The Naked and Famous – Recover

The Naked and Famous

Und da waren’s nur noch zwei. Als The Naked and Famous vor rund zehn Jahren (!) mit der Überhymne „Young Blood“ und dem zugehörigen Album „Passive Me, Agressive You“ als die große Hoffnung des Indie auftauchten, waren sie noch ein Quintett. Wie das Cover des fünften Albums „Recover“ unschwer erkennen lässt, sind von diesem Gespann nur noch Sängerin und Songwriterin Alisa Xayalith und singender Gitarrist Thom Powers übrig geblieben. So ganz haben den Werdegang des Synth-Pop-Kollektivs wohl nur die Fans noch mitverfolgt, denn das Versprechen des Debüts konnten The Naked and Famous zumindest auf kommerzieller Ebene nicht einhalten. Während die Soundnachbarn Chvrches bis heute in großem Rahmen funktionieren, gerieten The Naked and Famous doch etwas in Vergessenheit. „Recover“ könnte der behutsame, aber auch hoffnungsvolle Befreiungsschlag der Band werden – und alle Zeichen stehen auf kompromissloser Introspektive.

Eine Wagenladung Synthies, bitte

Schon die Tatsache, dass sich Xayalith und Powers den Gesang teilen, spricht von dem tiefen Gemeinschaftsgefühl, das dem Fünftling inhärent ist. Zwar widmen sich nahezu alle Texte dem eigenen Seelenleben, The Naked and Famous scheinen die Auseinandersetzung mit den eigenen Dämonen jedoch besonders im Kollektiv als heilsam zu empfinden. Dass sich diese Erholung schon im Opener und Titeltrack als zarter elektronischer Gospel ausdrückt, gibt einen Hinweis auf die weiten Sound-Möglichkeiten der Platte. Zwar trägt eine gewisse Grundmelancholie den roten Faden auf der Oberfläche, doch die Wellen schlagen gerade bei den poppigen Sommer-Hymnen „Sunseeker“ und „Bury Us“ auch mal wilder aus. Hier klingt das Duo mehr nach Dua Lipa als nach nischigem Indie – und das steht ihnen überraschend gut. Doch auch 2020 stehen die Synthies noch im Rampenlicht, dürfen wie in „Easy“ mal in feinster Jamie XX-Manier gemächlich wabern oder wie in „Everybody Knows“ unmissverständlich nach vorne peitschen.

Mental Health in Großbuchstaben

Nicht nur auf musikalischer Ebene möchten The Naked and Famous einen Eindruck hinterlassen, auch die zugehörigen Texte lassen aufhorchen. Mental-Health steht zwar – glücklicherweise – seit einigen Jahren ohnehin bei vielen auf der Agenda, die Thematiken dieses Albums sind dann aber doch noch eine ganze Ebene intimer als der Status Quo. In „Well Rehearsed“ oder „(An)Aesthetic“ werden Depressionen und Ängste mit beklemmender Ernsthaftigkeit beleuchtet. Doch erst „The Sound of my Voice“ und „Death“ erzeugen den größten Kloß des Indie-Jahres. Während ersterer auf breiten Schwingen die Hilflosigkeit des Alleinseins an die Wand pinselt, geht es in letzterem um das große Thema der eigenen Vergänglichkeit sowie der der Liebsten. Wenn Powers hier singt „There will be a last time when we see each other“ brechen endgültig alle Dämme. Dass der Titel des Albums trotz all dieser sehr ernsten und teils auch traurigen Momente „Recover“ lautet, zeugt aber eben auch von einer tief liegenden Zuversicht und einem aufrichtigen Optimismus. Diese schwingen auch im abschließenden „Coming Back To Me“ mit, wenn sich Überforderung und Glückseligkeit die Hand reichen. Egal, wie finster es aussehen mag, es geht immer weiter. Davon können wohl auch The Naked and Famous ein Liedchen singen, das wie der Mund-Nasen-Schutz zum merkwürdigen Jahr 2020 passt.

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