Myriaden ist altgriechisch und bedeutet „unzählbare Menge“. Selig denken also bei ihrem achten Studioalbum etwas größer. Um zu zeigen, wie ihre Vision aussieht, haben sie zwölf neue Songs aufgenommen.
Kurzer Sprung in die Vergangenheit: 1993 entschieden Jan Plewka und seine damaligen vier Bandmitglieder deutsche Rockmusik zu machen. Das wurde von Seiten der Alles-Besser-Wissenden eher belächelt als gefeiert. Deutsche Lyrics in den 90ern? Süß. Doch die Jungs hielten an der Idee, deutschsprachiger Musik mehr Diversität zu verleihen, fest – und landeten mit „Ohne dich“ eine der größten, auf unserer Muttersprache gedichteten Liebeskummerballaden des Jahrzehnts. Zigmal gecovert, selten bis nie erreicht.
Und so entwickelte sich aus der Band mit merkwürdigen Sprachanleihen ein standhafter Fuß in der nahezu nicht mehr existenten Deutschpopszene. Leider machte sich das Quintett gegenseitig ein bisschen kaputt, sodass nach drei viel beachteten Alben vorerst die Notbremse gezogen wurde. Zwölf Jahre Rehab waren nötig, um aber seit 2009 wieder voll da zu sein und zur Auferstehung mit „Wir werden uns wiedersehen“ womöglich den besten Track ihrer Karriere zu liefern, der heute noch nachhallt. So sind aus anfänglichen sechs Jahren Zusammenarbeit eben im zweiten Umlauf schon zwölf geworden und statt drei gleich fünf LPs.
Myriaden ist so verträumt, vielschichtig und erwachsen, wie man es erwartet und es durch seine bloße Aussprache klingt. Das Dutzend an Titeln probiert gar nicht erst, einer zu jungen Hörerschaft, die denkt, Mark Forster und Max Giesinger machen authentische Texte, zu gefallen, sondern richtet sich an Liebhaber*innen mit etwas mehr Deepness und Groove. Myriaden ist dabei aber nicht altbacken und fade, sondern eher überraschend old-schoolig-echt und dadurch gleichzeitig erfrischend neu.
Jan am Mikro hat auch nach seinem fünften runden Geburtstag nichts an Unverkennbarkeit verloren, sodass seine gesungenen Worte ob mit oder ohne Absicht stets wie betörende, leicht angetrunkene Liebesgeständnisse klingen. Doch auch der Rest des mittlerweile Quartetts – lediglich Keyboarder Malte ist seit 2014 nicht mehr am Start – macht gute Arbeit, liefert mitreißende Rock-Klangflächen, die mal ein wenig nach Brit-Pop klingen („Myriaden“), mal sehr poppig und tanzbar („Spacetaxi“), mal sphärisch sind („Paradies im Traumrausch“, „Du“), stets nicht zu glattgebügelt werden („Angesicht zu Angesicht“) und auch mal ein bisschen krachen wie in der Grunge-Nummer, die einfach mal so heißt, wie die Gruppe selbst („Selig“).
Textlich wandelt die gute Dreiviertelstunde zwischen Erschrockenheit vor der immer schwieriger werdenden Weltsituation und dem Wunsch nach Verbesserung. Und wenn ihr mal wieder jemandem wirklich eine Freude machen wollt, schreibt doch eine „Postkarte“ und wählt ein Zitat aus dem sehr gelungenen Song. Eine angenehme und stimmige Platte, die im Frühjahr 2021 gehört werden will.
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