Haiyti – Influencer

Review: Haiyti mit ihrem fünften Album "Influencer".

Nachdem „Sui Sui“ sie fast in den Tod trieb, fackelt Haiyti nicht lange und greift erneut nach den Sternen des Rap-Firmaments. „Influencer“ ist schon das zweite Album der Ex-Hamburgerin im Krisenjahr 2020 und lüstert mehr nach proppenvollen Tanzflächen als sein Vorgänger ohne dabei dessen Tiefe und Schattierungen zu missen.

Schon die Tatsache, dass Haiyti auf dem „Influencer“-Eröffnungssong ihre Rückkehr aus den Abgründen des Underground besingt, zeigt an, dass die Wahl-Berlinerin die Narrative mit Konsequenz weitererzählt, die sie auf dem Vorgängeralbum eingeführt hatte. Mit „Sui Sui“ schaufelte Haiyti sich ihr eigenes Grab, für „Influencer“ kriecht sie nun wieder aus dieser Gruft empor, um ein letztes Mal mit Deutschrap abzurechnen. Dementsprechend überirdisch sehen auch die Motive aus, die die Rapperin auf ihrem fünften Album platziert, beherrschen die Bildsprache neben einigen politisch unkorrekten Sprachausrutschern doch angriffslustige Vampir-Szenarien. Der Pop-Appeal von „Sui Sui“ weicht daher nun vielerorts spitzzahnigen Raps.

Über antreibende Start-Stop-Automatik-Beats holt vor dem Hintergrund gerade der Song-Dreier „Im Club“-„Sweet“-„Burr“ deftige Flows und überhebliche Lines aus der Gruft. Die Dämonen, die die „skinny Legend“ regelmäßig zur Schau stellt, scheinen zwischen all den stolzen Posen für einen ausgedehnten Moment nicht existent. Zu Anbeginn des 19 Songs starken Albums sieht das bei ähnlichem Biss anders aus. Der Himmel färbt sich schwarz, eine Hand schießt aus der modrigen Erde empor. Es folgt eine zweiter Arm, dann ein Oberkörper: Rückkehr. Liebten die Rapperin im alten Leben noch „100.000 Fans“, so steht Haiyti nun mit „100.000 Feinden“ auf dem Kriegsfuß. Die Diamanten sind schwarz, die Aussichten sowieso. Sie heizt mit 200 Sachen über die Reeperbahn, fühlt sich ausgelaugt, „müde und kalt“, setzt alles auf eine Karte. Und wartet eigentlich nur auf den Anruf des Teufels.

Die Themen, die Haiyti umtreiben, haben sich – Überraschung – im letzten halben Jahr nicht gewandelt. Der Traum vom Star-Sein ist dringlich. Doch mindestens genauso groß ist auch die Frustration, bislang nicht an die selbstgesteckten Ziele heranreichen zu können. Exit-Strategien sind deshalb immer wieder auch unmittelbar Thema. In „Zu Real“ manifestiert sich das in der unterschwelligen Befürchtung der eigene Lebensstil könne sie zu Grabe tragen. „Holt Mich Raus“ dahingegen skizziert ganz unverblümt den Wunsch das Rap-Game tatsächlich hinter sich zu lassen. Die Suche nach einer gewissen Form der Normalität ist daher ebenfalls immer präsent, wohl gerade, um die von Rauschmitteln betäubte psychischen Last abzulegen.

„Influencer“ ist dank seiner stringenten Vampir-Motivik streckenweise gar drastischer und konsequenter als der hochgelobte Vorgänger. Das liegt zu Teilen auch an dem Raum für Experiment und Ballade, den Haiyti sich einräumt: „Star und zurück“ und „Weltzeituhr“ sind zwei der wohl herzergreifendsten Trap-Balladen, die die 27-Jährige bislang released hat. Und auch „Benzin“ trägt als gesetzter Anker in der Albummitte mit seinen Kanye-Vibes zum kunstvollen Gesamteindruck bei. Kunst-Anspruch hatte die Musik von Haiyti schon immer – auch wenn der auf „Perroquet“ etwas zurückstecken musste. Mit „Influencer“ jedoch erreicht die Charakterstärke der Kunstfigur Haiyti nun ihren Höhepunkt. Und das bei einem solchen Output – Chapeau!

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