Triumphaler könnte ein neuer Albumzyklus kaum angekündigt werden, als Miley Cyrus es mit “Flowers” gemacht hat. Wie viel das Album um den großen Hype halten kann, schauen sich Alina und Julia in einer ausführlichen Doppel-Review an.
Alina findet:
Es ist knapp zwölf Jahre her, dass Miley Cyrus zuletzt in die Rolle der blonden Hannah Montana bei Disney geschlüpft ist. Seitdem ist vieles passiert und nicht nur Mileys musikalische Karriere glich einer regelrechten Achterbahnfahrt. In dieser Zeit sorgte die Sängerin dennoch für einen Hit nach dem anderen – von „Wrecking Ball“ über „Malibu“ über „Prisoner“. Drei Jahre nachdem ihr vergangenes Album „Plastic Hearts“ erschienen ist, veröffentlicht sie nun Studioalbum Nummer 8: ein breit aufgestelltes Pop-Album, auf dem die Sängerin einmal mehr ihr Talent beweist.
Wo Miley draufsteht, steckt auch Miley drin. Das ist ein Versprechen, das auch „Endless Summer Vacation“ nicht bricht. Auf dreizehn Tracks liefert Miley eine Bandbreite an klug ausgeklügelten Songs, die einmal mehr beweisen, dass diese Frau ganz oben mitspielt. Denn selbst wenn seit Mileys Hit „7 Things“ sage und schreibe fünfzehn Jahre vergangenen sind, schafft sie ebendies noch immer: hitverdächtige und vor allem genial konzipierte Songs zu kreieren.
„Flowers“ – Mileys erste Singleauskopplung des Albums ist dabei keine Ausnahme. Ein Track, in dem sie nicht nur sehr unaufdringlich Ex-Liam Hemsworth eins auswischt, sondern gleichzeitig eine Empowerment-Hymne konzipiert hat, wie sie im Jahr 2023 nicht besser hätte sein können. Die Message dahinter ist simpel, aber in einer Zeit, in der wir mehr von Situationships und Red Flags als von wirklichen Lovestorys reden, wertvoller denn je: Es braucht keinen Partner oder eine Partnerin, um glücklich zu sein. Selbst ist die Frau – oder der Mann!
Mit „Jaded“, einem Song über die verpassten Chancen in einer gescheiterten Beziehung, liefert Miley einen würdevollen Nachfolger von Power-Balladen wie „The Climb“ oder „Wrecking Ball“. Der Song ist nicht nur catchy, sondern vereint alles, in dem Miley unschlagbar ist: gute Lyrics, eine brillante Stimme und ziemlich viele Emotionen („Oh, isn’t it a shame that it ended like that? Said goodbye forever, but you never unpacked. We went to Hell, but we never came back”). Melancholie pur!
Musikalisch konträr dazu steht der Countrysong „Thousand Miles“, in dem das Ende einer Beziehung thematisiert wird. Der Track bringt die aus Tennessee stammende Miley back to the roots und beinhaltet ein Feature von Grammy-Gewinnerin Brandi Carlile. Besonders gut gelingt Miley hier der Bruch mit Klischees, sie durchbricht Genres, variiert und macht „Endless Summer Vacation“ damit zu ihrem ganz eigenen Ding. Was ziemlich gut funktioniert, denn schon das ruhigere und deutlich reduzierte „You“ zeigt eine ganz neue Facette auf. Stimmlich auch hier im Fokus: Mileys wunderbar kratzige und doch so einfühlsame Stimme.
Während „River“ ein wenig an die alten Miley vs. Hannah-Zeiten erinnert, eine gute Synth-Pop-Mischung herauskitzelt und wahrscheinlich der Sommerhit 2023 wird („Blowing bubbles in the bath, I can’t stop from thinking lately. You could be the one, have the honor of my babies”), überzeugt „Muddy Feet“ durch ebendiesen sassy, badass Unterton, den niemand besser drauf hat als Miley. In Kombi mit Sängerin Sia ein wirklich herausstechender Song.
Ein weiteres Highlight ist der Track „Wildcard“, auf dem Miley stimmlich mehr als strahlt. Gerade die Emotionalität in ihrer Stimme ist hier next level. Achtet man auf den Text, hat der Song eine ähnliche Bedeutung wie Mileys 2020 erschienenes „Midnight Sky“. Von der Zerrissenheit am einen Tag alles zu wollen und dem kompletten Gegenteil am nächsten Tag („I love when you hold me. But loving you is never enough. And don’t wait for me. ‘Cause forever may never come”). Den Abschluss findet Mileys achtes Studioalbum mit „Wonder Woman“, das noch einmal schön untermalt, worum es in „Endless Summer Vacation“ geht: um Stärke, Verletzlichkeit und um Persönlichkeitsentwicklung.
Anders verhält es sich mit Song wie „Handstand“, „Violet Chemistry“ und „Rose Colored Lenses“, die stilistisch eher an jüngere Werke der Sängerin erinnern und sich damit abheben. Der individuelle Charakter kommt hier deutlich mehr zum Tragen und es ist definitiv Geschmacksache, ob die Songs zusagen oder nicht. Miley bricht hier deutlich mehr aus dem oft doch sehr eingängigen Pop-Kosmos aus. Und obwohl das per se nicht schlecht ist, sondern eigentlich die Vielfalt nur steigert, gehen diese Songs etwas unter. Denn: Am besten stehen Miley noch immer Power-Ballade á la „The Climb“, oder große Hits wie „Party In The USA“ oder eben „Flowers“.
Neu erfunden hat die Sängerin sich mit den zwölf Tracks auf „Endless Summer Vacation“ damit nicht, aber das ist auch nicht nötig. Das Album bietet allen Miley Fans – egal ob von „Breakout“, „Can’t Be Tamed“ oder „Younger Now“-Zeiten etwas. Miley steht vor allem für emotionale und wirklich gut durchdachte Texte sowie ihre einzigartige Stimme. Dachte man in den vergangenen Jahren noch, dass ihre musikalische Karriere sich so langsam aber sich dem Ende zuneigt, beweist Album Nummer 8 genau das Gegenteil.
Julia sagt:
Nicht besonders originell, diese ganze “Flowers”-Geschichte, oder? Weder musikalisch noch im Bereich der Lyrics oder der Symboliken setzt Miley Cyrus hier an einem bisher gänzlich unbekannten Punkt an. Und trotzdem: Irgendetwas hat dieser Song und seine mittlerweile tausend Mal durchgekaute Hintergrundgeschichte an sich. Ganz einfach: Universeller als Liebeskummer geht ein Thema kaum. Und viel cooler könnte ein Empowerment-Song als Antwort darauf kaum klingen. So viel dazu. Aber was kann Miley Cyrus’ Longplayer Nr. 8 sonst für Tricks?
Auch hier erstmal: Nicht viel Neues. Aber eben auch hier: Das ist vollkommen egal, wenn sonst einfach alles passt. Mileys Stimme gehört sowieso zu den besten der aktuellen Pop-Riege, darüber müssen wir nicht diskutieren. Dazu kommt eine Songwriting-Kunst der besten Sorte und genug Ansagen für 432843 neue TikTok-Trends.
Meine liebsten Momente dieser Platte:
1. Es ist nicht alles gegessen und abgehakt. Das zeigt Miley Cyrus in “Rose Colored Lenses”, diesem Track, der sich dann doch wieder dem Eskapismus zuwendet und von einer Flucht ins “Wonderland” träumt. Mit wem auch immer, das ist nebensächlich. Aber gerade diese unterschiedlichen Perspektiven zwischen “Ich bin mir selbst genug” und “Herz über Kopf” ergeben erst Seite an Seite Sinn und bringen auch musikalische Schattierungen.
2. “Forever may never come”, singt Miley im stimmlich stärksten Song “Wildcard”. Von der Trophy Wife ist Miley auch knapp ein Jahrzehnt nach “Wrecking Ball” weit entfernt. Und das mit dem “Für immer” muss auch nicht für jeden das beste Konzept ever sein. Ein toller Gegenentwurf zu den ewiglichen Pop-Songs über die unfehlbare und ewige Liebe.
3. Der Break zwischen dem elektronischen Wabern von “River” und dem urigen Country von “Thousand Miles” bringt zum einen die Vielfältigkeit von Miley und diesem Album auf den Punkt, zum anderen aber auch Herkunft und gegenwärtige Relevanz. Gemeinsam mit Brandi Carlile zeigt Miley, wie gut ihre Anfänge und Einflüsse in der analogen Country-Folk-Ecke auch heute noch funktionieren. Dann laden Songs wie “River” und “Violet Chemistry” aber eben auch die Synthies der anderen Miley-Epochen zur Party ein. Man möchte nichts missen.
“Endless Summer Vacation” ist ernst, verträumt, selbstbewusst, voller Emotionen für sich, aber auch für andere. Nur eben alles ganz nach Mileys eigenem Plan. Und das führt gerade beim reduzierten “You” zu einer gewissen Ähnlichkeit mit Lady Gagas “Joanne”: Die nächste Evolutionsstufe bei der künstlerischen und musikalischen Relevanz wäre erreicht. Und dafür müssen es eben nicht immer die schillerndsten oder neuesten Ideen sein. Es reicht, wenn alles zusammenpasst. Und das tut es hier.
Das Album “Endless Summer Vacation” kannst du hier (Vinyl) oder hier (digital) kaufen.*
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Rechte am Albumcover liegen bei Columbia.
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