Haiyti hat viel erreicht. Sie lebt in der Kultur- und Medien-Metropole Berlin. Sie verdient ausreichend Asche. Sie kann haben, nach dem ihr gelüstet: Drogen, Markenklamotten, teure Lebensmittel, Urlaub, Männer. Symbolisch: Von den Straßen des Hamburger Bahnhofsviertels in die hippen Viertel der Hauptstadt. „SUI SUI“ ist das dritte Studioalbum der umtriebigen Rapperin. Das ist so Pop wie keine ihrer anderen Veröffentlichungen und gleichsam auf zweierlei Weise ungewöhnlich persönlich.
Die zwei Seiten des Erfolgs
Die eine Seite der Medaille: Der Erfolg. Geldprobleme gibt es in Haiytis Welt schon lange nicht mehr. An deren Stelle traten Shootings in Luxusklamotten von Louis Vuitton und Anna Sui – namensgebend –, Orte wie die französische Hauptstadt Paris, im Volksmund auch „Paname“ gerufen, oder das ebenfalls französische „Toulouse“ sowie Party-Eskapaden. Das Kokain und der Wodka stehen bereit, der Perroquet ist gemixt und die Havanna-Zigarre hängt locker im Mundwinkel. Doch wie so oft trügt der Schein. Alkohol und Drogen: Betäuben die Sorgen und Ängste nur. Oberflächliche Beziehungen: Ersetzen keine tieferen Bindungen. Teure Accessoires: Sorgen allenfalls für kurzzeitiges Glück.
Die andere Seite der Medaille also: Verzweiflung, Wut, Angst und Trauer. Irgendwo treiben all diese Gefühlswelten, diese Kehrseiten des druckgeplagten Musiker*innentums auf „SUI SUI“ an die Oberfläche. Manchmal müssen Zuhörer*in mehr suchen, um auf die unscharfen Erinnerungsschnappschüsse dieser Emotionslagen zu stoßen. Vor allem zu Beginn der intimen Haiyti-Abhandlung bleibt die Wahl-Berlinerin vage. So stellt „WAS HAST DU DAMIT ZU TUN?“ abgesehen von seiner dichten Soundwand Bewältigungsstrategien und Sehnsüchte neben selbstbewusste Ansagen: Alkohol als vorläufiger, der Freitod als langfristiger Ausweg. Harter Tobak. Wie spielerisch Haiyti jedoch hier Modemarke mit Selbstmordgelüsten verbindet – „Sui Sui – Suicide“ – nimmt Momenten wie diesen zunächst jede Bedrohlichkeit.
An anderer Stelle, vorrangig in der zweiten Albumhälfte, steckt das Herz Haiytis ganz direkt und verletzlich in den düsteren Zeilen. In „SR&Q“ beispielsweise heißt es über verträumte Gitarren und knallige 808s: „Und ich frage mich, wo denn alle sind // Versteh’ die Lage nicht // Die Fassade bricht und ich zahle Bricks // Denn sonst hab’ ich nichts.“ Im anschließenden „DROGENFILM“, einer bedrückenden Akustik-Gitarren-Episode, wird die 27-Jährige noch konkreter: „In der Lunge Kerosin, das Ende nicht mehr weit.“ Und abschließend singt sie in „AUDREY“: „Überall, wo ich war, ist die Erde verbrannt // Ich bin weiter weg als ich denk, hinterlass’ 100.000 Fans // Besser ist, wenn mich niemand kennt // (…) Mama, mach dir keine Sorgen // Du weißt, wenn ich geh’, geh’ ich ‚all in‘“ Der radikale Ausweg aus dieser Lebensumwelt: „Werf’ mich vor den Money Train.“
Der kühle Soundtrack zum düsteren Epos
Den passenden Soundtrack zu dieser deepen Inhaltsebene liefern fünf kreative Köpfe, die sich zusammen Project X taufen. Wer genau dahinter steckt: Unbekannt. Mehr als deutlich wird dahingehend bereits nach wenigen Durchläufen, wie sehr die zumeist trapigen Beats auf die einzelnen Gefühlslagen eingehen, die die Stücke durchziehen. Für „LA LA LAND“ etwa, dem eindeutigsten Hit des Albums, weichen die kühlen Synthesizer- und Klavier-Flächen einem seichten Sommerzeit-Dancehall-Sound. Währenddessen besingt Haiyti eine intensive Bonnie-Clyde-Beziehung, die sie sich scheinbar tiefen Herzens herbeisehnt. Dem ernsteren letzten Drittel entsprechend, mutieren die Instrumentals anschließend zu melancholischen Soundskizzen, während die erste Albumhälfte vorrangig flächige Dancehall- und Trap-Beats bereithält. Die Produktion trägt demnach ebenfalls zu der Dramaturgie des Albums bei.
„SUI SUI“ ist seiner Beats wegen ein Album für die Tanzfläche, jedoch nicht für den Moshpit. Dazu passt, dass Haiyti oft eher säuselt als schreit und zwischenzeitlich gar singt. Die Melodien sind deshalb mindestens eingängig, gar hittig. Wo wir auch schon wieder beim Anfangsstatement wären: „SUI SUI“ ist Dark-Pop in Hip-Hop-Reinform. Spätestens hier ist mit dem Rap-Untergrund Schluss. Und, dass Haiyti das gerade mit einer solch persönlichen Platte gelingt, ist mehr als beachtlich.
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Hier geht es zu der Review vom Haiyti-Debüt “Montenegro Zero”.
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Die Rechte für das Album liegen bei Haiyti Records.
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