Hatari – Neyslutrans

Eine Industrial-Techno-Band mit BDSM-Outfits singt auf Isländisch und macht den zehnten Platz beim Eurovision Song Contest. Was klingt wie eine von einem koksenden Boulevardjournalisten erfundene Ente zum ersten April, ist tatsächlich genauso passiert. Willkommen in der Welt von Hatari!

Seit 2015 besteht die spezielle Formation aus dem nordwestlichsten Staat Europas und kombiniert auf faszinierend-verstörende Art und Weise Dinge, die eigentlich als nicht kombinierbar gelten. Das Trio sieht sich selbst als antikapitalistisch. Ihr Ziel, den Kapitalismus zu stürzen, wurde in den ersten drei Jahren nicht erreicht, somit war für Ende 2018 auch zunächst das Ende des Projekts angekündigt.

Stattdessen ging man aber mit einem Paukenschlag in die nächste Runde. Im letzten Januar wurde verkündet, dass Hatari am isländischen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest in Israel teilnehmen werden. Das Land, das bekanntlich für eher außergewöhnlichere Popmusik steht, hat sich konsequenterweise auch gegen neun weitere Kandidaten und für die Underdogs entschieden. So zog „Hatrið mun sigra“, was übersetzt „Hass wird siegen“ lautet, ins Rennen.

Sechs Jahre gab es bei dem größten Musikwettbewerb der Welt keinen Song auf Isländisch – nun einen, der davon sang, dass Europa zusammenbrechen wird. Doch damit nicht genug: bei der Punkteverkündung im großen Finale, das immerhin 182 Millionen Zuschauer sahen, wurde eine palästinensische Flagge in die Kamera gehalten, um auf die israelische Besatzung aufmerksam zu machen. Trotz Vorankündigung, dass die Gruppe die Show als politisches Statement nutzen wird, ist der verantwortliche isländische TV-Sender, der die Jungs geschickt hat, nicht um eine 5000€-Strafe drumherum gekommen.

Wir merken also – Edge können die. Soundtechnisch bewegen sich Hatari genauso fließend zwischen Kontrasten und machen damit ihr ganz eigenes Ding. Sänger Matthías shoutet aggressive Punchlines, die dem Hörer regelrecht um die Ohren fliegen und stets elektronisch aufgepeppt werden – sein Gegenpart Klemens ist hingegen für melodische Refrains zuständig, die auch mal Falsettgesang benötigen und locker zwei Oktaven über denen von Matthías liegen. Abgerundet wird das Katz & Maus-Spiel durch den Produzenten und Schlagzeuger Einar, dessen Vater isländischer Botschafter in Großbritannien ist. Drei Tänzer machen das bunte Treiben komplett.

Doch nun genug WTF-Facts. Seit wenigen Tagen gibt es endlich das erste Studioalbum, das auf den kantigen Namen Neyslutrans hört. Verblüffend, dass in fast fünf Jahren Bandhistorie erst eine EP und nun dieser Longplayer erschienen ist. Umso erfreulicher fällt jedoch das Fazit aus: ja, der Sound ist nicht leicht bekömmlich. Kann man dem jedoch etwas abgewinnen, bekommt man 47 Minuten Musik, die einen richtig reinsaugen und einen gewissen Suchtfaktor mitbringen.

Fans von The Prodigy, Nine Inch Nails, Marilyn Manson, Die Antwoord und 90s-Techno sollten dringend in die Platte hören. Egal, ob ranziger Club mit zu viel Nebel und Stroboskoplicht im Raum, viel zu lange dauernde Autobahnfahrten nachts um Zwei oder Power-Workout auf dem Laufband bei FitX Hatari bieten genau die richtige Länge, variieren nicht gewaltig, aber trotzdem genug und bleiben stets so melodisch, dass es im Ohr bleibt.

Wie hervorragend das klingen kann, beweist das grandiose Opening „Engin Miskunn“ (Deutsch: „Keine Gnade“), mit seinem mitreißenden Synthie-Solo und der Wucht von Matthías. Fans der ersten Stunde dürften den ravigen „Spillingardans“ (Deutsch: „Korruptionstanz“) kennen und lieben. Sitzenbleiben sollte äußerst schwer, nahezu unmöglich sein. Fällt das Mitsingen zwar als Deutscher ausnahmsweise aus, bleibt trotzdem genug Sogpotenzial, um sich von den 80s-Keyboard-Hooks leiten zu lassen. Doch auch etwas entschleunigter klingt der Stil stimmig, wie „Ógleði“ (Deutsch: „Übelkeit“) zeigt. Dass mit politischen Messages noch lange nicht Schluss ist, unterstreicht die Kollaboration mit Bashar Murad in „Klefi“ (Deutsch: „Zelle“), einem schwulen, palästinensischen Sänger, der in seinem Land für Toleranz und LGBTQ-Rechte im Nahen Osten kämpft. Ganz klar einer der stärksten Tracks – die Beatbrüche sind nicht weniger als perfekt. Der bekannte „Hatrið mun sigra“ ist genau in der Mitte der 13 Titel positioniert und wird durch das anschließende, leicht atonale Geigensolo (!) „Spectavisti me mori, op. 8“ konterkariert. Kurz vor Schluss ballert uns ein Chorstück um die Ohren („Nunquam iterum, op. 12“ lateinisch für „Nimmermehr“). Lediglich der Rapsong „Helvetí“ stört ein wenig das Gesamtbild.

Ein Album, das leider definitiv hierzulande zu wenig Beachtung bekommen wird, aber womöglich in einigen Jahren als kleines Meisterwerk gelten könnte. Nicht jeder Song zündet, aber der Großteil dafür umso mehr. Neyslutrans hat zurecht etwas Produktionszeit gebraucht und ist das, worauf Anhänger gewartet haben. Mutige Wortwahl, trendige Sounds und abgefahrenes Bühnenstatement. Hatari sind anders, anstößig, ein bisschen gruselig, künstlerisch anspruchsvoll und dazu musikalisch. Da lohnt sich mit Sicherheit auch eins der drei anstehenden Deutschlandkonzerte zu besuchen.

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