Erst im Mai durften wir drei blutjunge Franzosen dabei beobachten, wie sie den schnuckeligen Sonic Ballroom im Kölner Arbeiterviertel Ehrenfeld demontierten. Damals kamen wir der professionellen und energetischen Performance wegen zu dem Schluss: „Mit einem hoffentlich alsbald erscheinenden neuen Studioalbum in der Tasche stehen Lysistrata (…) die Türen nach ganz oben offen: hier bahnt sich etwas an.“ Tatsächlich haben Lysistrata – so nennen sich Théo Guéneau, Max Roy und Ben Amos Cooper, wenn sie zusammen musizieren – neun brandaktuelle Stücke im Gepäck, die nun als „Breathe In/Out“ über das sympathische Indie-Label Grand Hotel Van Cleef das Licht der Welt erblicken. Was macht das zweite Studioalbum der jungen Post-Hardcore-Band so einzigartig?
Ganz am Anfang steht die auf den ersten Blick recht gewöhnliche, dann aber doch leicht andersartige Band-Konstellation. Guéneau spielt Gitarre, Roy Bass und Cooper verprügelt sein Drum-Kit. Soweit so gut. Wo bei anderen Gruppen jedoch eine Person zum Mikrofon greift, stehen bei Lysistrata auf der Bühne gleich drei Stück – natürlich ordentlich im Halbkreis aufgestellt. Mal wechseln die Bandmitglieder sich mit ihrem Gesang ab, mal erheben sie ihre Stimmen zu eindrucksstarken dreistimmigen Ausrufen. Auch rein instrumentell wissen die Franzosen das Maximum aus ihrer Besetzung herauszuholen. Der Bass knarzt an den richtigen Stellen ordentlich und ersetzt eine zweite Gitarre, misst aber niemals verspielte Licks. Die Gitarren verlieren sich mal in Math-Rock-Riffs, mal in geschrammelten Akkorden, finden sich aber stets im vertrackten Dschungel aus Bass- und Schlagzeug-Lianen zurecht. Das ist bei all den Betonungsverschiebungen und ungeraden Taktarten gar nicht mal so selbstverständlich.
Besonders schön wird die ganze Angelegenheit, wenn die Saiten-Instrumente sich spielerisch umtanzen wie in der ruhigen Überleitung von „Different Creatures“. Spaß machen die Stücke ebenfalls, wenn Rhythmus-Sektion und Gitarre gemeinsam nach vorne preschen wie im punkigen „Boot On A Thistle“. Konträr dazu gehört das Song-Monstrum „Death By Embarrassment“ zu den wenigen Stücken der Band, die dem wohlbekannten Pop-Song-Schema folgen. Anderenorts widmen Lysistrata sich wiederum Betonungsverschiebungen, ungeraden Taktarten und unkonventionelleren Strukturen. So erzählt „Middle Of March“ eine emotionale Geschichte und verzichtet währenddessen gänzlich auf Wiederholungen oder Refrains. Das Trio nimmt sich dafür knapp neun Minuten Zeit. Auch der ruhigste Moment der Platte lässt sich nicht auf Klischee-Bingo ein. Wo andere Bands zu einer kitschigen Akustik-Ballade greifen, schreiben Lysistrata mit „End Of The Line“ einfach einen zurückgelehnteren Track mit weniger Verzerrung und Druck.
Seine ergreifenden Arrangements, dreistimmigen Vocals, emotionsgetränkten Lyrics und atemberaubenden Ausbrüche machen „Breathe In/Out“ zu einem der aufregendsten Post-Hardcore-Releases des laufenden Jahres. Nach den bereits so perfekten Live-Shows gelingt es Lysistrata die Energie und Vielschichtigkeit ihrer Konzerte nun auf ein Studioalbum zu transportieren. Wo es dem Vorgänger noch an Fingerspitzengefühl fehlte, justiert „Breathe In/Out“ nach. Hier bahnt sich etwas an.
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Und so hört sich das an:
Lysistrata live 2020:
18.03. Nürnberg, Club Stereo
19.03. München, Milla
20.03. Schorndorf, Manufaktur
21.03. Würzburg, Keller Z87
22.03. Trier, Lucky’s Luke
24.03. Wiesbaden, Schlachthof
25.03. Köln, Bumann & Sohn
26.03. Dortmund, FZW
27.03. Hamburg, Molotow
28.03. Berlin, Cassiopeia
29.03. Dresden, Groovestation
31.03. Hannover, Lux
01.04. Bremen, Lagerhaus
02.04. Münster, Gleis 22
Die Rechte für das Albumcover liegen bei Grand Hotel Van Cleef.
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