Volltreffer. Mit einem etwas anderen Konzept, einem frischen Kompositionsteam und einer hervorragenden Story-Vorlage schaffte es Stage Entertainment nach langer Zeit mit einer Uraufführung wieder einen Nerv zu treffen: Im November 2021 startete im Stage Theater des Westens in Berlin “Ku’Damm 56 – Das Musical” , das ein Jahr später den Deutschen Musical Theater Preis in mehreren Kategorien gewann, darunter auch die wichtigste Auszeichnung als “Bestes Musical”. Schuld daran war nicht zuletzt die hervorragend gute Musik, hinter der niemand geringeres als das Ex-Rosenstolz-Kompositions-Duo Peter Plate und Ulf Leo Sommer steckte. Gemeinsam mit ihrem neuen Kollegen Joshua Lange lockte man dem Musicalgenre seine poppige Seite hervor und damit ein riesiges Publikum in die Show. 2023 soll das Ganze mit Romeo & Julia: Liebe Ist Alles – Das Musical wiederholt und womöglich noch getoppt werden.
Dass neue Musicals fruchten, ist besonders seit Corona alles andere als selbstverständlich. Aufgrund enorm hoher Ticketpreise überlegt man sich doch zweimal, was man genau sehen will – und da setzen viele lieber auf bereits Etabliertes. Entweder Shows, die sie schon von der Bühne kennen und wieder erleben wollen, oder Disney-Zeug, was man somit aus dem Kino oder von Zuhause kennt. Möglichst wenig Risiko. Ganz risikofrei war “Ku’Damm 56” durch seine ziemlich erfolgreiche TV-Serie auch nicht, allerdings war das Publikum wesentlich überschaubarer und keinesfalls so breit wie bei einem “Die Eiskönigin”, einem “König der Löwen” oder einem “Mamma Mia”. Doch “Ku’Damm 56 – Das Musical” war in Pandemiezeiten das Highlight neben den “Nummer Sicher”-Stücken und zieht nun nach 15 Monaten von Berlin in ein weiteres Theater. Da Stage ansonsten mittlerweile nur noch in Hamburg und Stuttgart gastiert, wird’s somit mit sehr großer Sicherheit eine der beiden Großstädte.
Nur noch wenige Tage dauert es, bis Romeo & Julia: Liebe Ist Alles – Das Musical die schwere Aufgabe zu lösen hat, der Nachfolger eines wirklich fantastischen Musicals zu sein. Da einige Macher*innen hinter der Show denen von “Ku’Damm 56 – Das Musical” gleichen, bleibt es wohl kaum aus, Vergleiche zu ziehen – und auch schlichtweg hohe Erwartungen zu haben. Doch Peter Plate und Ulf Leo Sommer wären nicht sie selbst, wenn sie diese nicht bewusst vor Augen hätten und sich nicht mehr als nur Mühe gäben, diese auch zu erfüllen. Immerhin feierte man über Jahre große Erfolge mit der Band, in der Peter Plate selbst sang und spielte, aber danach ähnlich bahnbrechende mit Acts wie Sarah Connor, Annett Louisan, Max Raabe und vielen weiteren.
Mit “Ku’Damm 56 – Das Musical” erfüllten sich die Zwei einen Traum, nämlich endlich Musik für ein Bühnenstück zu schreiben. Das probierten sie zwar schon zuvor, bekamen jedoch nur geringfügig Aufmerksamkeit: Schon 2014 schrieben sie Musik für ein Musical mit dem Namen “Romeo & Julia – Das Musical”, das es allerdings über einige Aufführungen nicht hinausschaffte. Die Leidenschaft für die niemals sterbende Story von William Shakespeare aus dem 16. Jahrhundert scheint aber die beiden Berliner nie richtig losgelassen zu haben. So wird nun aus einer kleineren Produktion, die an nahezu jedem vorbeihuschte, ein richtig großes Ding. Die Musik? Gänzlich neu. Bis auf kleine, spannende Ausnahmen.
Man merkt, da haben welche Blut geleckt. Jetzt wird geklotzt, nicht gekleckert. Schon in der Quantität der Songs wurde mächtig aufgestockt, sodass sich gleich 25 Songs und ganze 74 Minuten Spielzeit auf dem Album zum Musical befinden. Im Sound stellt man sich breit auf, liefert aber im Kern erneut nicht das, was das gewohnte Musicalohr erwartet, und das ist genau richtig so. Stattdessen gibt es eine wilde Wundertüte aus viel Deutsch-Pop anno 2023 (“Es lebe der Tod”), ein wenig Schlager-esquem Klang (“Halt dich an die Reichen”), kraftvollen Breitbandballaden (“Das Schönste”), einer überraschenden Elektro-Einschiebung (“Der Wolf”) und – Achtung – Operngesang.
Die absolute Stärke des Romeo & Julia: Liebe Ist Alles – Das Musical-Samplers, der natürlich durch die Bildebene wachsen wird, die ab kommendem Sonntag dazu gewonnen werden kann, ist die Abwechslung sowohl in den Stimmen als auch in den Stimmungen. Da gibt es starke Chornummern wie das energiegeladene “Wir sind Verona” – Special Appearance: Marcella Rockefeller – genauso wie berührende Duette zwischen den Hauptdarsteller*innen Yasmina Hempel als Julia und Paul Csitkovics als Romeo in dem Piano-Streicher-Konglomerat “Dann fall ich”, das beide eher wie Deutsch-Pop-Sänger*innen vortragen als wie typische austauschbare Musicaldarsteller*innen.
Doch Moment… “Dann fall ich”? Insider*innen horchen auf: Ja, tatsächlich! Es ist derselbe Song, den Plate & Sommer auch schon 2014 für ihr erstes Musical schrieben. Er passt jedoch im Erzählbogen so gut zu einer Dynamik zwischen zwei Liebenden, deren Liebe zum Scheitern verurteilt ist, dass er zurecht auch den Weg ins neue Stück findet. Doch damit nicht genug: Das Komponistenteam zeigt so deutlich wie nie, woher es kommt. Zur größten Liebesgeschichte der Welt gehört ein großer Liebessong. Und Liebe ist bekanntlich Alles. Warum also nicht “Liebe ist Alles” von Rosenstolz neu interpretieren? Wenn man das Glück hat, einen so makellosen Song geschrieben zu haben, der auch fast 20 Jahre nach seinem ersten Erscheinen nicht einen My an Perfektion verloren hat, bekommt er nun auch ohne AnNa R. erneut seinen großen Auftritt und wird zum Thema des Musicals. Ein Stück Nostalgie, das Herzen treffen wird.
Am Ende sind es aber zwei Nebenrollen, die ganz besonders aufhorchen lassen: Mit Nils Wanderer steht eine Neuentdeckung auf der Bühne, zumindest was das Genre angeht. Der Sänger ist eigentlich in der Oper zuhause, dort auch schon längst ein internationaler Geheimtipp. Als Todesengel setzt er nun in dem neuen Stage-Stück einen ganz besonderen Akzent: Er ist nämlich Countertenor, also eine noch höhere Lage als die übliche Tenorlage. Genau dieser beeindruckende wie leicht schaurige Falsett passt ganz vorzüglich zu einigen Titeln wie “Mutter Natur” oder zu seinen Soli “Celebrata Culpa” und “So kalt der Tod”, die durch den eben nicht alltäglichen Stil viel mehr Schwere, Tiefe, Sehnsucht und Traurigkeit bekommen. Mindestens genauso gut wird aber wohl der Showstopper “Hormone” live wirken, wenn Steffi Irmen als Amme die klassischste Musicalnummer präsentiert, die sämtliche Gesangsrepertoires, einschließlich anspruchsvollem Belt, abverlangt. Das ist schon in der Studioversion atemberaubend und kompositorisch einfach richtig, richtig großes Kino. Könnte so auch dem “Tanz der Vampire” entnommen worden sein.
Mit Romeo & Julia: Liebe Ist Alles – Das Musical steht nun zweifellos ein weiteres Highlight in den Startlöchern. Das beweist die dazugehörige Musik schon gut eine Woche vorher. Viele Stücke rütteln auf, machen neugierig, kreieren bereits Bilder im Kopf, die schon bald ausgefüllt werden. Zum Glück. Deswegen heißt es am 19.3. ab 19 Uhr Daumendrücken und sich ins italienische Verona entführen lassen.
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