Freiheit – das ist ein großer und wichtiger Begriff. Wann ist man frei? Kann man überhaupt gänzlich frei handeln? Wenn ja, woran erkennt man, ob die eigenen Taten auch wirklich frei waren? Auch in der Musik spielt die Frage nach der Losgelöstheit von Erwartungen, Einflüssen und Konventionen in Zeiten von EDM-Pop und belanglosem Alternative-Rock eine bedeutende Rolle. „Palms“ heißt das neunte Studioalbum der amerikanischen Rockband Thrice. Gäbe es eine in ihrer Gänze freie Rockplatte, so würde sie vermutlich so klingen wie diese – oder zumindest so ähnlich.
Die Band Thrice gibt es bereits seit zwanzig Jahren in dieser Vierer-Konstellation. Spielte die Formation aus Kalifornien damals noch relativ klassischen Post-Hardcore, entwickelte man seine Musik von LP zu LP weiter. Da wäre das Durchbruchswerk „The Artist In The Ambulance“ – heutzutage wohl ein Post-Hardcore-Meilenstein, der vielen mittlerweile Mit-Dreißigern durch ihre Jugend half -, das Post-Hardcore-Rock-Gemisch des Nachfolgers „Vheissu“ oder auch der die vier Elemente vertonende Doppel-Album-Wahnsinn „The Alchemy Index“. Im Jahr 2015 meldete sich das Quartett nach dreijähriger Pause dann mit dem hymnischen Rock-Album „To Be Everywhere Is to Be Nowhere“ zurück, das leider live besser funktionierte, als auf Platte. Von „Palms“ kann man zumindest behaupten, dass die zehn Stücke in gepresster Form unglaublich gut wirken. Wie das Ganze dann live aussieht wird die Zeit zeigen.
Die Palme kann mit ihren in alle Richtungen gerichteten Blättern durchaus als Freiheitssymbol ausgelegt werden. Das bemerkte Dustin Kensrue, Sänger und Frontmann der Band, ebenfalls eines Nachts und stellte die Arbeiten an dem Nachfolger seiner Comeback-Platte förmlich „unter den Wedel einer Palme“, die Offenheit repräsentieren soll. Diese Mentalität zieht sich nicht nur durch die stets emotionalen Texte der Gruppe, sondern auch durch deren Musik. Bereits die ersten 60 Sekunden machen klar wo Thrice stehen: Keine verzerrten Gitarren eröffnen LP Nummer neun, sondern ein wabernder Synthesizer, der erst etwas später von schweren Gitarrensounds abgelöst wird.
Ebenfalls die bereits einige Monate erhältliche Vorabsingle „The Grey“ präsentierte eindrucksvoll, dass das Quartett sich noch nie besser darin verstand, seine zuckelige Ader mit höchst eingängigen Melodien zu fusionieren. Hier treffen verspielte Gitarrenriffs auf höchst einprägsame Gesangsmelodien – der Song ist dabei ein Hit ohne jemals Hit sein zu wollen. Das darauf folgende „The Dark“ bringt mit seinen Synth-Bässen im Refrain erneut aufregend frischen Wind in die Angelegenheit, bevor sich zum Ende des Stücks tausende Fanstimmen zu einem gigantische Chor erheben dürfen. Zeigt Eddie Breckenridge in den Strophen von „Just Breathe“, warum er nicht zu Unrecht zu den besten Bassisten der Mainstream-Rock-Landschaft gezählt wird, wird „Everything Belongs“ von seichten Klavierklängen geleitet. Die Band stopft all diese verschiedene Instrumente und Einflüsse selbstverständlich in den gewohnten Thrice-Rahmen. So darf natürlich auch nicht der obligatorische Post-Hardcore-Knaller, das hektische „A Branch in the River“, fehlen.
Den emotionalen Höhepunkt bildet jedoch der Closer „Beyond the Pines“, der den Hörer nach seinem ruhigen Ausklang mit einem mulmigen Gefühl hinterlässt. Auffällig ist in den seichteren Momenten vor allem, wie klar und ruhig Kensrues Stimmorgan klingt. Böse Zungen hatten nach Veröffentlichung des Vorgängers behauptet, auf diesem würde dessen Stimme gelegentlich mal an Nickelback Frontmann Chad Kroeger erinnern. Hiervon findet man auf „Palms“ nichtmal ein Fünkchen.
So leiten Thrice von Song zu Song, umarmen einen mal mit wohlig bekannten Elementen, führen einen mal in komplett neue Welten ein. Die Platte fühlt sich während ihrer gesamten Spielzeit dabei kein einziges Mal gekünstelt an – an Ausverkauf ist in keiner Sekunde zu denken. Vielmehr laden die Amerikaner den Hörer auf ihre kreative Suche nach der Freiheit ein – eine erfolgreiche Suche – und machen alles richtig, was man als Band nach über 20 Jahren Historie noch richtig machen kann. Thrice wiederholen sich nie, wissen stets zu überraschen und behalten trotz Fortschritt immer das bei, was ihren Kern ausmacht. Gerade deshalb ist „Palms“ wohl eine der freiesten Platten, die in der jüngsten Vergangenheit das Licht der Welt erblicken konnten.
Anmerkung: “Palms” kann sowohl die Pflanze “Palme”, als auch “Handfläche” meinen. Kensrue bezieht sich in seinen Aussagen wohl auf zweiteres. Da ist dem Autor wohl ein kleiner Fehler unterlaufen. An der Grundaussage der Rezension ändert das natürlich nichts!
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