Glasser – Crux

glasser crux cover

Crux ist das englische Wort für Kern. Gleichzeitig bedeutet es auf Deutsch Last, Kummer oder auch Schwierigkeit. Häufig dann mit einem K, manchmal aber ebenso mit C geschrieben. Glasser vereint offensichtlich gleich mehrere Bedeutungen des Begriffs auf ihrem dritten Album und entschwindet in fremde Welten.

Glasser, im Privaten Cameron Mesirow, geboren in Boston, bewegt sich aktuell um ihren 40. Geburtstag herum. Ein Alter, das viele nicht mehr ganz so leicht wegstecken. Habe ich den richtigen Job gewählt? Wollte ich nicht eigentlich immer eine Familie gründen? Ist der*die Partner*in an meiner Seite das, was ich will? Eben ein Turning Point. Zwar ist 40 das neue 30, aber früher war 30 schon verdammt nah an Midlifecrisis und Rekapitulation. Doch die eigenwillige Sängerin hat offensichtlich in ihrer Musik genügend Ventile, um der kruden Gedankenwelt einen Ausweg zu zeigen. Sowieso hat sie schon ewig einen recht einfachen Zugang, spielte ihr Vater nämlich als ein Mitglied der Blue Man Group (!) in Berlin und ihre Mutter schon Ende der 70er in einer in Boston anerkannten New-Wave-Szeneband. Das kann man sich sehr zu Nutze machen.

Mit Crux steht erst die dritte LP in 14 Jahren Arbeit an. Zusätzlich aber sogar die erste Albumveröffentlichung seit zehn Jahren. Glasser hat sich also ihre gesamten 30er Zeit gelassen, um zu leben, erleben und nun zu erzählen. Ganz besonders im Vergleich zum Vorgänger „Interiors“ aus 2013 geht Crux ein Wagnis ein. Konnte man nämlich mit den wavigen 80s-Sounds auf der letzten Platte recht einfach connecten, ist das Ganze nun ein Level herausfordernder. Das ist auf keinen Fall zwangsläufig schlecht oder schlechter, eben nur komplexer und weniger griffig. Die 43 Minuten Spielzeit sind – wie eingangs schon beschrieben – sowohl Kern als auch Last und Schwere. Sie sind verschachtelt, präsentieren frostige, sterile Welten, neblige Atmosphäre. Mystisch wandert man beim Zuhören auch mal planlos durchs Feld, wird aber besonders durch das aufregende Soundmixing und die klare, wirklich schöne Stimme immer wieder gelotst.

Glasser durfte schon hohe Vergleiche erfahren. Von Joni Mitchell und Björk ist immer mal wieder die Rede. Und ja, wer sich ein wenig mit dem Ouevre des isländischen Superstars auskennt, findet zweifellos Parallelen. Sind es die Drum’n’Bass-Rhythmen, die sich an orchestrale Sounds anschmieden, oder auch die plötzlich weggezogenen Wolken, in denen auf einmal alles atmet. Das ist ein wenig wie Björk Ende der 90er, gleichzeitig aber auch wie Björk jetzt. Doch gesanglich macht die US-Amerikanerin doch einiges anders. Wir werfen mal neue Namen in die Runde: Florence Welch (Florence + The Machine), Hannah Reid (London Grammer) und Romy (The XX). Wer die nicht mag, dem ist dann auch wirklich nicht mehr zu helfen.

Crux ist konsequent und geht wenig Kompromisse ein. Für Stimmungsliebhaber*innen ein wahres Fest, sind besonders mit dem Noir-Eismonster „A Guide“ und dem Wohlfühlhighlight „Easy“ starke Nummern direkt zum Anfang positioniert. Da ist der Einsatz bei dramatischen Wendungen auf Netflix-Serien nicht mehr weit. Das passt. „Thick Waltz“ setzt klirrende Harfe angsteinflößenden Drum Machines entgegen, was ebenso spannend ist. Nur zum Ende hin dreht sich Glasser dann doch ein wenig zu häufig um ihren Stimmungsmoment. Ein wenig mehr Abwechslung oder auch eine kleine Überraschung mit einem klaren hookigen Refrain hätte dem Longplayer besonders im letzten Drittel dann doch ganz gut getan.

Fans findet das Klanggespenst aber ohne Zweifel. Crux ist schön wie unangenehm, überraschend wie vertraut, depressiv wie erhellend. Anhänger*innen von experimentellem Indie-, Alternative- und Dream-Pop sollten es wagen und womöglich ihr Album für meditative Traumreisen in der gerade auf uns zukommenden dunklen Jahreszeit finden.

Und so hört sich das an:

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Die Rechte fürs Cover liegen bei ONE LITTLE INDEPENDENT / BERTUS.

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