Irgendwo zwischen Vollzeitjob und Rapkarriere findet man Kollege Hartmann, Mitte 30, wohnhaft in Leipzig. Dass es nicht immer so einfach ist, den grauen Arbeitsalltag, die eigene Musik und diverse weitere Projekte unter einen Hut zu bekommen, thematisierte der Rapper bereits in seinen vergangenen Werken. Live oft als Back-Up-Rapper von Gossenboss mit Zett am Start, ist Kollege Hartmann auch solo schon lange kein Newcomer mehr. Dennoch ist “Modus Mindestlohn” – sein neues Album, das am 23.07.2021 erscheint – die erste Platte seit fünf Jahren.
Musikalisch hat sich hier einiges weiterentwickelt, doch der Grundgedanke bleibt derselbe: Kollege Hartmann steht für authentische Lines, mit denen er allen Arbeitnehmer*innen aus der Seele spricht. “Mein Arbeitgeber zahlt Mindestlohn, doch für ein Kfz wird es wohl leider nicht reichen.” (“Mindestlohn“) oder “Arbeite nur für meinen Mietvertrag, ja. Trotz Arbeitsunfall bin ich morgen wieder da.” aus der Single “Hämatom” dienen nur also Beispiele für Zitate, die für viele von uns auch schon reale Gedankengänge gewesen sind. Der triste Arbeitsalltag wird auch im Song “Trance” aufgegriffen – nicht nur textlich, sondern auch mithilfe einer monoton gehaltenen Melodie, die das Gefühl des Montagmorgens im Büro musikalisch nicht besser hätte einfangen können.
Doch nicht nur der Arbeitsalltag ist eines der thematisierten Probleme auf “Modus Mindestlohn“. Neben all den Überstunden ist es in der minimal verfügbaren Freizeit auch schwierig, die eigene Beziehung über Wasser zu halten (“Quality Time“). Ein alltägliches Problem, dem sich bisher nur weniger Rapper*innen so detailliert angenommen haben, wie Kollege Hartmann es tut. Genau diese ehrlichen Texte sind es, was den Rapper ausmacht. Im Album-Opener “Wankelmut” erzählt er offen über die Entstehungsgeschichte des Albums, zu dem es fast gar nicht gekommen wäre. 2018 war er kurz davor, das Mikrofon an den Nagel zu hängen, als eine Anfrage von Antilopen Gang-Mitglied Danger Dan zum Sinneswandel führte. In diesem Jahr wurde Kollege Hartmann als Toursupport für Danger Dans erste Solotour eingepackt (hier unser Bericht aus Köln), wo der Rapper glücklicherweise neuen Antrieb für seine Musikkarriere fand.
Die eigenen Selbstzweifel werden in den zwölf neuen Songs ebenso thematisiert wie das Gefühl von depressiven Episoden, Burnout und Bindungsängsten (“Klaustrophobie” mit Luise Fuckface von Die Toten Crackhuren im Kofferraum). Positives sucht man auf “Modus Mindestlohn” vergebens – stattdessen erhält man dunkle Gedankengänge perfekt getarnt unter einem quietschbunten Cover.
Was auf dem neuen Album deutlich zu hören ist, ist eine Experimentierfreudigkeit, die Kollege Hartmann mit einfließen lässt. Bei Autotune-lastigeren Songs wie der aktuellen Single “Mexikaner” funktioniert die stilistische Bandbreite hervorragend. Songs wie das wirre “Bike Punk” passen hingegen beim ersten Durchlauf noch nicht so ganz ins Bild. Stattdessen rütteln sie an der düsteren Atmosphäre des Albums und wagen den teilweise etwas riskanten Spagat zu schrillen Elektro-Beats. Wenn ein Song wie “Dünnes Eis” zu eskalieren beginnt und anschließend in einen Track mit Katerstimmung übergeht (“Schnief“), lässt sich in etwa erahnen, auf was man sich bei den nächsten Liveauftritten von Kollege Hartmann gefasst machen kann.
„Die Leute sollen nicht allzu viel über mich nachdenken. Die sollen Spaß an der Musik haben” heißt es im Pressetext. Dass er selbst den Spaß an der Musik wiedergefunden hat, ist Kollege Hartmann auf dem Album anzumerken. Während er mit “Modus Mindestlohn” die eigene Work-Life-Balance wieder aufleben lässt, empfiehlt sich die Platte auch für all diejenigen, die ihren tristen Arbeitsalltag oder die eintönige Spotify-Playlist mit einem neuen Soundtrack aufpeppen wollen.
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Die Bildrechte liegen bei Kollege Hartmann/ARDA.
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