zumindest einmal so richtig auf die Tanzfläche lockt, croont es sich angenehm locker über knirschende EDM-Überreste. Dass es in letzterem um eine innere Stimme geht, die dem lyrischen Ich zuflüstert, die Welt von einem riesigen Fettberg – aka Kapitalismus – überlaufen zu lassen, fügt dem ganzen Album nur eine weitere spannende Ebene hinzu. Überhaupt lohnt sich ein Blick hinter das Konzept, denn Higgs hat sich vielerlei spannende Thematiken zu Herzen genommen. Die vermutet man vielleicht nicht immer zwischen den oftmals auch recht unscheinbaren Soundsphären, doch am Ende ist “Re-Animator” einfach eine in sich stimmige Erfahrung, die durchaus eine vitalisierende Kraft innehat. Und dass Everything Everything selbst behaupte, mit dem Closer “Violent Sun” ihren bisher größten Song komponiert zu haben, ist kein Größenwahn, sondern schlicht die Wahrheit. So intensiv Storytelling, Gesang, Soundstruktur und Songwriting sich hier die Hand geben, taugt das mindestens für die größten Euphorie-Momente des Lebens. Mögen Fans zum Tanzen weiterhin lieber zu den Vorgängern greifen, ist “Re-Animator” am Ende der erhabene Abspann einer unvergesslichen Partynacht. Und somit ebenso unverzichtbar wie die hedonistische Feierei selbst.
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Toller Review zu einem tollen Album. Danke!
Danke für das liebe Feedback, das Album macht wirklich Spaß! 🙂
Liebe Grüße,
Julia