Milliarden – Schuldig

Trotz der inneren Zerrissenheit wird das dritte Milliarden-Album "Schuldig" so zu einem musikalischen Arschtritt. Ja, es tut weh, aber weitermachen lohnt sich.

In den kantigen Grenzen von strengen Kontrasten zu denken, bringt am Ende vor allem eins mit sich: Minimierte Optionen. Wenn das dritte Milliarden-Studioalbum „Schuldig“ also trotz neu gewonnener Autonomie und einer Hinwendung zur Liveeinspielung nicht gleich in Richtung schrammeliger Drei-Akkord-Hüpferei hechtet, steht das ganz im Zeichen des Band eigenen Anspuchs. Diesen formuliert Sänger Ben Hartmann in unserem Interview ganz explizit im Ausbruch aus Gewohnheiten, aus den bekannten Strukturen und Denkmustern: „Ich will endlich etwas denken, das ich nicht denken kann.“ Daher geht es auch trotz Abkehr vom Majorlabel hin Richtung wohl durchdachter Konzepte, die sich gleichermaßen an der rohen Simplizität von mitreißender Livekomposition bedienen. Es lebe die Zwiespältigkeit!

Leben zwischen den Extremen

Wenn schon der Opener und Titeltrack das Album übergreifende Mantra „Los, leise, langsam, laut“ einführt, hat das eine gewisse Erhabenheit inne. Dass Milliarden von ihrem eigenen Musical träumen, mag man ihnen bei den cineastischen Momenten der Platte abkaufen. Aber natürlich fahren Milliarden als frisch gebackene Indie-Band dafür nicht plötzlich große Sinfonie-Orchester auf und vom Vermarktungszwang entfernt sich die Band ebenfalls. Dafür sind die knackigen und auch angenehm schmutzigen Hymnen „Die Fälschungen sind echt“ und „Wenn ich an dich denke“ einfach viel zu unmittelbar, laden zur kompromisslosen Zerstörung der eigenen Stimmbänder ein. Wer die miefigen Kellerclubs bisher noch nicht vermisst hat, tut das spätestens nach diesen Songs. Aber Milliarden denken dennoch in Alben, verflechten die muffigen Kleinode in einen stringenten Bogen. Der oszilliert zwischen den ganz großen Momenten.

Die Dreigossenoper

Für diese Platte wollten Milliarden schließlich ihre unverkennbare Live-Dynamik einfangen. Und wer die Band schon einmal live erleben durfte weiß, dass das ganz schön vielversprechend klingt. Das erklärt vermutlich auch, warum das schwungvolle Finale von „Swing“ sogar Zuhause zum Mitschunkeln einlädt, „Wonderland“ mit Hand Claps und Woo-Hoo gen Sonnenuntergang fährt und man das „Tut immer noch nicht weh“ von „Himmelblick“ trotz all der Schmerzen der letzten Monate lauthals mitgrölen will. Gegen die Lethargie des Lockdowns setzen Milliarden zwischenmenschliche Emotionen in den Fokus, fahren dafür die großen Fanfaren auf, jeder Refrain ein Schmelztiegel von Verzweiflung und Hoffnung. Dafür verausgabt sich Hartmann am Mikro genau so wie seine Crew im Hintergrund eifrig Crescendi auffährt („Neues Leben“).

Auf ganzer Albumlänge wohnt „Schuldig“ so eine gewisse Aufbruchsstimmung inne, die im Closer „Trenn Dich“ auch noch zu einem expliziten Call to Action wird. Trotz der inneren Zerrissenheit wird das dritte Milliarden-Album zu einem musikalischen Arschtritt. Ja, es tut weh, aber weitermachen lohnt sich.

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