So ganz glücklich scheint der Umzug des Königs der Savanne ans Polarmeer ja nicht gelaufen zu sein. Blut klebt auf der Eisoberfläche, der Löwe reckt einen Hammer in die Höhe. Mit einer ausgeglichenen Atmung würde man diese bedrohliche Optik eher weniger in Verbindung bringen, doch trotzdem haben Pure Reason Revolution den Fachbegriff zu ebenjenem Zustand als Titel für dieses Albumcover gewählt. Trotz großer sphärischer Entspannungsteiche gestaltet sich der Ritt auf “Eupnea” als ein rast- und zügelloser, der dem stets frischen Sound des Duos eine neue Facette ermöglicht. Geradlinigen Rock durchschreitet man bei dieser Werkschau genau so wie epische Gitarrentürme und Lagerfeuerromantik. Dann mal auf ins Vergnügen!
Die Ruhe vor dem Sturm
Die Blood Red Shoes könnten beim Opener “New Obsession” durchaus über die Schulter von Chloë Alper und Jon Courtney geschaut haben, so verführerisch rauschen Gitarren und Co-Gesänge gen Indie-Disco. Die Masterminds hinter Pure Reason Revolution zeigen sich aber nicht nur als Akrobat*innen an den analogen Saiten, sondern treiben ihre Riffs immer wieder in wabernde Synthwände und modulieren Klänge im Minutentakt. Schon im zweiten Song “Silent Genesis” zeigt diese Herangehensweise ihre ehrgeizige Seite. Ganze drei Minuten werden mit einzelnen hallenden Gitarrenfiguren leichte Farbkleckse in einen ansonsten luftleeren Raum gepinselt, sphärische Chöre steigen ein – und plötzlich erhebt sich aus dem Nichts eine majestätische Muse-Gedächtnis-Gitarre. Nach knapp sieben Minuten macht der anschließend recht zurückhaltende Song eine Kehrtwende, die Gitarren brodeln unheilverkünded, bis sie sich von peitschendem Schlagzeugwirbel in schwindelerregende Höhen auftürmen.
Das Spiel von Licht und Schatten
Aus diesem Zusammenspiel aus überraschend epischen Prog-Elementen, luftigem Indierock und kantigem Rock erschaffen die beiden Brit*innen ein unvorhersehbares Gebilde. Wo “Maelstrom” ganz entgegen den Erwartungen des Titels mit Lagerfeuer-Indie à la Of Monsters and Men noch statuiert “If we see a Light in the Maelstrom, Death will be defied”, windet sich “Ghosts & Typhoons” mit der ganzen Theatralik von Ghost unter fiesem Metalgetöse, in das sich sogar kleine Streicher einmischen. Ähnlich dramatisch geht es auch im drängenden Closer und Titeltrack zu, der sich zwar an zartes Klavier wagt, aber dann im Fallrückzieher in ein knirschendes Riff springt. Die beruhigende Nachricht “Breathe, we made it ’til here” wirkt zunächst wie eine Erinnerung an die Wichtigkeit der Eupnea, also des ruhigen Atmens. Doch mit jeder weiteren Repitition verliert die Aussage an Boden, in Symbiose mit den drängenden Metal-Elementen gerät die Atmung schließlich doch gefährlich ins Stocken.
Auch wenn die gemeinsam vorgetragenen Refrains doch teilweise zu homophon gestaltet sind, schaffen die gewagten Songwriting-Strategien eine bunt gesprenkelte Palette an Soundeindrücken, die es erstmal zu verdauen gilt. “Eupnea” ist somit trotz harmonischer Lichtungen ein ziemlich anspruchsvolles, teils gar anstrengendes Hörvergnügen. Doch wie das so oft mit etwas schwerer Kost ist: Die Früchte, die man daraus trägt, sind eine Menge wert. Und egal, wie abgedreht dieses Album mal wird, niemals vergessen: Atmen!
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